Morbus Sembten - 10 Mor(b)itaten
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- Erschienen: Januar 2007
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Einer der kreativsten und fähigsten Autoren der jungen deutschen Phantastikriege
„Es war, als handle es sich bei der verfluchten Villa um den Brennpunkt dieses nachtmahrdurchtränkten Stadtviertels, die Quelle all der hier schleichenden Alpträume - Eine Art obskurer Funkstation, die auf der Frequenz des menschlichen Unterbewußtseins Folterträume sendete ... „
(Das Wiegenlied)
Die Werbeagentur Kellerman & Dutch soll einen mysteriösen Slogan über den gesamten Erdball verbreiten und findet dafür auch ein geniales, nie dagewesenes Konzept. Doch was ist der tatsächliche Zweck der „Krakelkult-Kampagne"?
Mit „Die Krakelkult-Kampagne" schafft es Malte S. Sembten tatsächlich, eine moderne Cthulhu-Geschichte zu schreiben, die nicht von Lovecrafts Schatten überdeckt ist. Modern und eigenständig entwirft er ein Szenario, in dem sich die alten Götter die Möglichkeiten moderner Werbung zunutze machen. Warum nicht den Herdentrieb und die Sensationsgier der Massen nutzen, um die Botschaft Cthulhus zu verbreiten? Doch Malte Sembten gibt sich nicht damit zufrieden, die ungewöhnlichten und unbedachten Auswüchse der Krakelkult-Kampagne aufzuzeigen, sondern schwenkt im zweiten Teil der Story um in klassiche Lovecraft-Bahnen. Eine gelungene Verschmelzung klassischer und moderner Ansätze.
Ein sterbensnaher Millionär würde alles tun, um sein Leben zu verlängern, doch alle technischen Entwicklungen haben sich als Fehlschläge erwiesen. Ein Unbekannter ist bereit, ihm gegen ein gewisses „Blutgeld" zu helfen.
Leider kommt die Pointe von „Blutgeld" nicht so überraschend, wie es wünschenswert wäre. Zu klar lässt der Autor vorher das Wesen den geheimnisvollen Helfers durchblicken. Überhaupt scheint es so, als wären dem Autor die Kleinigkeiten, die dem Unbekannten Persönlichkeit verleihen (das Bild William Turners), wichtiger als die Auflösung der Story.
Angetrunken auf einer unbekannten Landstraße nehmen die Bullen auch noch den Schlüssel für seinen Wagen mit. Doch eine sexy Porschefahrerin im Fifties-Style hat ein Einsehen mit dem unglücklich Gestrandeten.
„Rock the Road" würde als Kurzfilm bestimmt gut funktionieren. Einsam, ohne die Möglichkeit, sein Auto zu starten neben einer fremden Straße. Ein klassisches modernes (wenn sich das nicht ausschließt) Horrorszenario, aus dem sich einiges machen lässt. Doch die Story lässt das Backwoods-Szenario hinter sich, um eine Art Akte X auf Speed zu werden.
Die aufgebrachte Stimmung erschüttert das Tribunal als „Horm, der Ketzter" seine gotteslästerlichen Ansichten über der Heiligtum seines Volkes und dessen Herkunft und Geschichte vorträgt.
Ein stark fokussierter Science-Fiction-Ausblick in eine Zeit weit nach dem Untergang der Erde. Nach und nach werden Wesen und Gestalt der agierenden Personen ins Licht gerückt. Das Ende bietet einen ähnlichen Knalleffekt wie einst „Planet der Affen". Doch damit nicht genug. Malte Sembten gelingt es hier zusätzlich, auf engstem Raum eine fesselnde Handlung mit filigraner Figurenzeichnung zu erarbeiten.
Was wäre, wenn Edgar Allan Poe sich in seinen Geschichten weit mehr von der Realität hätte beeinflussen lassen, als bisher angenommen? Diese Frage muss sich ein Poe-Sammler stellen, der zufällig ein Bild entdeckt, das ihn frappierend an die eingeflochtene Erzählung „Der Spukpalast" aus Poes „Haus Usher" erinnert.
Der Titel legt es nahe. „Der Spukpalast" ist Malte Sembtens Verbeugung vor Edgar Allan Poe. Die Geschichte beweist, das Sembten seinen Poe ebenso gut kennt wie zahlreiche Analytiker und Interpreten von dessen Werken. Diese macht er sich auch zunutze, nicht um damit zu prahlen, sondern um diese aufzugreifen und selbigen im Rahmen seiner Geschichte eine eigene Theorie hinzuzufügen. Der Spukpalast benutzt ein fiktives Was-wäre-wenn-Szenario, in dem wir einen Sammler bei einer zufälligen, aber weitreichenden Entdeckung der Poe-Forschung beobachten. Zunächt leidlich, eher gewohnheitsbedingt interessiert, fängt der Sammler bald Feuer und Flamme, als er das vermeintliche Kleinod der Poe-Historie entdeckt. Dann enthusiastisch bis zur Besessenheit wandelt sich der Ton der Geschichte parallel zum erwachten Jagdinstinkt der Hauptfigur. Dabei benutzt der Autor Poe'sche Motive nicht zur Blendung, sondern baut sie folgerichtig in seine eigene Schöpfung ein. Zum Ende hin wird Der Spukpalast so realitätsfern und mythisch wie die hier oft erwähnte Geschichte von Arthur Gordon Pym.
Als Kriegsheld ausgezeichnet kehrt der Erzähler in die Hauptstadt zurück. Aus einem Filmbesuch, der der Zerstreuung dienen soll, wird, als die junge Frau den Vorführsaal betritt, ein „Kino der Gefühle".
