König der Pikten - Die Sage von Bran Mak Morn
- Bastei-Lübbe
- Erschienen: Januar 1975
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Vergangenheit im Nacken des Fortschritts
Fünf Kurzgeschichten, ein Story-Fragment und ein Gedicht erzählen vom Freiheitskampf der Pikten im vorzeitlichen Britannien:
- Vorwort (1932)
- Das vergessene Volk (The Lost Race; 1927): Bevor er ihn opfern will, erzählt der uralte Zauberer dem Gefangenen die Geschichte der nordenglischen Pikten.
- Schatten der Vergangenheit (Men of the Shadows; 1926/1969): Hexer Gonar enthüllt Bran Mak Morn, König der Pikten, die bis in die Urzeit zurückreichende Historie seines Volkes.
- Herrscher der Nacht (Kings of the Night; 1930): Im Kampf gegen die Römer steht Bran Mak Morn ein Krieger aus mythischer Vorzeit zur Seite.
- Gewürm der Erde (Worms of the Earth; 1932): Bran Mak Morn lässt sich hinreißen, im Kampf gegen die römischen Besatzer die Unterstützung unheimlicher, nur noch annähernd menschlicher ‚Verbündeter‘ zu suchen.
- Fragment (A gray sky arched ...; 1969): In der nordenglischen Einsamkeit begegnet ein piktischer Reisender erst einem Nordmann und dann einer Hexe.
- Der dunkle Mann (The Dark Man; 1931): Der Schwarze Turlogh jagt Thorfel den Schönen, einen Nordmann und Piraten, der die jungfräuliche Moira geraubt hat; sein Vorfahre Bran Mak Morn steht ihm dabei überirdisch zur Seite.
- Ein Lied des Volkes (A Song of the Race; 1969)
Freiheit oder den Tod - oder etwas wirklich Schreckliches
Ende der 1920er Jahre begann sich Robert E. Howard auf dem zeitgenössischen Markt der „Pulp“-Magazine zu etablieren. Er war nicht nur ein fabelhafter Geschichtenerzähler, sondern auch geschäftstüchtig, weshalb er bereit und fähig war zu liefern, was seine Herausgeber forderten. Bis sich einige Jahre später herausstellte, dass Conan, der Barbar, am besten ‚ging‘, stellte Howard seinen Lesern mehrere Helden vor, die zwar die für den Verfasser typische Schlagkräftigkeit einte, jedoch keineswegs so austauschbar waren, wie eine Howard wenig gewogene Literaturkritik lange monierte.
Zwar schrieb Howard schnell, aber keineswegs planlos. Mehrfach entwickelte bzw. überarbeitete er seine Version einer Historie, die lange vor die wissenschaftlich belegte Überlieferung in eine mystische Vorzeit zurückreichte. In diesen klug, weil bewusst lückenhaft bzw. locker formulierten Mikrokosmos, der seine Storys stützte, aber den Verfasser nicht einengte, fügte Howard auch die insgesamt fünf Storys ein, in denen Bran Mak Morn präsent war oder nur erwähnt wurde: „Der dunkle Mann“ spielt viele Jahrhunderte nach Brans Tod,
Zeit und Tod waren nie Konstanten für Howard. Folglich konnte Bran Mak Morn zu seinen Lebzeiten Seite an Seite mit Kull von Atlantis kämpfen („Herrscher der Nacht“), obwohl beide eigentlich Jahrhunderttausende trennen. Die Vergangenheit ist beinahe so präsent wie die Gegenwart. Wird sie nicht per Zauberkraft heraufbeschworen, hat sie womöglich dort überlebt, wo sie eine Nische finden konnte. Deshalb trifft Bran Mak Morn auf jene Schlange-Mensch-Mischwesen, die schon Kull mehrfach nach dem Leben trachteten („Gewürm der Erde“).
Fast vergessene Kreaturen unter uns
Howard hat diese Kreaturen immer wieder auftreten lassen. Selbst Conan musste sich mit ihnen herumschlagen, und noch im 20. Jahrhundert waren sie keineswegs ausgestorben. Freilich hat sich Howard diese im Laufe von Äonen immer stärker degenerierenden Schauergestalten nicht selbst ausgedacht, sondern sich von zwei verehrten Zeitgenossen inspirieren lassen.
Von H. P. Lovecraft (1890-1937) übernahm Howard das Konzept einer nur ansatzweise bekannten, weil tief in der Vergangenheit wurzelnden Historie, die nicht vom Menschen, sondern von ebenfalls intelligenten, aber fremdartigen, sogar außerirdischen Wesen geprägt wurde. Auch Arthur Machen (1863-1947) hatte solche ‚Nachbarn‘ postuliert, sie aber eher als Erscheinungen der irdischen Natur gesehen, die sich ihrer bewusst war und selbst aktiv werden konnte, während andererseits der Mensch die Krone einer Schöpfung darstellte, die wesentlich komplexer ist, als es die Wissenschaft erfassen kann.
