Gesammelte Werke 1
- Heyne
- Erschienen: Januar 2010
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Empfehlenswerte Neuauflage zweier russischer Literaturgrößen
"Die Strugatzkis - das ist kraftvolle, talentierte, ernsthafte Literatur. Das ist wahre lebendige Klassik. Das sind galaktische Sterne von der Größenordnung eines Ray Bradbury oder eines Kurt Vonnegut, glauben Sie mir. Sie konnten sie bei sich auf der westlichen Hemisphäre nur nicht so gut sehen."
Mit dieser Feststellung endet das Vorwort von Dmitry Glukhovsky zum ersten Band der Gesammelten Werke von Arkadi und Boris Strugatzki - und ich bin nach der Lektüre mehr als geneigt, ihm zuzustimmen.
Dass mir persönlich diese "galaktischen Sterne" so lange entgangen sind, lag allerdings weniger am Eisernen Vorhang, als vielmehr am eigenen Desinteresse an dem Genre Science-Fiction, welches sich erst in den letzten Jahren gelegt hat und das mittlerweile (auch dank meisterhafter Autoren wie Frank Herbert, H.G. Wells oder Philip K. Dick) in eine regelrechte Faszination umgeschlagen ist. Die wird nun durch die neu editierte, optisch hochwertig gestaltete Strugatzki-Auflage des Heyne-Verlags weiter angeheizt, die alle drei Teile der Maxim-Kammerer-Trilogie ("Die bewohnte Insel", "Ein Käfer im Ameisenhaufen" und "Die Wellen ersticken den Wind") in einem Band vereint präsentiert und diese erstmals in ihrer unzensierten Form, für das deutsche Publikum lesbar macht. Treibende Kraft dabei war unter anderem Erik Simon, der für die Wiederherstellung des Originals verantwortlich zeichnet - und damit den vorliegenden Romanen den ursprünglichen Ton wiedergibt. Wie unterschwellig regimekritisch dieser war, und welchen Eingriffen sich die Brüder in der Sowjetdiktatur ausgesetzt sahen, zeigt das Nachwort Boris Strugatzkis, in dem er nicht nur den Entstehungsprozess der Geschichten erläutert, sondern auch Licht auf das Schriftstellerdasein im Schatten der allmächtigen Zensurbehörde wirft.
Auch wenn der Heyne-Verlag sie hier so präsentiert, ursprünglich war die Maxim-Kammerer-Trilogie nicht als solche konzipiert. Aufgrund der titelgebenden Hauptfigur und dem durchgehenden Thema ist es jedoch nur logisch, alle drei Romane gemeinsam abzubilden, zumal sie ein Kernstück der "Welt des Mittags" bilden. Dies ist die zweite Zeitebene des Zukunftszyklus der Strugatzkis, wobei sich "Mittag" auf den hohen Stand in der Entwicklung der menschlichen Zivilisation bezieht. Der Begriff kommt ursprünglich aus dem Titel bzw. Untertitel des erstmals 1962 erschienenen Episodenromans "Rückkehr - Mittag, 22. Jahrhundert." Zentrale Thematik ist die fortschreitende Expansion der Menschheit, welche im Geheimen mittels so genannter "Progressoren" den Fortschritt anderer Welten vorantreibt, selbst aber in der beständigen Furcht lebt, von einer weit überlegenen Art von Außerirdischen unterwandert zu werden. Die Angst vor den unbekannten "Wanderern" zieht sich durch alle drei Romane des Romans, wird allerdings aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet.
In "Die bewohnte Insel" begegnen wir zum ersten Mal Maxim Kammerer, hier noch ein junger Mitarbeiter der Freien Suche im Kosmos, der mit seinem Raumschiff auf Saraksch abgestürzt ist. Ein von endlosem Krieg und Atombomben versehrter Planet, regiert von den "Unbekannten Vätern", anonymen Machthabern, denen das Volk blindlings ins Verderben zu folgen scheint. Maxim versucht die herrschenden Zustände zu ändern, muss aber schon recht bald erkennen, dass nichts so ist, wie es zu sein scheint.
