Judassohn
- Droemer-Knaur
- Erschienen: Januar 2010
- 6
Blutrünstige Wohltat
Sia fährt in Eiseskälte mit ihrem Motorrad nach Hause. Zwei Autos rasen durch das nächtliche Leipzig. Sie beschließt, ihnen zu folgen und landet in der Verbrennungskammer des Krematoriums. Die Vampirin beobachtet einen selbst für sie ungewöhnlichen Kampf und führt ihn zu Ende. Ihre Verwandten, Elena und Tochter Emma, bereiten ihre Silvesterparty vor. Als Sia endlich kurz vor zwölf die Wohnung betritt, sitzt eine ihr Unbekannte auf einem Thron von Leichen und greift sie an.
Eine Rückblende ins Jahr 1781 erzählt die Geschichte des Schilfbauern Tanguy, der eigentlich nur seine geliebte Gwenn heiraten will. Er macht sich auf, das Rätsel seiner Existenz zu lösen. Sandrine und an ihrer Seite die geliebte Aufhockerin Anjanka reisen durch ganz Europa - auf der Flucht und auf der Spur von Geheimnissen. Dominic de Marat hingegen ist bald ein Stück weiter und will Artefakte finden, die ihn befreien sollen. Zum Schluss kommt Harm Byrne ins Spiel - Londoner Unterweltboss, gnadenlos brutal und mächtig. Diesmal muss Sia ihre eigene Haut und das Leben von Elena und Emma retten. Denn eine seit Jahrhunderten geplante Rache droht sie zu überwältigen.
Geniale Verflechtung von Handlungssträngen
"Judassohn" beginnt rasant und abenteuerlich. Schnell erinnert sich der Leser an Sia und ihre Verwandten, die sie beschlossen hatte zu verschonen. Das nächtliche Leipzig zeigt seine verborgenen Ecken. Doch dann braucht er Geduld. Die Storys über die anderen drei Protagonisten sind anfangs nicht sehr eindeutig, obwohl auch in bewährter Heitz-Manier fesselnd und kurzweilig. Trotzdem reizt es den Leser, schon früher zu erfahren, wie es mit Sia im modernen Leipzig weiter geht.
In "Kinder des Judas" hatte Heitz genial die Entwicklung der Persönlichkeit Jitka gleich Scylla gleich Theresia beschrieben. Fehlte das beim "Drachenkaiser", hat er jetzt wieder bewiesen, dass äußere Ereignisse und Situationen sowie Erkenntnisse die Charaktere dazu bringen, sich zu ändern, zu wachsen. Dadurch ist der Roman nicht einfach nur ein schnelllebiger Thriller, sondern füttert auch unseren Geist. Die Leser seiner Werwolfromane "Ritus" und "Sanctum" sowie des Dämonenbuches "Blutportale" treffen alte Bekannte wieder. Es ist schon bewundernswert, wie Heitz seine anderen Geschichten und Handlungsstränge parat hat und sie miteinander verflicht. Mehrmals geben Werwölfe und Dämonendiener der Handlung ungeahnte Wendungen.
Freude machen seine Exkursionen in die Geschichte Europas, seine Interpretationen der französischen Revolution zum Beispiel. Eindrucksvoll auch der Bau und die Fahrt des ersten U-Bootes.
Bei Horror und Grausamkeit legt Heitz hier noch einen Zahn zu. Vor allem, wenn die Vampire vorher oder im Nachhinein zu den Opfern emotionale Beziehungen aufgebaut hatten.
Schizophren finden wir die Gestalt des Harm Byrne. In den vielen Jahren seines Unlebens hat er zwei Mal die Liebe erfahren dürfen. Immer wieder bemüht er sich, das Leben der Benachteiligten zu verschonen und hält sich dafür an Adlige und Reiche. Über Jahre hat er das Bedürfnis, einfach nur in Ruhe leben zu können. Die Wandlung zur berechnenden herrschsüchtigen Bestie vollzieht sich in kürzester Zeit. Obwohl das nicht wirklich in dieser Konsequenz nachvollziehbar ist, bringt es dem Roman große zu bewältigende Herausforderungen.
Dämonen und Werwölfe beeinflussen das Geschehen stark. Bei den Gruppen wäre dienlich gewesen, mehr und früher über ihre Motivationen zu erfahren. Wer "Blutportale" und die Werwolfromane nicht kennt, hat Schwierigkeiten, ihr Tun einzuordnen.
"Judassohn" ist eine Wohltat in der deutschen Literaturlandschaft und in der Welt der Vampire. Eine Leseprobe aus "Judastöchter" - soll im Dezember erscheinen - am Ende des Buches lässt Ärger aufkommen, dass wir noch Monate warten müssen.
Markus Heitz, Droemer-Knaur
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