Böse

  • Bastei-Lübbe
  • Erschienen: Januar 2009
  • 8
Böse
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Michael Drewniok
25°1001

Phantastik-Couch Rezension vonMär 2009

Der Teufel kommt dieses Mal in Uniform

Willis, eine Kleinstadt in Arizona, schmort unter glühender Sommersonne. Lehrer Doug Albin freut sich auf die Ferien, die er mit Gattin Trish und Sohn Billy daheim verbringen möchte. Das Leben in dem abgeschiedenen Ort ist beschaulich. Jeder kennt jeden, Nachbarn helfen einander, Geheimnisse müssen sorgfältig gehütet werden, wenn sie gewahrt bleiben sollen.

Der Schock ist deshalb groß, als sich Bob Ronda, der leutselige und allseits beliebte Postbote, mit der Schrotflinte den Kopf wegschießt. Niemand kann sich einen Reim auf diese sinnlose Tat machen, aber schon am nächsten Tag fährt sein Nachfolger die Post aus. John Smith ist sein Name, und er scheint sehr tüchtig zu sein. Doug Albin kann ihn allerdings überhaupt nicht leiden; Smith strahlt etwas Bedrohliches aus.

Zudem beginnen seltsame Vorfälle für Verwirrung und Unfrieden zu sorgen. Rechnungen und Mahnungen werden nicht mehr zugestellt, Telefon- und Stromanschlüsse gekündigt. Viele Bürger erhalten Nachrichten von Familienangehörigen und Freunden, zu denen der Kontakt seit Jahren abgebrochen war. Diese Briefe sind geschickte Fälschungen. Andere Schreiben landen absichtlich falsch in nachbarschaftlichen Briefkästen. Oft liegen Nacktfotos bei, die bekannte Bürger bloßstellen.

Doug will Smith zur Rede stellen, doch der hat geschickt dafür gesorgt, dass es keine Beweise für seine Machenschaften gibt. Einige Bewohner von Willis glauben Doug zwar, aber voller Angst verweigern sie ihm die Hilfe. Der Terror verstärkt sich, offene Gewalt bricht aus. Smith nimmt die Albins direkt ins Visier. Verzweifelt sucht Doug nach einem Ausweg. Die Zeit drängt, denn Smith, der sich immer fester im Sattel wähnt, lässt seine Maske endgültig fallen ...

Dämonischer Schuss in den Ofen

„Böse" ist das seltene Beispiels eines Romans, der flüssig geschrieben ist und seine Leser trotzdem irritiert und verärgert zurücklässt. Der Plot ist bewährt und hat seine Tauglichkeit schon oft unter Beweis gestellt. Die Kleinstadt, hinter deren idyllischer Kulisse sich allerlei düstere Geheimnisse verbergen, ist ein klassisches Motiv, seine Bewohner, ‚durchschnittliche‘ US-Amerikaner, bilden einen gut eingeführten Figuren-Pool. Aber irgendwie geht Bentley Little alles schief.

Der Plot: In eine kleine, von der Außenwelt bereits geografisch isolierte Gemeinde kommt John Smith, ein Dämon in Menschengestalt. Er schlüpft in die Rolle des Postboten und damit in eine Position, die es ihm möglich macht, sich mit privatem und beruflichem Hintergrundwissen zu versorgen, das er benötigt, um die Menschen besagter Gemeinde gegeneinander aufzuhetzen. Wie man so etwas richtig macht, hätte Smith vielleicht vorher bei seinem Dämonenkollegen Leland Gaunt erfragen sollen, der 1991 das neuenglische Städtchen Castle Rock heimsuchte. „Needful Things - In einer kleinen Stadt" wurde allerdings von Stephen King verfasst, der offensichtlich in einer ganz anderen Liga schreibt als Little. Der ‚borgt‘ sich nicht nur den Plot, sondern auch Kings Kleinstadt-Ambiente, vermag aber aus beidem wenig zu machen.

Horror im Dorf der Holzköpfe

Was hat Postbote Smith den guten Menschen von Willis nur ins Wasser getan? Wie sonst ließe sich deren kollektive Irrationalität erklären? So fern von Gut und Böse kann selbst die Bürgerschaft eines Provinznestes in Arizona nicht sein, dass sie sich von einem einzigen Schurken - Dämon hin, Dämon her - aus den Angeln heben ließe! Schon bald weiß nicht nur Lehrer Albin, dass Smith ein Betrüger ist. Es geschieht - nichts! Seine Nachbarn werfen ihm wie dem einsamen Sheriff aus „12 Uhr mittags" die Haustüren ins Gesicht. Die örtliche Polizei ignoriert ihn. Wieso? Vermutlich vor allem deshalb, weil der gute Doug sich so umständlich ausdrückt, dass kein Polizist versteht, was er eigentlich sagen will.

Little will uns außerdem glauben machen, dass der böse Postmann nicht nur die Bürger von Willis, sondern auch die US-Postbehörde, das Elektrizitätswerk oder die Telefongesellschaft wie Marionetten an seinen Fäden tanzen lassen kann. Das ist schwer genug zu glauben, ohne dass Little es uns so plump schildert. Selbst in der modernen Servicewüste würde es einem Unternehmen auffallen, wollte eine ganze Stadt plötzlich auf seine Dienste verzichten.