"Ein Käfer im Ameisenhaufen" spielt viele Jahre später. Maxim ist zurück auf der Erde und Mitarbeiter der KomKon 2, einer Organisation, die verantwortlich für die Sicherheit der Menschen ist und eingreift, sobald sich eine Bedrohung am Horizont abzeichnet. Eine solche Bedrohung scheint Lew Abalkin, ein ehemaliger Progressor, zu sein, weshalb Maxim auf die Jagd nach ihm geschickt wird.
Den Abschluss des Bands bildet "Die Wellen ersticken den Wind". Eine Sammlung von Dokumenten, Briefen und Berichten, mit denen der 89-jährige Maxim Kammerer, inzwischen selber Leiter der KomKon 2, auf die Ereignisse während der "Großen Offenbarung" zurückblickt.
Mehr soll vom Inhalt her nicht verraten werden, da der gesamte Zyklus letztlich von den überraschenden Wendungen, insbesondere im Fall von "Ein Käfer im Ameisenhaufen", lebt. Dieses zweite Buch ist in Aufbau und Handlung eng an einen Kriminalroman angelehnt, wenngleich die Strugatzki-Brüder den Leser absichtlich wichtige Details vorenthalten, um den Fall lösen zu können. Ein jeder soll sich selbst ein Bild von den Geschehnissen machen, die fehlenden Puzzleteile mittels der eigenen Fantasie ersetzen. Überhaupt verweigern sich die Strugatzkis dem Erklären oder Erläutern, was besonders in "Die bewohnte Insel" auffällt, wo man schlicht und ergreifend ins kalte Wasser geworfen wird. Vieles bleibt unverständlich, einiges bis zum Schluss unklar oder offen. Was für den Leser auf den ersten Blick schikanös wirkt, hat letztlich einen gewollten Effekt: Man beginnt sich mit der Situation des Maxim Kammerer zu identifizieren, versteht seine Verwirrung ob der bestehenden Verhältnisse auf Sarraksch. Vieles ergibt keinen Sinn, mancherlei Handlungen kann man überhaupt nicht nachvollziehen. Kurzum, man fühlt sich fremd.
Die Strugatzkis haben mit ihrer Art zu schreiben aus einer Not eine Tugend gemacht, war es doch in der Sowjetunion unmöglich, direkte Kritik am Regime zu äußern, ohne dafür hart bestraft zu werden. In die Science-Fiction zu flüchten, das als Genre bis heute nicht richtig ernst genommen wird, galt als eine Möglichkeit, die bestehenden Missverhältnisse über die in die Zukunft verlagerte Handlung anzuprangern. Dies wird zwischen den Zeilen, besonders in der jetzt vorliegenden ursprünglichen Fassung, mehr als deutlich. Der Drang des Menschen, die Natur und den Willen aller Lebewesen kontrollieren zu wollen, kann da zum Beispiel als Abrechnung mit der damaligen Zensur verstanden werden. Und die in "Die bewohnte Insel" geschilderten folgenschweren Nachwirkungen der Atombomben bedürfen angesichts des Wettrüstens im Kalten Krieg ebenfalls keinerlei Erklärung.
Nur selten werden die Strugatzkis in ihren Gefühlsäußerungen konkret, meist herrscht ein sachlicher, äußerst nüchterner Ton vor. Das ist vor allem zu Beginn mehr als gewöhnungsbedürftig. Freunde von Space-Opera und Abenteuern zwischen den Sternen werden mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits nach den ersten zweihundert Seiten kapitulieren, ergibt sich doch das Spannungselement nicht aus der Aktion, sondern vielmehr aus der Doppelbödigkeit der Handlung. Das geniale Element der Brüder Strugatzki kristallisiert sich nur nach und nach heraus. Und dafür braucht es beim Leser doch ein gewisses Maß an Geduld. Hat man sich auf den Stil allerdings erst einmal eingestellt, sich den Kern des Ganzen erarbeitet, wird der Wert der Lektüre deutlich. Nicht allein die Unterhaltung, sondern der philosophische Aspekt ist es, der die Werke von Arkadi und Boris Strugatzki besonders macht.
Eine Empfehlung für Freunde tiefgründiger und vielschichtiger Science-Fiction-Literatur, die ihre eigene Fantasie mit dem vorliegenden Werke teilen und sich nicht gänzlich von den Autoren allein unterhalten lassen wollen.
(Stefan Heidsiek, Januar 2013)
Boris Strugatzki, Heyne
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