Mary Wickford

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2009
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Mary Wickford
Mary Wickford
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Marcel Buelles
72°1001

Phantastik-Couch Rezension vonNov 2009

Die Geschichte einer Hexe im Rahmen eines Alternativuniversums

Mary Campbell wächst als Waise in einem amerikanischen Nonnenkloster auf. Als sie 1723 im Alter von siebzehn Jahren dessen schützende Mauern verläßt, erfährt sie, daß ihr richtiger Name Wickford ist. Außerdem erhält sie ein Amulett, von dem eine besondere Macht ausgeht, und ein Gemälde, das ihr als Geschenk hinterlassen worden war. In einem Puritanerdorf namens Old Haven an der Ostküste findet sie eine Anstellung beim örtlichen Pastor und ahnt noch nicht, daß dies kein Zufall ist. Sie war schon hundert Mal an diesem Ort - in ihren Träumen.

Der französische Autor Fabrice Colin fordert seinem Leser einiges ab. Er versetzt ihn nicht nur in ein Amerika des achtzehnten Jahrhunderts, das mit dem Amerika der damaligen Zeit nichts zu tun hat, er bringt auch immer wieder Charaktere, Geschichten, historische Begebenheiten in einem anderen Kontext ein oder gestaltet sie gleich vollständig um. Im Herzen seiner Erzählung befindet sich die junge Hexe Mary, die von ihren Kräften zu Beginn nichts ahnt, dann aber von einer geheimen Bruderschaft unterrichtet wird, um den Imperator zu besiegen, der die beiden Amerikas von der Stadt Gotham aus regiert und tyrannisiert. Er ist selbst ein großer Zauberer, der nur eine Mission kennt: Gott zu treffen, der in der Welt der Geister im Turm zu Babel an der höchsten Stelle sitzt und nur auf jemanden wartet, der es schafft, sich an den Heerscharen von Dämonen vorbeizukämpfen, die den Weg versperren. Dafür braucht er die Hilfe der mächtigsten Hexe, die es jemals gab, und die reinen Herzens sein muß: Mary. Er schreckt vor keiner Grausamkeit zurück, um sie zu einer Mitarbeit zu zwingen, doch Mary entwickelt ihre eigenen Ziele.

Colin bietet in seinem Buch, das im Original »La Malédiction d'Old Haven« heißt (etwa: Der Fluch von Old Haven), eine Tour de Force unterschiedlichster Kreaturen und Völker, bindet Dämonen und scheinbar Unsterbliche ein, die sich in einer erzwungen religiösen Welt der heiligen Inquisition erwehren müssen oder von ihr hingerichtet werden. Beachtliche Kräfte wurden in der weiblichen Linie an Mary weitergegeben, doch alleine hätte sie im Kampf gegen den Imperator keine Aussicht auf Erfolg. Erst durch den Unterricht der geheimen Bruderschaft von York lernt sie alles Notwendige - und die Bruderschaft hilft ihr bei der Suche nach ihrem Drachen. Nur diese Kreaturen verfügen über die Macht, Mary zu dem zu machen, was sich alle von ihr erhoffen.

Fantasy auf ungewöhnliche Art - komplex, verwirrend, andersweltig

Alles in allem eine äußerst komplexe Geschichte, die sprachlich schwierig gestaltet ist und dem Leser nicht nur abverlangt, konzentriert auf die schnellen Wechsel in den verschiedenen Ebenen einer Anderwelt zu achten, sondern ihn vor allem dazu zwingt, die oft leichtgängig erzählten, üblichen Fantasykonzepte aufzugeben und einmal um die Ecke zu denken. Im Zwiespalt zwischen Gut und Böse, Liebe und Haß, Religion und dem Glauben an ursprüngliche Kräfte, geraten Unschuldige ins Fegefeuer der Mächtigen, nur um von einem unschuldigen Mädchen gerettet zu werden, das am Ende der Erzählung nicht mehr unschuldig ist, und sich oft die Frage stellt, ob ihre Entscheidungen richtig waren. Ihr Schicksal gehört nicht ihr allein, sondern betrifft zahlreiche andere Menschen und Kreaturen, und entbehrt nicht einer gewissen Tragik.

Viele Handlungen scheinen unmotiviert, beliebig, aus einer Laune heraus zu geschehen, aber dieses Leben, diese Welt schildert Colin eindringlich und brutal, so daß man wirklich unerschütterlicher Optimist sein müßte, um nicht selbst bei der Lektüre zuweilen in Verzweiflung zu geraten. Die Darstellungsweise der Geschichte als Tagebuch Marys leistet ihren Beitrag zur Verwirrung, denn der Leser sieht alles aus der Perspektive dieser ungewöhnlichen Frau, die an zahlreichen Stellen nur als Spielball ihrer Emotionen und größerer Mächte als sie selbst zu existieren scheint.

Dieses Buch bedient sich typischer, fantastischer Elemente, doch der Grundtenor ist so düster, so von dämonischer Grausamkeit und Böswilligkeit erfüllt, daß man nicht umhin konnt, den erheblichen Unterschied zu den vielen literarischen Leichtgewichten in der modernen Fantasy zu erkennen. In diesem Fall handelt es sich um keine Frage des Geschmacks, sondern um die Frage, ob man bereit ist, sich von den eigenen Lesegewohnheiten zu lösen, und sich auch einmal durch ein Buch zu kämpfen, dessen Geschichte nicht leicht bekömmlich ist. Am Ende bleibt offen, ob sich Colin zuviel zugemutet hat oder ob die Mischung hätte funktionieren können.

Mary Wickford

Fabrice Colin, Heyne

Mary Wickford

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