Niemand interessierte sich für ihn, dann ging er auf die andere Seite
Viktor war in Moskau ein unscheinbares graues Pflänzchen, die Welt wollte nichts mit ihm zu tun haben. Als Tel ihn auf einen Pfad im Wald führt, erinnert ihn das an eine Reise, die er als kleines Kind mit seiner Großmutter unternommen hatte. Bald wird ihm klar, dass er die Welt gewechselt hat. Häscher sind ihm von allen Seiten auf den Fersen. Denn der Clan des Wassers und der der Luft wollen ihn töten. Doch schon beim ersten Angriff entdeckt er ungeahnte Fähigkeiten in sich. Er macht sich auf von Gnomen betriebenen Eisenbahnrouten auf den Weg, um die verschwundene Tel wieder zu finden. An seiner Seite Wächter der Grauen Grenze, die ihn beschützen und ihm dienen wollen, nachdem sie ihn vorher überfallen hatten. Legt er sich zum Schlafen, überkommen ihn immer wieder Träume mit dem Fresssack. Er hat das Gefühl, dass dieser ihm in all dem Chaos etwas Wichtiges mitteilen will. Während die Elementarclans Ränke schmieden, fragt sich die Führerin des Katzenclans, auf welche Seite sie sich stellen soll. Doch ein Treffen mit Viktor macht ihr alles klar.
Spannend, aber nicht perfekt
Lukianenko schrieb "Drachenpfade" vor seinen "Wächter"-Werken. Da diese zu den erfolgreichsten Fantasyromanen gehören, hat sich wohl der Heyne-Verlag entschlossen, uns auch die Initiation eines möglichen Drachentöters in deutscher Sprache zu präsentieren. Eine gute Wahl! Lukianenko ist bekannt dafür, dass oft anfangs irgendwelche Dinge geschehen, bei denen sich niemand denken kann, wieso und warum sie passieren. Er beschert uns immer ein geheimnisvolles, undurchschaubares Entree. Das ist in Drachenpfade genauso wie in anderen seiner Bücher. Dabei kommt ihm sicherlich seine Ausbildung als Psychiater zugute, denn vieles ist erst mal für den gesunden Menschenverstand unlogisch und nicht fassbar. Das belässt den Leser immer in Spannung, überrascht ihn und zwingt ihn zum Nachdenken und Weiterlesen.
Wenn es einen Kritikpunkt gibt, dann genau zu diesem Thema. Lukianenko gibt hier schon für einen routinierten Leser viel zu früh den ersten Hinweis, der ziemlich klar die Auflösung des großen Rätsels vorwegnimmt. Auch die Reaktion Loj Iwers, der Führerin des Clans der Katzen, kann der Leser schon im Voraus vermuten. Trotzdem gestaltet sich das Buch äußerst spannend und wartet mit interessanten Ideen auf.
So hat Lukianenko die Welt sehr einfallsreich ausformuliert, es gibt interessante Orte wie die Hauptstadt des Wasserclans, eine Stadt voller seltsamer Paläste, Springbrunnen und Fallen, die nur darauf warten, Angreifer zu verschlingen. Es gibt Flüsse, die nicht nur stromabwärts, sondern gleichzeitig stromaufwärts fließen. Wir begegnen Gnomen, die ihre Eisenbahnroute bewachen und Verfolgten Obdach gewähren. Der Ballsaal des Katzenclans ermöglicht als neutraler Ort Gespräche. Dank einiger Gefallen vereinigt er die Magie aller Elementarclans. Berge, Höhlen und andere Orte fungieren als Zentren der Elemente. Und das Beste ist, aus diesen Bauteilen besteht eine funktionierende Zivilisation, die auf Macht beruht, der Macht einzelner und der Macht von bestimmten Gruppen.
Menschliche Grundbedürfnisse
Diese Zivilisation zeigt sich wesentlich urtümlicher als unsere eigene, so werden Kriege im Bett begonnen oder beendet. Komplexere Maschinen als Eisenbahnen sind kaum denkbar, es hat keine industrielle Zivilisation gegeben. So veranstalten Fürsten Gelage, Ritter voller Ehre stehen auf der Seite der offensichtlichen Gerechtigkeit, Betrunkene haben Glück. In diesem Buch geht es viel um archaische Bedürfnisse wie Sex, Essen und Macht, die dem Überleben dient. Lukianenko baut die Helden von unten auf, macht sie dadurch nachvollziehbar und sie wachsen einem ans Herz.
Sergej Lukianenko, Heyne
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