Die Traumsuche nach dem unbekannten Kadath
- Suhrkamp
- Erschienen: Januar 1995
- 9
Langweiliger Traumflug in die Hölle
Neben reinen Horrorgeschichten schrieb H.P. Lovecraft in den 1920er Jahren auch einige Fantasy-Erzählungen. Diese schildern Welten, deren Tore man nur im Traum durchschreiten kann. Träume waren für HPL seit seinem sechsten Lebensjahr immer sehr wichtig, als er begann, von schrecklichen Monstern, den ";night gaunts";, zu träumen.
Als Beispiele für diese Traumphantasien, die in der Art von Lord Dunsany, Irland, verfasst sind, seien ";Das Verderben, das über Sarnath kam";, ";Das merkwürdige hochgelegene Haus im Nebel";, ";Die Katzen von Ulthar"; sowie ";Celephais"; genannt. Des weiteren gehören dazu die um den Helden Randolph Carter, ein Alter Ego HPLs, gruppierten Geschichten ";Der Silberschlüssel"; , ";Durch die Tore des Silberschlüssels"; (zusammen mit E. Hoffman Price).
Der Kurzroman ";Die Traumsuche nach dem unbekannten Kadath"; wurde in dieser Periode zwischen 1926 und 1927 niedergeschrieben, aber erst 1943 posthum veröffentlicht. Dem Romanmanuskript fehlt eindeutig eine letzte Ausarbeitung. Diese unterließ HPL, weil sein Manuskript von einem Herausgeber (Farnsworth Wright) abgelehnt worden war. Bestimmend ist in der Geschichte die Figur des Randolph Carter, eines Alter Egos des Autors, der mit den großen Alten unangenehme Bekanntschaft macht.
Flug auf dem Rücken eines pferdeköpfigen Riesenvogels
Der Roman handelt von den traumartigen Erlebnissen des Randolph Carter, der autobiographische Züge (s.o.) aufweist. Auf der Suche nach der zauberhaften Stadt seiner Sehnsucht gelangt er in eine Unterwelt, die dem griechischen Totenreich Hades ähnelt. Dies ist Lovecrafts pittoreske Darstellung einer Hölle: eine Traumwelt, bevölkert mit seltsamen Erscheinungen und Fabelwesen wie den riesenhaften Shantak-Vögeln, den scheuen, aber freundlichen Zoogs, riesigen Ungeheuern wie Gugs und Ghasts sowie einer Schar von Ghoulen. Unter diesen befindet sich der bekannte Bostoner Maler Richard Upton Pickman, den Carter von früher kennt (vgl. ";Pickmans Modell";).
Nach zahlreichen Abenteuern begegnet Carter in der aus Onyx erbauten Burg auf dem Gipfel des ";unbekannten Kadath"; dem dämonischen Nyarlathotep, genannt das ";kriechende Chaos"; und einer der mächtigsten und gerissensten ";Großen Alten";.
Anstatt ihm den Weg zu der gesuchten Traumstadt zu weisen, verleitet der Dämon Carter dazu, einen kosmischen Flug auf dem Rücken eines monströsen, pferdeköpfigen Shantak-Vogels zu unternehmen. Der soll ihn zu dem chaotischen Abgrund bringen, wo der formlose Erzdämon Azathoth herrscht, dessen Namen man nicht laut aussprechen darf.
Carter ahnt die Gefahr, die ihm von Azathoth droht, und es gelingt ihm, noch rechtzeitig von dem Shantak abzuspringen. Nach endlosem, schwindelerrengendem Fall durch kosmische Räume findet Carter sich schließlich in seiner Heimatstadt Boston wieder. Er ist zum Ausgangspunkt seiner geträumten Odyssee zurückgekehrt.
Eine Aneinanderreihung von bizarren Einfällen
";Die Traumsuche nach dem unbekannten Kadath"; ist sehr umstritten, was die Beurteilung anbelangt. Liebhaber der heroischen Fantasy wie Lyon Sprague de Camp und der HPL-Verehrer Lin Carter äußerten sich lobend darüber. Andere hingegen wie der HPL-Herausgeber und -";Kollaborateur"; August Derleth meinten, dass es ein wenig gelungenes Werk sei. Dem kann ich nur zustimmen.
Es ist eine Aneinanderreihung von bizarren Einfällen, enthält zuweilen farbig geschilderte Episoden und reiche Symbolik, aber das Ganze enthält keine Klammer und baut keine innere Spannung auf. Wenn man wollte, könnte man die Geschichte für psychoanalytische Studien als Steinbruch benutzen, aber das liegt dem normalen Fantasyleser fern. Dem HPL-Freund fallen sicher zahlreiche Querverweise zu anderen HPL-Fantasies auf (s.o.), aber auch zum Cthulhu-Mythos, den HPL mit einer Schar eingeschworener Brieffreunde ausbaute.
Heutigen Lesern mit durchschnittlichen Ansprüchen an Fantasy und Horror werden jedoch die langen Beschreibungen und zahllosen ereignislosen Passagen langweilen. Und zumindest mir ging es so, dass ich die Lektüre kaum schaffte, ohne zuletzt völlig genervt zu sein.
Der Sprache fehlt eine Überarbeitung
Dem Kurzroman fehlt eindeutig eine Überarbeitung, also Straffung, und eine letzte Ausfeilung, insbesondere in sprachlicher Hinsicht. Hier frönt HPL noch seinem alten ";Laster";, massenhaft beschwörende Adjektive aufzustapeln, sie mit ";unheiligen"; Verben und Substantiven zu verkuppeln, bis man kaum noch weiß, welche Struktur der Satz aufweist. Dieses Buch eignet sich nicht einmal für das Parodieren, weil es offensichtlich a) zu lang ist, b) völlig unbekümmert drauflosfantasiert und c) ihm daher eine wie auch immer geartete künstlerische Absicht nur schwer zu unterstellen ist. Eine Parodie jedoch ist eine Entgegnung auf eine solche Absicht. Man kann jedoch die sprachlichen Manierismen HPLs ohne weiteres durch den Kakao ziehen, wie Esther Friesner und andere Autoren gezeigt haben (in ";Spur der Schatten";, hrsgg. Von Jim Turner).
Wer wirklich gute Stories von HPL lesen will, sollte zu jenen greifen, die nach ";Kadath"; erschienen, denn ";Kadath"; stellt den Höhe- und Endpunkt dieser Dunsany-Phase dar. Zu empfehlen sind ";Cthulhus Ruf";, ";Das Grauen von Dunwich";, ";Die Farbe aus dem All";, ";Die Berge des Wahnsinns"; und ";Der Schatten aus der Zeit";.
H. P. Lovecraft, Suhrkamp
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