Fauler Zauber ist gar kein Zauber
Die psychisch labile Robin hat im Baird College ihr Studium aufgenommen. Auf dem Campus ist sie eine einsame Außenseiterin. Ihre Zimmergenossin ignoriert oder ärgert sie. An einem langen Thanksgiving-Wochenende, das sie lieber allein in im Wohnheim als daheim bei ihrer irren Mutter verbringt, hat sie genug: Im leeren Aufenthaltsraum des Heim will sie sich mit Tabletten umbringen.
Aber Robin ist nicht allein. Patrick, Lisa, Martin und Cain, vier ebenfalls lieber aushäusige Studenten, leisten ihr Gesellschaft. Bei Alkohol und Dope kommt man sich näher, und Lisa findet ein altes Hexenbrett. Da man nichts Besseres vorhat, versucht man Kontakt mit der Geisterwelt aufzunehmen.
Das gelingt wider Erwarten tatsächlich. Es meldet sich ein gewisser Zachery, der 1920 auf dem Campus bei einem Brand ums Leben kam. Die Aufregung ist groß, doch sie schlägt in Entsetzen um, als sich Zachery als gar nicht angenehmer Spuk entpuppt. Er ist großmäulig, grob und zunehmend bösartig. Bald geht es im Wohnheim unheimlich um. Klopfgeräusche ertönen, Möbel werden gerückt, Spiegel zersplittern. Seine fünf neuen ‚Freunde‘ will Zachery nicht mehr auslassen. Robin recherchiert und findet erschrocken heraus, dass bei dem Brand von 1920 nicht nur Zachery sein Ende fand: Mit ihm starben vier andere Studenten, die Opfer eines dämonischen Zeremoniells wurden, das sich nun offenbar wiederholen soll ...
Er kommt, wie es wohl kommen musste
Die Welt der modernen Unterhaltungsliteratur ist wundersam. „Die Inschrift", der Debütroman der jungen Autorin Alexandra Sokoloff, ist ein gutes Beispiel: Wieso kommt diese kümmerliche Spukgeschichte nicht nur zu einer deutschen Übersetzung, sondern wird auch noch als btb-Taschenbuch veröffentlicht? In dieser Reihe erscheinen normalerweise inhaltlich und stilistisch etwas ungewöhnlichere bzw. anspruchsvollere Werke?
Liegt es an der euphorischen Werbung? „Diese packende Geistergeschichte verspricht Spannung von der ersten bis zur letzten Seite", jauchzt die „Romantic Times". „Poltergeist lässt grüßen ... Gewürzt mit einer guten Prise erotischer Spannung, wird daraus eine ebenso atemberaubende wie bezaubernde Geschichte", dröhnt Kirkus Reviews", ein ‚Rezensions‘-Medium, das seit jeher noch den gröbsten Bockmist als Goldstroh zu verkaufen versucht. Allerdings: Nehmen wir diese beiden Jubelchöre wörtlich, sind wir durchaus im Bilde. So hat die „Romantic Times" ja Recht: „Die Inschrift" VERSPRICHT Spannung. Das Halten dieses Versprechens wird nicht garantiert.
„Poltergeist lässt grüßen": Stimmt ebenfalls, denn Sokoloff präsentiert keine Idee, die man nicht bereits an anderer Film- oder Buchstelle gesehen hätte. Vor allem Titel von Filmen wie „Witchboard - Die Hexenfalle", „Düstere Legenden", „Long Time Dead - Du bist der nächste!" u. a. schematisch gedrechselte Standard-Slasher, in denen dumme & geile Teenies sich mit bösen Geistern anlegen, können hier genannt werden.
Die „Prise erotischer Spannung" erschöpft sich in den üblichen pseudolibidinösen Wallungen, die einerseits grobschlächtig und damit typisch für besagte Hollywood-Teenies sind, und andererseits den sog. „Lady Thriller" definieren: pathetisch klingende Wortwolken wuchten über einem Trivialkonstrukt namens „Wahre Liebe".