In Willis bricht ob der falschen Briefe erst Unruhe und dann der Bürgerkrieg aus. Alle wissen, wer hinter der Hetze steckt. Statt sich zusammenzutun, um Smith auf die Postbude zu rücken, verkriechen sich seine Opfer in ihren Häusern und streiten sich munter weiter. Mit seinem Brett vor dem Kopf rennt jede/r rat- und sinnlos umher. Den moralischen Verfall der Menschen von Willis symbolisiert der Autor so: „Sein Haar hatte er anders gekämmt als sonst. Er hatte es in der Mitte gescheitelt, und das ließ ihn älter und härter aussehen." Gemeint ist Lane, Billy Albins Freund, der zwölf Jahre ‚alt‘ ist. Manipulation muss wesentlich subtiler inszeniert werden, wenn sie überzeugen und nicht zum Lachen reizen soll, Mr. Little!

Im Grunde bekommen sie, was sie verdienen

Erregt das Schicksal der Bürger von Willis beim Leser Mitleid? Ein deutliches NEIN ist die Antwort. Sogar seine Hauptfiguren, die Angehörigen der Lehrerfamilie Albin, denken und handeln so blöd, dass die Schweine sie beißen, wie man in Westfalen zu sagen pflegt. Wie Stephen King wollte Little typische Durchschnittsamerikaner als Sympathiefiguren zu literarischem Leben erwecken. Das ist augenscheinlich schwieriger als es scheint. Wenn dabei nur Trottel und Langweiler entstehen, gibt es erst recht ein Problem.

Little scheinen seine Figuren selbst wenig zu interessieren. Sie werden aufwändig eingeführt, um nicht selten irgendwann spurlos aus der Handlung zu verschwinden. Da ist zum Beispiel Stockley, den Verleger der örtlichen Zeitung, mit dem Doug Albin seinen Verdacht gegen Smith diskutiert. Einige Seiten später lesen wir, dass Stockley bewaffnet in der Bank von Willis Amok gelaufen ist, ein Dutzend Menschen erschossen und Selbstmord begangen hat. Wie kam es dazu, zumal er laut Little eindeutig wusste, dass Smith nur Lügen verbreitet? Andere Figuren enden ebenso irrational; Little schert sich nicht um die daraus resultierende Unlogik. Lieber inszeniert er drastische Schockeffekte und lässt u. a. die alte Irene in einer Badewanne sterben, in deren Wasser die Fragmente ihres zerstückelten Gatten treiben ...

Ein Teufel für dämliche Zeitgenossen

Ein Horror-Roman wie „Böse" steht und fällt mit der Qualität des Bösewichts. Den muss man hier einen Totalausfall nennen. Ein Postbote ist beim besten Willen keine Schreckensgestalt, auch wenn ihn Little oft und laut im nächtlichen Wald tanzen und singen lässt - das geschieht tatsächlich und soll wohl dämonische Fremdartigkeit suggerieren; der Leser denkt indes unwillkürlich an Rumpelstilzchen. („Ach wie gut, dass niemand weiß ...")

Weil selbst Little nicht entging, wie untauglich John Smith als Buhmann ist, pflanzt er seinen Figuren eine heilige Todesangst ein: Sie müssen den Postboten nur sehen, dann fährt sie ihnen tief ins Mark. Behaupteter Schrecken ist freilich wie feuchtes Schießpulver: Er zündet nicht. Der Leser bleibt ratlos mit seiner Frage, wie Smith solches Grauen verbreiten kann. Weil er der trutschigen Trish Albin feuchte Träume beschert? (Später schneidet er immerhin den Dorfhunden in Serie die Köpfe ab ...)

Das Ende des dämonischen Postboten wird zum traurigen Höhepunkt dieser missglückten Horrormär. Aus heiterem Himmel gelingt Albin, womit er bisher scheiterte: Die Bürger von Willis stellen sich auf seine Seite und bilden eine gemeinsame Front. Wären sie früher auf diese naheliegende Idee gekommen, hätten sich diverse Morde, Selbstmorde, Haustiermorde und andere Ungeheuerlichkeiten gar nicht erst ereignet. Damit wäre dieser Roman überflüssig geworden; nichtsdestotrotz gibt ihn, und weil er nun auch die deutschen Leser erzürnen kann, muss man wohl annehmen, dass John Smith zu schlechter Letzt doch triumphiert ...

Zwei Anmerkungen zur deutschen Ausgabe

- „Böse" erschien im US-Original nicht wie im Buchimpressum angegeben 2003, sondern bereits 1991; der Roman ist also schon ein wenig angejahrt, was den Lesern/Käufern offensichtlich vorenthalten werden soll. Das Alter lässt sich gut an der völligen Abwesenheit der heute allgegenwärtigen Handys erkennen; im 21. Jahrhundert wäre John Smith schon aufgrund der modernen Kommunikationstechnik mit seinem Postboten-Coup schmählich gescheitert ...

- „Kein Buch für schwache Nerven - und dabei bin ich wahrlich kein ängstlicher Zeitgenosse": Stephen King soll diese lobenden Worte geäußert haben, die prompt und werbewirksam auf dem Cover auftauchen. Verkauft King solche hohlen Elogen en gros? Schämt er sich nicht, seinen Namen herzugeben, mit dem Humpel-Horror wie „Böse" angepriesen werden kann? (Offensichtlich nicht.)

Böse

Bentley Little, Bastei-Lübbe

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