Die Frauen von Nell Gwynnes
- Feder & Schwert
- Erschienen: Januar 2010
- 1
Leichte Mädchen und schwerwiegende Ermittlungen
"Die Frauen von Nell Gwynne's" ist ein unterhaltsames Steampunk-Werk mit als Prostituierten getarnten Spionen, einem soliden Kriminalfall und liebenswertem Schreibstil.
Als die totgeglaubte Lady Beatrice aus Indien zu ihrer Familie nach England zurückkehrt, gibt es keinen freudigen Empfang für sie. Stattdessen soll sie in ein Kloster geschickt werden. Doch Lady Beatrice nimmt ihr Schicksal selbst in die Hand, verdingt sich als Freudenmädchen und erregt irgendwann die Aufmerksamkeit der blinden Mrs. Corvey. Die anscheinend anständige Dame führt nämlich ein exklusives Bordell namens Nell Gwynne's, in das nur eingeweihte Männer kommen dürfen. Doch das Bordell ist nur eine Tarnung für ein viel delikateres Geschäft: Die Damen gehören zur Schwesterorganisation der Spekulativen Gesellschaft der Gentlemen. Als ein Mitglied der Gesellschaft nach einem Spionage-Einsatz vermisst wird, treten die Damen, getarnt als unwissende Gespielinnen einer Privatparty der Mächtigen, in Aktion.
"Die Frauen von Nell Gwynne's" von Kage Baker ist eine kurzweilige Steampunk-Erzählung. Sie wurde mit dem Nebula Award 2009 und dem Locus Award 2010 jeweils für die beste Erzählung ausgezeichnet, nachdem die Autorin schon früh an Krebs gestorben war. Der mit 160 Seiten sehr kurze Roman ist eigenständig, gehört jedoch in das Universum des Zeitstürme-Zyklus, welcher das Hauptwerk Kage Bakers darstellt.
Die Erzählung ist Steampunk vom feinsten. Das viktorianische Zeitalter ist mit viel Liebe dargestellt, die Figuren sind delikat gezeichnet und die Sprache der Zeitperiode mehr als angemessen gewählt. Lady Beatrice als ohne Schuld verstoßene Frau, die ihr Leben selbst in die Hand nimmt, dafür aber ihren Körper verkaufen muss, ist eine ebenso tragische wie liebenswerte Hauptfigur. Sie ist zurückhaltend höflich, aber ebenso ehrlich und erfrischend intelligent. Denn nur zu oft sind Frauen kreischende, unselbständige Nebenfiguren, die sich nicht einmal selbst das Frühstück machen können. Von diesen heben sich Beatrice, Mrs. Corvey und die anderen Frauen des Nell Gwynne's positiv ab.
Wie in jedem Steampunk-Roman dürfen auch hier die zahllosen mechanischen Erfindungen nicht fehlen. So wird nicht nur Mrs. Corveys Augenlicht elektronisch wieder hergestellt, auch die Mädchen des Bordells sind mit sprengbaren Knöpfen am Mieder auf alle Eventualitäten vorbereitet. Das müssen sie auch sein. Der Auftrag auf dem Anwesen Lord Basmonds ist nämlich äußerst kompliziert, und ein Mord macht die Ermittlungen für die Frauen nicht leichter. Die Lösung des Buches ist überraschend und unerwartet und fügt der erfreulich positiven Story noch ein i-Tüpfelchen hinzu.
Die Autorin schafft mit der Erzählung "Die Frauen von Nell Gwynne's" einen stimmigen und kurzweiligen Steampunk-Roman, dessen einziges Manko die Kürze ist. Die Welt, in der die Geschichte spielt, ist ebenso filigran ausgearbeitet wie die Figuren selbst. Dabei achtet die Autorin vor allem auf harmonisch gestaltete Frauenfiguren, die mit den oft geschriebenen weiblichen Nervenbündeln nicht viel zu tun haben. Sie sind gestandene, intelligente Frauen. Prostituierte wie in diesem Buch als Spioninnen einzusetzen, ist zwar keine ganz neue Idee, aber verknüpft mit einem federleichten Schreibstil, sympathischen Charakteren und einem überraschenden Fall wird die Erzählung zu wirklich guter Unterhaltung.
(Sanja Döttling, April 2013)
Kage Baker, Feder & Schwert
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