Schatten über Blauenswede
„Nie hatte ein Ort so freundlich und harmlos ausgesehen wie Blauenswede an diesem Morgen. Man roch die dämmrig grünen Wälder und das Wasser, die Blumen in den Balkonkästen dufteten, die Leute auf der Straße waren gut gelaunt und schienen nicht einmal Birgits punkiges Outfit anstößig zu finden. Sie begann sich zu fragen, ob sie in der vergangenen Nacht nicht alle drei übergeschnappt waren, dass ihnen so absonderliche Dinge durch den Kopf gegangen waren."
Es versprechen die langweiligsten Ferien aller Zeiten zu werden. Ausgerechnet Blauenswede am See. Und dazu noch mit diesem Rotzlöffel Patrick, den sie schon vor 5 Jahren nicht ausstehen konnte, als Birgit mit ihrer Mutter das letzte Mal deren Freundin besucht hat. Doch ihre Meinung ändert sich, als sie sieht, dass sich Patrick zu einem ansehnlichen jungen Mann entwickelt hat. Nur seine Freunde sind, gelinde gesagt, etwas schräg. Allen voran der Technikbastler Arthur, der behauptet, mit seinem Funkgerät Botschaften Außerirdischer aus den Tiefen des Stausees zu empfangen. Doch tatsächlich gibt es einige unerklärliche Vorfälle, die mit dem Stausee in Verbindung stehen. Hat sich durch den Eingriff in die natürlichen Strukturen in dem künstlich geschaffenen Gewässer tatsächlich der Durchgang in eine andere Welt geöffnet? Und haben die Außerirdischen schon einen Teil der Blauensweder assimiliert („Die Dämonischen" lassen grüßen), so wie Patrick und seine Freunde vermuten? Der Höhepunkt der Ereignisse soll zum 10jährigen Bestehen des Stausees stattfinden. Und das ist in einigen Tagen.
Die richtige Mischung aus Teenieromatik und Geheimnis
Geschickt baut Barbara Büchner die unbeschwerte Sommerstimmung der Jugendlichen, allen voran Birgit, aus deren Sicht der Roman erzählt ist, auf. Tatsächlich fühlt man sich als (älterer) Leser zurückversetzt in eine Zeit sonnendurchtränkter Sorglosigkeit und Schwärmerei. Doch bald trüben Schatten die Ferien und das junge Glück von Birgit und Patrick. Die Anzeichen verdichten sich, dass tatsächlich etwas unnormales in dem Stausee und dem angeschlossenen Kraftwerk vor sich geht. Die Jugendlichen wagen sogar eine Bootsfahrt auf den See und gelangen dabei in die Dimension der gestaltwandlerischen Uobs, die schon längst ihre Helfershelfer auf Seiten der Menschen haben. Solange entwickelt sich „Der schwarze See" zwar leicht vorhersehbar, doch mit genug Drive und der richtigen Mischung aus Teenieromatik und Geheimnis, um nicht zu langweilen.
Leider gelingt es der Autorin nicht vollständig, die Geschichte abzurunden. Zu sehr „nur böse" werden die Uobs dargestellt, obwohl die Autorin an einer Stelle den Versuch unternimmt, die Außerirdischen ambivalenter zu gestalten. Zu glatt und wirkungslos gehen auch einige Dinge vonstatten (wie das Wiederauftauchen des jahrelang verschollenen Tauchers, der wie selbstverständlich in die Arme seiner Familie zurückkehrt und nie mehr gesehen wird). Gegen Ende wird der Roman sprunghafter und wirkt gehetzt. Der Fluss der Geschichte geht verloren.
Unvermeidlich wird auch Lovecraft selbst ins Spiel gebracht und diesem einmal mehr tatsächlichen Kontakt mit seinen Schöpfungen zugeschrieben. Das Ganze hat er dann als Fantasie getarnt, um nicht in der Klapse zu landen. Diese Idee wurde schon sehr oft verwendet. Hier hätte Barbara Büchner ruhig so mutig sein und den Roman komplett aus dem Lovecraft-Kontext lösen können.
Auch menschliche Seiten werden thematisiert
Neben den phantastischen Motiven spart Barbara Büchner in „Der schwarze See" auch unschöne Seiten der menschlichen Natur nicht aus. Alkoholismus, Habgier und Gleichgültigkeit werden ebenso thematisiert wie die Angst, die überwunden werden muss, um etwas zu erreichen. Das Ende, mit dem unserer Clique alles aus den Händen genommen wird, wirkt dem unglücklicherweise entgegen und dadurch unbefriedigend. Gerade jugendliche Leser könnten sich hilflos fühlen, da ihre Identifikationsfiguren nicht in der Lage waren, die Bedrohung durch die Uobs zu meistern.
„Der schwarze See" dürfte es schwer haben, für sein Zielpublikum, das ich vorwiegend in phantastikinteressierter Jugend sehe, erkennbar zu sein. Jugendliche könnten den Roman - aufgrund der doch eher dezenten Reihengestaltung - schlicht übersehen. Für Lovecraft-Jünger ist „Der schwarze See" eindeutig zu harmlos.
„Der schwarze See" ist der Auftaktband von Alisha Biondas neuer Reihe Ars Litterae im Sieben-Verlag. Die Umschlaggestaltung ist das sehr schöne Ergebnis einer Zusammenarbeit von Atelier Bonzai (Reihenlayout) und Mark Freier (Covermotiv). Mark Freier hat auch zwei sehr gelungene Innengrafiken beigesteuert, die die Uobs in ihrer tatsächlichen Form zeigen.
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