Die geheime Geschichte Moskaus
- Klett-Cotta
- Erschienen: Januar 2009
- 1
„Ein Blick hinter den früher eisernen Vorhang
Russische Phantastik ist aus dem Deutschen Verlagsprogrammen kaum mehr wegzudenken. Nachdem Sergej Lukianenko die Tür aufgestoßen hat, suchen Verlage wie Lektoren nach weiteren potentiellen Bestsellern. Klett-Cotta reiht sich hier nur in die Phalanx der Häuser ein, wobei man dem Herausgeber attestieren kann, ein glückliches Händchen in der Auswahl seiner Buches bewiesen zu haben. Bemerkenswert ist zunächst, dass die Autorin, die als Emigrantin in den USA lebt und arbeitet, ihr Werk in Englisch verfasst hat. Insoweit war die Suche nach einem Übersetzer dieses Mal einfacher.
Um was geht es nun die der etwas anderen Geschichte Moskaus? Zu Beginn des erfreulich dünnen Bandes lernen wir die junge Moskauerin Galina kennen. Seit ihrer frühsten Jugend sieht sie merkwürdige Dinge, als ungeliebtes Kind hatte sie immer Probleme mit sich und ihrer Familie. Die Behandlung in einer Psychiatrie zerstörte ihr Selbstvertrauen vollends. Noch bevor sie eines Morgens zur Arbeit gehen kann, geschieht gar Unerklärliches im häuslichen Badezimmer. Ihre hochschwangere Schwester kommt danieder, doch als Galina und ihre Mutter die verschlossene Badezimmertür aufbrechen, finden sie lediglich den neugebornen Jungen auf dem Boden. Das Fenster steht offen, eine Dohle schwingt sich eben vom Fensterbrett, von der Mutter des Kleinen fehlt - immerhin befinden wir uns im sechsten Stock - jegliche Spur.
Jakov, der örtliche Polizist nimmt die Vermisstenanzeige auf. Seit einigen Tagen häufen sich die Anzeigen, immer mehr respektable Personen verschwinden anscheinend spurlos. Die zunehmende Bandenkriminalität kann kaum hinter dieser Welle an vermissten stecken, doch wo sind die Menschen nur abgeblieben? Eine Zufallsbekanntschaft weist den Weg - dem Aussteiger und Maler Fjodor sind die vielen Vögel auch schon aufgefallen. Als die drei sich austauschen wollen, beobachten sie, wie ein Vogel durch eine Tür in einer Wasserlache am Boden verschwindet. Durch Schaufensterscheiben, Spiegel und Wasserpfützen kann man eine Welt betreten, die wohl verborgen unterhalb der russischen Metropole existiert.
Hier, tief unter den neumodischen Shopping-Malls, den Cafés und Andenkenläden, treffen sie nicht nur auf Jakovs Großvater, sondern auch auf die seit Jahrhunderten verschwundenen Sagenwesen der Stadt. Und sie treffen auf Menschen, die vor ihrer Schuld, vor ihrer inneren Einsamkeit geflohen sind. Als ein gefolterter Kleinmafiosi in dieser Welt auftaucht, bildet sich eine seltsame Allianz. Mythenwesen, unsere drei Menschen und Bewohner der Unterwelt machen sich auf, das Rätsel um die zu Vögeln mutierten Menschen zu lösen und stoßen auf einen perfiden Plan ...
Eine andere Fantasy, eine unbekannte Welt
Ekaterina Sedia hat ein Buch vorgelegt, das anders ist als das meiste, was uns die Verlage - gleich welchen Namens - allmonatlich offerieren. Geschickt nutzt sie ihre Herkunft, um aus dem reichen Sagen- und Mythenschatz ihrer Heimat zu schöpfen, uns mit für westliche Augen sicherlich mehr als ungewohnten Fabelwesen zu verzaubern. Sei es die Kuh Zemun, die einst die Milchstraße erschaffen hat, oder Meister Frost, die Auftretenden sind erfreulich anders und damit frisch und unverbraucht. Hierzu gesellt sich eine Handlung, die aktuelle gesellschaftspolitische Entwicklungen der russischen Hauptstadt mit einer eigenwilligen Ideen kombiniert. Mittels eines unauffälligen, nichts desto trotz aber sehr bewusst und angenehm zu lesenden Stils gelingt es der Autorin, den Leser - unmerklich zunächst - einzufangen. Dabei erzählt sie in vielen kleinen Geschichten in der Geschichte vom Schicksal ihrer Menschen. Wir erfahren viel über Leid, über Vereinsamung, Schuld und Reue. Das russische Herz, es weint - und dies rührt den Leser innerlich an. Man kann nicht beobachtend außen vor bleiben, der Leser wird gezwungen, Stellung zu beziehen, sich mit den Protagonisten zu identifizieren, sich auf die Schicksale einzulassen. Dazu gesellt sich eine märchenhafte Atmosphäre der phantastischen Unterwelt, die im krassen Gegensatz zu der harten Realität der Metropole steht. Aus diesem Zwiespalt zieht das Buch weitere Spannung. Die Lektüre der sehr guten Übersetzung ist flüssig, spannend, bereichernd, die Charaktere sind interessant, die Handlung frisch und spannend - was will man von einem guten Buch mehr erwarten?
Ekaterina Sedia, Klett-Cotta
Deine Meinung zu »Die geheime Geschichte Moskaus«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!