Die Menschen schleppen ihren eigenen Ballast mit sich. Bran ist stolz auf die uralte Geschichte der Pikten, seufzt aber mehrfach über die Konsequenzen einer Vergangenheit, die wie ein Alb auf ihm lastet, der durchaus begriffen hat, dass alte Zöpfe abgeschnitten werden müssen, um in neuen Zeiten Fuß fassen zu können. Damit er die Verantwortung der Vorgeschichte ja nie vergisst, ist ihm der uralte Zaubermeister Gonar gleichzeitig Ratgeber und Mahner. Doch Bran will frei von solchen Pflichten sein, um sich aktuellen Herausforderungen zu stellen.
Zwischen Ahnen und Wissen
Wenig ist wissenschaftlich belegt aus der Frühzeit Englands. Bran Mak Morn tritt in den ersten Jahren des zweiten Jahrhunderts nach Christus als (fiktiver) König und Freiheitskämpfer auf. Howard profitierte von den Lücken einer Geschichtsschreibung, die immerhin auf römischer Seite einige Fakten lieferte, mit denen er als Verfasser arbeiten und ‚spielen‘ konnte. Nichtsdestotrotz sollte man Howard, der so trügerisch kundig Namen und Fakten nennt, sachlich niemals Glauben schenken.
Zwar hat es die Pikten wirklich gegeben, doch für sie interessierte sich Howard nicht wirklich. In einem längeren Text, der dieser Sammlung vorangestellt ist, beschreibt er eine Faszination, die in erster Linie seiner persönlichen Vorstellungskraft entsprang. Howards Pikten sind die Schöpfung eines Schriftstellers, der sich um die Realität nicht kümmern muss. ‚Seine‘ Pikten sind interessanter, denn sie sind dem profanen Alltag nicht unterworfen. Stattdessen mutieren sie zu affenähnlichen Gestalten bzw. sterben einerseits aus, während sie andererseits jederzeit zahlreich genug sind, den römischen Besatzern schwere Niederlagen zu bereiten - ein Widerspruch, den Howard nonchalant übergeht.
Die Römer in England sind eine historische Tatsache. Hier hält sich Howard einerseits an die Überlieferung, während er andererseits Personen und Ereignisse frei erfindet. Diese Melange stützt die ‚Glaubwürdigkeit‘ eines Geschehens, das ansonsten durch Tempo und intensive Dramatik bestimmt wird. Natürlich sind diese Storys trivial oder sogar konzeptfrei; „Das vergessene Volk“ und „Schatten der Vergangenheit“ haben nicht einmal konsistente Handlungen, und „Schatten …“ bricht ab, ohne dass wir jemals erfahren, wie es der Hauptfigur ergeht. Nur „Herrscher der Nacht“ und „Gewürm der Erde“ stellen Bran aktiv in den Mittelpunkt.
Mitreißend dank lupenreiner Trivialität
Diese beiden Storys stellen allerdings klar, wieso Robert E. Howard viele Jahrzehnte nach seinem Tod noch gelesen wird. Pathos kann leicht in Lächerlichkeit umschlagen, und Gewalt in Wort und Tat will dynamisch beschrieben werden. Howard vermied das eine und verstand das andere. Seine Figuren sind Klischees und tauschen Plattitüden aus, aber sie sind präsent. Hinzu kommt Howards Talent für Kampfgetümmel: „Herrscher der Nacht“ bietet mustergültige Rasanz (und Raserei). Howard schwelgt nicht in endlosen Schlachtszenen, sondern setzt Schlaglichter - und dies mit eindrucksvoller Mühelosigkeit.
Es gibt Schattenseiten. Howard stand keineswegs über zeitgenössischen kulturellen Vorurteilen. Er ließ sie reichlich in sein Werk einfließen. Hier sorgt vor allem „Ein Lied des Volkes“ - im Original deutlicher bzw. entlarvender „A Song of the Race“ betitelt - heute für ein Unbehagen, das über den Schnappatem-Reflex des „politisch nicht Korrekten“ hinausgeht.
Selbstverständlich stellt in dieser Welt die Frau keine Rolle. Sie wird als Kriegsbeute erwähnt und kann auch sonst nur im schützenden Umfeld ‚ihrer‘ Männer - Väter, Brüder, Lebensgefährten - existieren. Taucht einmal eine aktive Frau auf, kündigt dies Unheil an. Als Bran die mysteriöse Atla um Hilfe bittet (die dafür eine Liebesnacht einfordert), stellt sie sich prompt als gruselige Mischung aus Mensch und Schlange heraus („Gewürm der Erde“). Kann man solche Chauvinismen ertragen (oder ausblenden), sorgt Howard weiterhin für trivialen Lese-Spaß der oberen Güteklasse.
Anmerkung: Karl Edward Wagner (1945-1994) knüpfte 1976 direkt an die Storys „Herrscher der Nacht“ und „Gewürm der Erde“ an und schrieb den Pastiche-Roman „Legion from the Shadows“ (dt. „Legion der Schatten“).
Fazit:
Mal actionbetont, mal in epochalen Visionen schwelgend, aber stets Inhaltsbunt und rasant erzählt der Autor vom Freiheitskampf nordbritischer ‚Pikten‘, die sich mit menschlichen Feinden raufen, aber auch mit mythischen Kreaturen und Monstern konfrontiert werden: beste „Pulp“-Fantasy mit Horror-Effekten.
Robert E. Howard, Bastei-Lübbe
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