Symbiose

  • Atlantis
  • Erschienen: Januar 2009
  • 1
Symbiose
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60°1001

Phantastik-Couch Rezension vonOkt 2009

The Future is wild

In einer Welt in nicht allzu ferner Zukunft sind Bedenken und Regulationen gegen Genmanipulation vollständig verschwunden und das Ölzeitalter ist inzwischen endgültig vorüber. Stattdessen wimmelt die neue Erde von genetisch konstruierten Bioformen wie SPAM-Tauben, Klokröten, Taxi-Greifen, Info-Straußen und Designerdrogen produzierenden Kriechtieren. Überdies ist die Menschheit in Kontakt mit außerirdischen Lebensformen, die das Bio-Engineering zu ungeahnten Möglichkeiten fortentwickelt haben. Bei aller psychedelischen Lebendigkeit dieser wahrhaft wilden Zukunftsvision bleibt das Ganze jedoch erstaunlich dystopisch.

Von Klokröten, Telefonschnecken und Psy-Fröschen

In diesem knallbunten Reigen der neuen Erde verweben sich die Wege einer Handvoll von Protagonisten zu einer einzigen großen (Sinn-) Suche. Aric Ekklopos, ein schlichter Kerl vom Lande, sucht die Weltenkaiserin; Leop sucht seine verschwundene Internetbekanntschaft, die Konstrukteurin Mooha; Aniaa sucht ihre außerirdische Freundin Pschist-i; Vita sucht ein außerirdisches Todesvirus, die (an "The Big Lebowski"s Nihilisten erinnernden) Anarchisten suchen den Umsturz und die Regierungen der Welt suchen einen Weg, nicht von dem riesigen Asteroiden vernichtet zu werden, der direkt auf die Erde zuhält. Ein Asteroid, der sich als gigantischer Hai entpuppt, der Planeten frisst.

Nach und nach bekommt die Fassade der schönen, neuen Welt immer tiefere Risse. Die außerirdischen Verbündeten der Menschen, die Vyrroc, nutzen die Erde als Giftköder für den Weltraumhai, um ihren eigenen Planeten zu retten. Die politische Elite der Erde wiederum nutzt die als Gegenleistung für ihr Stillschweigen transferierte Technologie, um sich heimlich vom Acker zu machen und schreckt dabei auch vor Mord nicht zurück, der simple Aric wird als Profilierungsgegenstand für Talkmaster, Politiker und Untergrundkämpfer missbraucht und die Kaiserin ist sicherlich nicht wegen ihrer politischen Fähigkeiten Kaiserin geworden. Zumindest in diesem einen Punkt hat sich in Posts postindustrieller Welt nichts geändert.

Biopunk und Metaphysik

Posts Buch ist durchaus komisch. In einem abgedrehten, absurden Sinn. Es wirkt wie eine überdrehte Kreuzung aus Gibsons "Neuromancer" und Adams "Raumschiff Titanic". Was zuerst einmal absolut positiv zu verstehen ist.

Die Erste Hälfte des Romans ist eine erfrischende, amüsante Variation zum Cyberpunk, die nicht umsonst den Titel "Biopunk" erhalten hat. Sie ist konsequent überspitzt und ausgereizt und zeichnet ein Bild von einer Welt voller Kommunikationsschnecken und Pizzalieferservice-Elfen, die dem zahlenden Kunden einen sexuellen Zweitnutzen bieten. Einer Welt, in der sämtliche Grenzen der Bioethik gefallen scheinen und der Mensch sich aus der Welt züchtet, wonach immer ihm gerade der Sinn steht. In seiner konsequenten Absurdität behält diese Welt jedoch immer noch den Anschein von Glaubwürdigkeit.

Und eben jene Absurdität sorgt auch für einen lockeren Humor, der zwar ohne Wortspiele und griffige One-Liner auskommt, jedoch genug Situationskomik und wahnwitzige Ideen bietet, um den Leser immer wieder zum schmunzeln zu bringen. Viel Potential also für eine schrille, bunte Welt der Zukunft und viele interessante Geschichten in diesem biotechnologischen Entwurf. Bis Post den Weltraumhai eintreffen lässt.

Dann kippt die Geschichte und wird plötzlich zu einem abstrusen Konstrukt, das sich schlagartig von "Neuromancer" abwendet und mehr dem metaphysisch verkleisterten dritten Teil von Pullmans "His Dark Materials" ähnelt. Und das geschieht auch noch derart abrupt, dass man sich für einen Moment fragt, ob man plötzlich in einem anderen Buch gelandet ist. Die Protagonisten sind noch immer die selben - doch in der neuen Umgebung des Buchendes wirken sie plötzlich deplaziert - und hier wird der Humor dadurch auch zum bloßen Slapstick

Zuviel ist nicht genug

Vielleicht hat Post zuviel gewollt. Vielleicht hätte er wirklich zwei Bücher schreiben sollen und nicht seine geniale Biopunk-Welt aus dem ersten Drittel des Romans im zweiten durch den Wolf drehen, sondern sie für eine konsequente Zukunftsvision nutzen sollen. Mit dem durchaus damit verbundenen, ernsten Hintergrund aus ethischen und moralischen Fragen zu bio-engineering und Speziezismus. Peter Jackon hat mit "District 9" ja gerade gezeigt, wie so etwas gelungen umgesetzt wird - und Post hatte noch vor Erscheinen des Filmes einen ähnlichen, richtigen (und richtig guten) Ansatz. Und dass er so etwas schreiben kann, hat er hier wieder bewiesen.

Wenn eben dieser Schluss nicht wäre, der einen mit dem unbefriedigenden Gefühl von "Äh... was?!" zurück lässt. Der philosophisch verstiegen wirkt und dabei doch das Potential verschenkt, besagte Fragen zu nachvollziehbaren, logischen Antworten zu bringen. Stattdessen eröffnet es nur zahlreiche neue Fragen, bringt unnötigerweise Götter ins Spiel - und lässt den Leser schließlich mit dem literarichen Äquivalent eines Psy-Frosch-Trips zurück: Bunt, irgendwie schön, schräg, mit einer Aufblitzen von Tiefgründigkeit und einer Ahnung der gesuchten Antworten, letztendlich aber weitgehend nutzlos und sinnfrei. Und etwas verkatert.

Symbiose

Uwe Post, Atlantis

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