Dunkel kommt die Zukunft

  • Droemer-Knaur
  • Erschienen: Januar 1982
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Dunkel kommt die Zukunft
Dunkel kommt die Zukunft
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Michael Drewniok
75°1001

Phantastik-Couch Rezension vonApr 2009

Melancholischer Neubeginn nach der Apokalypse

I. Die vergangene Zukunft: In den 1980er Jahren des 20. Jahrhunderts intensivieren sich in den USA die Rassenkonflikte, bis schließlich ein neuer Bürgerkrieg ausbricht. Weiß kämpft gegen Schwarz, und Pardon wird nicht gegeben. Auf Beschluss der Vereinten Nationen werden die Vereinigten Staaten isoliert, Kanada und Mexiko schließen und befestigen ihre Grenzen.

Nach Jahren des Kampfes steht die „schwarze" Seite vor dem Aus. Die Übermacht der „Weißen" sowie interne Streitigkeiten fordern ihren Tribut. Unerbittlich gedenken die „Weißen" den ‚Feind‘ auszurotten. Außerhalb Nordamerikas nutzt die Sowjetunion das Verschwinden ihres alten Angstgegners USA, um die Weltherrschaft an sich zu reißen. Ein Atomschlag gegen China setzt die Apokalypse in Gang, die zum Untergang der Zivilisation führt.

II. Die gegenwärtige Zukunft: Jahrhunderte später ist die hochtechnisierte Welt der „Vorväter" nur mehr ein Mythos. Die großen Städte der Vergangenheit sind verfallene oder gar radioaktiv verstrahlte Rätsel. Von den wenigen Nachkommen der Überlebenden werden sie gemieden. Die Menschen sind wieder Ackerbauern und Farmer geworden, die isoliert in kleinen, weit voneinander entfernten Dörfern leben.

Durch die dichten Wälder dieser Zukunft zieht Kinkaid, der Heiler aus dem Land Pennsylvan. Ihn locken Visionen der versunkenen Vergangenheit in das sagenhafte „Michigan". Der Weg ist weit und gefährlich, und am Ufer des längst verlandeten Eriesees gerät Kinkaid in eine Auseinandersetzung zwischen Siedlern, Marodeuren und Mutanten. Unfreiwillig muss er Partei ergreifen, denn er findet einen Mann, der schon einmal dort war, wohin es Kinkaid zieht; helfen will er dem Neuankömmling nur, wenn dieser ihm hilft, seine entführte Tochter zu befreien ...

Kettenreaktionen der Apokalypse

Geschichten aus der Zeit nach dem „Großen Knall" sind in der Science Fiction so zahlreich, dass sie ein eigenes Subgenre - passend „Post-Doomsday-Stories" genannt - bilden. In dem knappen halben Jahrhundert des „Kalten Krieges" zwischen den Supermächten USA und UdSSR, also etwa zwischen 1945 und 1990, beschäftigte die Furcht vor „der Bombe" - eigentlich waren es sogar zwei: die Atom- und die Wasserstoffbombe - (nicht nur) die Schriftsteller einer Welt, die permanent vor der Selbstzerstörung zu stehen schien. Immer wieder wurden die atomare Apokalypse und vor allem ihre Folgen thematisiert, bis durch den Zerfall des „Ostblocks" neue Schreckgespenster - Ressourcenschwund, religiöser Wahn, sozialer Niedergang - auf der globalen Bühne spukten.

Robie Macauley schrieb „Dunkel kommt die Zukunft" 1979 und damit in einer Hochzeit der Angst vor dem Untergang. Als Afro-Amerikaner und 1919 geboren in einer Zeit, als Bürger mit dunkler Hautfarbe als Menschen zweiter Klasse galten, greift der Verfasser in und für seinen Roman einen weiteren zeitgenössischen Konflikt auf. Die zweite Hälfte der 1960er Jahre wurden in den USA zur Ära offen ausgetragener Rassenkonflikte. Die schwarze Bevölkerung forderte endlich und nachdrücklich die ihnen zustehenden aber vorenthaltenen Rechte. Dass reaktionäre weiße Gruppen dies um jeden Preis verhindern wollten, bewiesen u. a. die Morde an Bürgerrechtlern wie Martin Luther King oder Malcolm X. In der Folge kam es zu Rassenkämpfen, die Schlimmeres anzukündigen drohten: einen regelrechten Krieg zwischen weißen und schwarzen Bürgern, an dessen Ende der Genozid stand.

Macauley wertet den bei ihm tatsächlich stattfindenden Bürgerkrieg nicht unbedingt als Auslöser aber als wichtigen Katalysator des Untergangs. In der Welt, die er den namenlosen Chronisten der Apokalypse schildern lässt, gärt es ohnehin. Als die mit der Selbstzerfleischung beschäftigten und von der Weltgemeinschaft ausgegrenzten USA das „Gleichgewicht des Schreckens" nicht mehr austarieren können, kommt es zur Explosion.

Episoden aus einer kargen Zukunft

Offensichtlich war es Macauley wichtig, den Zusammenbruch detailliert und mit Bezug auf die reale Gegenwart zu beschreiben. Der Leser ist - zumal Jahrzehnte später - irritiert: Die beiden Erzählebenen des Romans wollen sich nie zu einem harmonischen Ganzen fügen. Lag dies in Macauley Absicht? Darüber kann an dieser Stelle nur spekuliert werden.

