Die Frau in Schwarz
- Kampa Verlag
- Erschienen: März 2022
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Unkluges Kräftemessen mit wütendem Gespenst
In den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts wird der junge Anwalt Arthur Kipps von seinem Vorgesetzten in das Dorf Crythin Gifford an der nordostenglischen Küste geschickt. Dort ist in ihrem Heim und im stolzen Alter von 87 Jahren Mrs. Alice Drabbler verstorben. Vor der Testamentsvollstreckung soll Kipps vor Ort die hinterlassenen Papiere durchsehen. Eel Marsh House, das Haus der seligen Mrs. Drabbler, liegt sogar einsam auf einem der Küste vorgelagerten Inselchen, das nur bei Ebbe über den Neunlebendamm erreichbar ist.
Wurde Kipps zunächst freundlich empfangen, werden die Bürger von Crythin Gifford wortkarg, sobald Eel Marsh House zur Sprache kommt. Vor allem leugnen sie, jene unheimliche, bis auf die Knochen abgemagerte Frau in schwarzer Kleidung zu kennen, die Kipps als Gast bei der Beerdigung von Mrs. Drabbler entdeckte und die ihm seither zu folgen scheint.
Ein erster Besuch von Eel Marsh House endet für Kipps unerfreulich, weil er aufgrund dichten Nebels die Nacht in dem alten Haus verbringen muss. Was er dort erlebt, erscheint ihm selbst im hellen Licht des nächsten Morgens kaum rational erklärbar. Als mutiger Engländer gedenkt er sich seiner Angst jedoch zu stellen. Mit Proviant und einem Jagdhund kehrt Kipps ins Eel Marsh House zurück, um dem Spuk auf den Grund zu gehen - eine Entscheidung, die er bald nicht nur bitter bereut, sondern die ihn das Leben kosten könnte …
Fluch der vielen Worte
Eigentlich ist es nur Arthur Kipps, der keine Ahnung hat, was in Crythin Gifford und im Eel Marsh House vorgeht. Die Dörfler wissen es, die Leser auch. „Die Frau in Schwarz“ soll eine Hommage an die klassische englische Geistergeschichte sein, die in dem halben Jahrhundert vor dem Zweiten Weltkrieg in ihrer Mischung aus Spannung, Stil und innerer Logik eine Meisterschaft erreichte, die sie noch heute ihr Publikum finden lässt.
So ist es kaum verwunderlich, dass bis in die Gegenwart neue Geschichten entstehen, die sich an den klassischen Storys orientieren. Susan Hill hat schon mehrfach auf deren Motivschatz zurückgegriffen. Sie nennt vor allem M. R. James (1862-1936), den König der „ghost story“, als ihren Meister. Anders als James erzählt sie ihre Spukstorys jedoch gern in Romanform. Wieso dieser die Kurzgeschichte vorzog, macht uns Hill mit „Die Frau in Schwarz“ (sicherlich unfreiwillig) deutlich.
Die klassischen Elemente sind sämtlich vorhanden; dies sogar dort, wo sie fehl am Platze sind und reiner Selbstzweck bleiben. So beginnt die Geschichte mit einer langen Einleitung, in der ein alter Arthur Kipps seine glückliche Gegenwart schildert. Diverse Figuren werden eingeführt, die spurlos verschwinden, sobald die eigentliche Handlung einsetzt; kein Wunder, denn sie spielt viele Jahre früher.
Schrecken aus zweiter Hand
Schon diese Einleitung leidet unter einem künstlichen Unterton forcierten, aber nur angeblichen Grauens. Hill schreibt aufdringlich: Jeder Satz scheint die Ankündigung drohenden Unheils förmlich zu atmen. Tritt es dann ein, kann es der geschürten Erwartungshaltung niemals gerecht werden.
Zudem fällt Hill nichts wirklich Überraschendes ein. „Die Frau in Schwarz“ zerfällt in Episoden, die für sich allein oft besser funktionieren als in der Gesamtheit. Manche Kapitel scheinen die Geschichte nur auf Länge zu bringen; so bleibt der gesamte Handlungsstrang um den Großgrundbesitzer Dailey belanglos: Was geschehen soll, geschieht auch ohne sein Zutun.
Der typische Protagonist einer Geistergeschichte ist ein Skeptiker. Es benötigt Zeit und eine Reihe eindeutig übernatürlicher Vorgänge, um ihn vom Spuk-Saulus zum Paulus zu bekehren. Arthur Kipps ist nach dem Willen von Susan Hill allerdings kein Fels in der Brandung, sondern eher ein Klotzkopf. Wenn es umzugehen beginnt, wissen wir Leser anders als der notorisch begriffsstutzige Kipps sofort, was geschieht und geschehen wird. Selbst der Grund für den Geisterspuk kann recht problemlos erraten werden. Spät wühlt sich Kipps durch Mrs. Drabblers Papiere und enthüllt dabei Hintergründe, die exakt dem Erwartungsbild entsprechen. Nur er benötigt viel Zeit, um seine Schlüsse daraus zu ziehen.