„Kino der Gefühle" zeigt, dass Malte Sembten auch auf wenigen Seiten mit seinen Stärken überzeugen kann. Treffende, lebendige Formulierungen, eine fesselnden Geschichte und eine unvorhersehbare Pointe.
Eine anonyme Offerte verspricht der Schauspielerin den lustvollen Kitzel, den ihr die körperliche Züchtigung stets bereitet. Sie nimmt das Angebot des unerkannten Verehrers an, nach ihrem abendlichen Auftritt in dessen Haus zu kommen. Dort verwandelt sie „Der Hautbiograph vom Grosvenor Square" nach und nach in ein weiteres Kapitel seiner Bibliothek.
Da ist sie also, die brachiale Seite von Malte S. Sembten. Zunächst verfasst für die Szenezeitung der Hamburger S/M-Gesellschaft, war selbst diesem geneigten Klientel „Der Hautbiograph vom Grosvenor Square" zu „heiß" für eine Veröffentlichung. Dem zartbesaiteten Leser möchte ich wirklich raten, die Geschichte zu überspringen. Der Autor geht schonungslos ins schmerzhafte Detail.
Was sucht der zeitreisende Auftragskiller in seinem Büro? Dieser sollte doch „Für eine Faust voll Euros" seinen Auftrag ausführen. Doch nach getaner Arbeit ist der Killer mit seiner Bezahlung unzufrieden.
Ein Zeitreisequickie, mit dem man sich mal wieder die Hirnwindungen verknoten kann. Die gesamte Geschichte muss gedanklich noch einmal Revue passieren, um den finalen Twist von „Für eine Faust voll Euros" erfassen zu können. Dieser wirkt allerdings - wie die gesamte Geschichte - etwas erzwungen und zu konstruiert. Darüber hinaus habe ich die Story als kleine Hommage an „Blade Runner" verstanden.
Der frischgebackener Student Hans Dormann ist verwundert über die ungewöhnliche Leblosigkeit seines neuen Wohnnviertels. Er wird Zeuge der seltsamen Gewohnheiten, die die Bewohner des Nachts zusammentreibt. Seit kurzem hört er vor dem Einschlafen immer wieder „Das Wiegenlied", bis auch er im Strudel des Schreckens gefangen ist.
Zunächst ruhig, fast alltäglich, beginnt „Das Wiegenlied". Doch bald steigert sich die Geschichte erbarmungslos und wird immer verstörender. Der Aufbau ist perfekt gelungen, die Auflösung stimmig und plausibel (für eine Horror-Story). Eigentlich eine klassische Gespenstergeschichte in einem modernen Gewand.
Durch den Anruf eines Reporters dem weihnachtlichen Familientisch entrissen, entwickelt sich dieses Fest der Liebe zum Albtraum für den Bürgermeister. Ein unerkannter Amoktäter scheint in seiner Stadt unterwegs zu sein, dessen Motto lautet: „Geben ist seliger denn nehmen".
Malte Sembtens Kollaboration mit Uwe Voehl gerät sehr action- und einfallsreich. Eine Weihnachts-Horror-Story, die trotz hohem Blutgehalt und politischer Inkorrektheit am Ende ein Gefühl von Hoffnung vermittelt (wenn auch auf Kosten einiger Opfer).
Um so kreativer, je kleiner der Spielraum ist
Malte S. Sembten darf wohl mit Recht als einer der kreativsten und fähigsten Autoren der jungen deutschen Phantastikriege gelten. Er versteht es, Stil und Stimmung stets in den Dienst seiner gut konstruierten Erzählungen zu stellen. Er macht den Leser zum Komplizen seiner Figuren, lässt ihn gemeinsam mit diesen in seinen Geschichten agieren. Er vermittelt ein Gefühl der Unmittelbarkeit. Seine Personen leben nicht in einer Kunstwelt, sondern nebenan in unserer realen Umgebung. Dabei scheint es, als wäre Malte Sembten um so kreativer, je kleiner sein Spielraum ist, sei es thematisch oder platzbedingt. Sobald er seine Kopfgeburten eindampfen muss, gelingt es ihm schlafwandlerisch, den Kern einer Geschichte zu erfassen und wiederzugeben.
Einziger Wermutstropfen ist, dass für den Preis von 16,- Euro lediglich eine der zehn Geschichten aus „Morbus Sembten" eine Erstveröffentlichung ist und die restlichen neun bereits in Anthologien/Magazinen veröffentlicht wurden. Dafür wird der Band von kurzen Anmerkungen des Autors zu jeder einzelnen Geschichte abgeschlossen.
Morbus Sembten ist, wie bereits zwei weitere Geschichtensammlungen von Malte Sembten, im Verlag Robert Richter erschienen. Dieser Verlag kann sich einer kleinen aber talentierten Stammschreiberschaft rühmen. Die Cover schrecken vielleicht den Leser auf den ersten Blick ab, da sie nichts großes dahinter erwarten lassen, doch das Risiko sollte man eingehen. Ein solch kleiner Verlag hat den Vorteil, dass keinerlei Anbiederung an den Massenmarkt und damit irgendeine Abmilderung/Zensur erfolgen muss.
Malte S. Sembten verweigert sich fast schon bewußt einer größeren Leserschaft, indem er mit seinen eigenen Veröffentlichungen bisher seinem kleinen Stammverlag treu bleibt. Darüber hinaus ist er ein gerngesehener Gast in Anthologien und Magazinen und auch selbst als Geschichtensammler tätig.
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