Geister müssen nicht geistvoll sein
„Die Inschrift" (was spricht eigentlich gegen eine 1 : 1-Übersetzung von „The Harrowing" als „Das Grauen"?) ist das Werk einer Autorin, die sich auch stilistisch ausschließlich fremdbedient. Oder ist es die Übersetzung, die diesen Eindruck weckt? Sie unterstreicht durch ihre Groschenheft-Qualität ein Missvergnügen, das die Lektüre dieses Romans begleitet:
„Sie wirbelte herum.
Martin stand über ihr im düsteren Treppenhaus und sah zu ihr herunter.
‚Meine Güte‘, japste sie.
‚Ich muss mit dir reden‘, sagte er tonlos. Seine Stimme klang hohl in dem hohen Rundbau.
Sie ließ den Atem entweichen. ‚Und ich mit DIR.‘"
(S. 148)
Das ist ein völlig beliebig herausgegriffenes aber absolut repräsentatives Beispiel, denn so liest sich der gesamte Text. Immerhin sind die Figuren, die solche Nonsens-Dialoge führen, entsprechend flach gezeichnet. Was die Charakterisierung angeht, hat sich Sokoloff ohnehin wohl von der klassischen High-School-Schmonzette „The Breakfast Club" (1985) inspirieren lassen. Fünf Studenten von geradezu offensiver Wesensdifferenz finden und offenbaren einander bisher sorgfältig geheim gehaltene Seelenpein: Die scheue Schöne wurde vom Vater verlassen und wird von der verrückten Mutter gepiesackt, der Footballstar, der diesen Sport hasst, von seinem ehrgeizigen Vater mit Steroiden vollgepumpt, die fröhliche Schlampe hadert mit ihrem Hang zur Selbstzerstörung, der Musiker ist ein seelenversehrtes Waisenkind und - Sokoloff fürchtet wahrlich kein Klischee! - der Streber will nicht wie vom Papa gefordert Rabbi werden, weil er nicht an Gott glaubt.
Zachary ist als Gespenst ebenfalls keine Offenbarung. Während unsere fünf Helden seine Kasperaden offenen Mundes und leeren Hirns verfolgen, meldet sich beim Leser die Langeweile. Zachary buchstabiert kindische Beleidigungen, wirft mit Möbeln, lässt Spiegel zerspringen. Wieso sollten derartig ausgelutschte Albernheiten den Leser fesseln? Was ist das für ein Jenseits, in dem Hohlköpfe nicht nachreifen?
Flach & öde wie ein Parkplatz
Die Erzeugung einer Atmosphäre der Furcht gelingt nur, wenn die dafür notwendige Stimmung erzeugt wird. Im Interview erwähnt Sokoloff mehrfach die Schriftstellerin Shirley Jackson (1919-1965) mit ihrem phantastischen Meisterwerk „The Haunting of Hill House" (1959; dt. „Spuk in Hill House") als Vorbild, was reichlich vermessen ist. „The Haunting" ist literarischer Schrecken in Vollendung; das Werk einer Autorin, die ihren Stoff und ihr Publikum gleichermaßen im Griff hat. Anders als Sokoloff lässt Jackson die Wörter nie wie Brechdurchfall einfach laufen, sondern arbeitet mit ihnen, bis sich der erwünschte Effekt einstellt.
„Die Inschrift" ist quasiliterarisches Junk Food, was schlimmer ist als ein schlechter aber offen als reine Unterhaltung verfasster (Horror-) Roman. Sokoloff gibt vor etwas zu liefern, das sie nicht zu leisten vermag. Oder ist es die Werbung, die sie auf diese Schiene drängt? Ist Alexandra Sokoloff primär ein Geschöpf offensichtlichen Marketings? Sie ist eine schöne Frau, die auf Fotos und im TV-Interview eine gute Figur macht. Als langjährig in Hollywood beschäftigte Autorin weiß sie zudem um die Bedeutung einer soliden Selbstanpreisung, der sie nicht nur mit vielen Interviews, sondern auch als fleißige Bloggerin Rechnung trägt. Unabhängig von solchen Fragen bleibt es eine unerfreuliche Tatsache, dass wieder einmal der Leser die Zeche zahlen muss, der gutgläubig Geld und Zeit in hohles Blendwerk wie „Die Inschrift" investiert hat.
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