„Post-Doomsday"-Geschichten sind üblicherweise mehr oder weniger verkappte Warnungen vor dem Untergang. Sie enthalten eine Botschaft, die hier schwer zu entziffern ist, weil Macauley einerseits keinen Raum für Hoffnungen lässt. Der Krieg zwischen den Rassen endet bei ihm mit der völligen Vernichtung der „Schwarzen". Ihr Ende spielt für die zweite Handlungsebene jedoch keine Rolle. Will uns Macauley also verdeutlichen, dass der (weiße) Mensch keine dunkelhäutigen Mitmenschen benötigt, um einen Schädel zum Einschlagen zu finden? Der Kampf an den Ufern des atomar versumpften Eriesees wird mit Flinten und Messern ausgetragen, aber er kann es an brutaler Entschlossenheit mit dem Krieg aufnehmen, an dem uns der namenlose Chronist teilnehmen lässt.

Der hat Visionen von Kinkaid, der Jahrhunderte später durch die Wildnis zieht und nach seiner Niederschrift sucht. Umgekehrt tagträumt auch Kinkaid vom Chronisten. Beide ahnen, dass sie auf unterschiedlichen Zeitstufen leben, doch Handlungsrelevanz kann auch diese Entdeckung nie für sich beanspruchen.

Ab S. 57 lässt Macauley die Vergangenheit buchstäblich hinter sich. „Dunkel kommt die Zukunft" verwandelt sich in die episodenhafte und ausschnitthafte Schilderung einer Zukunft, deren Bewohner gerade die Katastrophe zu überwinden beginnen und den Neuanfang planen. Die Relikte der Vergangenheit sind ihnen Ansporn, Schatzkammer und Quelle stetiger Schrecken gleichzeitig, denn in den Ruinen stoßen sie immer wieder auf nützliche, aber auch auf gefährliche Hinterlassenschaften.

Kleine Dramen in einer stillen Welt

Es geschieht wenig, das sich spektakulär nennen ließe. Zwar wird viel geschossen und gestorben, doch Macauley macht deutlich, dass dies nur ‚kleine‘ Dramen in einer Welt sind, die vom Menschen nur noch bewohnt aber nicht mehr beherrscht wird. Hinter der nächsten Hügelkette hört man nichts mehr von den Getümmeln. Kinkaid begreift ansatzweise die aktuelle Bedeutungslosigkeit des Menschen. Konsequent macht ihn Macauley deshalb nicht zum Anführer einer neuen Zivilisation, sondern entlässt ihn allein, in ein offenes Ende und in eine ungewisse Zukunft.

„Dunkel kommt die Zukunft" gehört zu den (Science Fiction) Romanen, die durch ihre Sprache beeindrucken. Von Thomas Ziegler hervorragend ins Deutsche übersetzt, entfaltet Macauley die Kunst, eine mögliche Zukunft überaus anschaulich zu kreieren, ohne dabei auf Genreklischees zurückzugreifen. Zwar lässt auch er radioaktiv geschädigte Mutanten auftreten, doch diese sind nicht gefährlich, sondern eher tragische Randgestalten, die unter der Furcht und der Herablassung ihrer ‚gesunden‘ Nachbarn leiden: Die Mutanten der Zukunft werden zu den ‚neuen‘ Schwarzen, und die Geschichte wiederholt sich.

Macauley gelingen eindringliche Szenen, wenn er die Menschen der Zukunft mit den Artefakten der Vergangenheit konfrontiert. Es klingt komisch, wenn er beschreibt, wie Nichtigkeiten ehrfürchtig bestaunt und missverstanden werden, aber das Lachen bleibt im Halse stecken, weil Macauley die ‚Dummheit‘ unfreiwillig archaischer Menschen beschreibt, die es aufgrund der Unvernunft ihrer Ahnen nicht besser wissen können.

Wird Kinkaids Welt den Neustart schaffen? Macauley lässt auch diese Frage offen, aber er gibt Hoffnung. Kinkaid überlebt womöglich seine Odyssee und findet die Aufzeichnungen des Chronisten, die Aufschluss über die Fehler der verehrten „Vorväter" geben. Aus den Siedlungen am Eriesee wird man weitere Expeditionen in die Ruinenstädte schicken und Maschinen, Bücher und andere nützliche ‚Erbstücke‘ bergen - oder auf die gut bestückten Raketensilos der Vergangenheit stoßen, von denen alte Frauen in bildhaft überlieferten Schauermärchen erzählen ...

„Dunkel kommt die Zukunft" ist ein ‚anderer‘ SF-Roman. Die beschriebenen Schrecken mögen heute ein wenig angestaubt wirken, doch unter dieser Schicht lesen sie sich immer noch aktuell. Rasante Action gibt es nicht, Macauley lässt und nimmt sich die Zeit für Beschreibungen und gedankliche Reflexionen. Die Grundstimmung ist traurig, aber „Dunkel kommt die Zukunft" besitzt seine eigene Bannkraft, auf die einzulassen sich lohnt. Klingt das als Lob oder Empfehlung ein wenig dezent? Dann passt es zu diesem Buch ...

 

Dunkel kommt die Zukunft

Robie Macauley, Droemer-Knaur

Dunkel kommt die Zukunft

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