Gespenst nach Vorschrift
Die malerisch unheimlichen Kulissen können nicht verhehlen, dass Hill imitiert und Versatzstücke zusammensetzt, die nicht wirklich zueinander passen. Dazu kommt die widersprüchliche Charakterzeichnung des Helden, der einem Augenblick noch den wackeren Geisterjäger mimt, um im nächsten voller Panik aus Eel Marsh House zu flüchten - dies sogar ohne Sichtung eines Spuks.
Die Frau in Schwarz ist ein Klischee-Gespenst. Sie hat erlittenes und nie gesühntes Unrecht mit in den Tod genommen und rächt sich jetzt dafür. Hill bleibt vage, was die Beziehung zwischen dem Geist und Mrs. Drabbler betrifft. Dafür fädelt sie umständlich eine Rache ein, die nun den armen Kipps trifft. Wieder siegt im Vergleich M. R. James, der präzise begreiflich zu machen verstand, dass Geister prinzipiell böse sind und auch jene heimsuchen, die ihnen nur in die Quere kommen. Bei Hill funktioniert dieser Twist überhaupt nicht, zumal er in Melodramatik ertränkt wird.
Was Arthur Kipps im Eel Marsh House zustößt, ist wenig spektakulär. Hill geht eigentlich richtig davon aus, dass Grusel-Stimmung dies ausgleichen kann. Leider ist sie nicht sehr geschickt darin, sie entstehen zu lassen. Darüber hinaus steht sie auf dem Standpunkt, man müsse nicht alles erklären. Doch sie lässt zu vielen unbeantwortet. So müssten wir Leser beispielsweise erfahren, wer das Kinderzimmer in Eel Marsh House verwüstet hat und wieso dies geschah.
Zu viel los um Mitternacht
Ohnehin irritiert es, dass nicht nur die Frau in Schwarz umgeht. Eine Geisterkutsche rattert mehrfach über den Neunlebendamm und versinkt im Meer. Die Frau und die Passagiere der Kutsche ignorieren einander vollständig. Wer pfeift und lockt Kipps‘ Hund damit in die sumpfigen Marschen? Die Frau in Schwarz ist es nicht. Warum folgt sie, die ihr Schicksal an Crythin Gifford und Eel Marsh House bindet, plötzlich Kipps nach London? Dies ist ausschließlich dem Finaleffekt geschuldet, dem es auf diese Weise jede Tragik nimmt.
Susan Hill verbreitet nur oberflächliche Spannung. Allzu behauptet ist das Grauen, allzu gleichgültig lassen die Figuren (was sogar das Gespenst einschließt), allzu lang und mit unnötigen Abschweifungen zieht sich die Handlung hin, die M. R. James um drei Viertel gerafft und in eine richtig gute, böse, witzige Spukgeschichte verwandelt hätte.
Geisterspuk in Fernsehen und Kino
Das wiederbelebte Studio „Hammer Films“ brachte „Die Frau ins Schwarz“ 2012 in die Kinos. Ihm verdankt der Gruselfreund u. a. die zeitlos reizvollen „Dracula“-Filme mit Christopher Lee und Peter Cushing. Zwar musste es seine Pforten 1979 schließen, doch der Name wurde 2008 wieder für Filmproduktionen genutzt.
Für „Die Frau in Schwarz“ stand ein Budget in Höhe von 15 Mio. Dollar zur Verfügung. Die Kipps-Rolle übernahm Daniel Radcliffe, der sich nach dem Ende der „Harry-Potter“-Serie in neuen Rollen versuchte. Da Susan Hills Vorlage recht statisch war, wurde sie mit diversen Geisterattacken aufgepeppt. Trotzdem ist „Die Frau in Schwarz“ alles andere als ein Effekt-&-Splatter-Spektakel. Der Film spielte ein Mehrfaches seiner Produktionskosten ein und wurde zum bisher größten Erfolg der neuen „Hammer Films“. Die Kritikerstimmen waren verhalten, aber überwiegend positiv. Daraufhin erfüllte sich der wahre Fluch: „Die Frau in Schwarz II - Engel des Todes“ kam 2015 ins Kino - und fiel dort als Holzhammer-Horror durch.
Bevor Daniel Radcliffe von der rachsüchtigen Frau in Schwarz gepiesackt wurde, erlitt Adrian Rawlins als „Arthur Kidd“ erstmals 1989 dieses Schicksal. Zwar wurde „Die Frau in Schwarz“ ‚nur‘ als TV-Film umgesetzt, doch hielten hier die Veteranen Herbert Wise („Tales of the Unexpected“, „Inspector Morse“) als Regisseur und Nigel Kneale („Quatermass“-Serie) als Drehbuchautor die Fäden fest in der Hand. Die Fassung von 1989 hält sich enger an die Vorlage und gilt als moderner Klassiker der Fernseh-Phantastik.
Fazit:
Versuch einer Wiederbelebung der klassischen englischen „ghost story“, wie sie bis zum Zweiten Weltkrieg dominierte; diverse Passagen sind sehr stimmungsvoll geraten, aber die Story selbst ist plotschwach. wird zu stark ausgewalzt und bleibt allzu offensichtlich nur eine Kopie echter Grusel-Meister.
Susan Hill, Kampa Verlag
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