Isolde und Tristan neu aufgelegt
Es gibt wenige große Liebesgeschichten, die mythische Evergreens sind. Die tragische Erzählung der Liebenden Tristan und Isolde gehört dazu. Wagner schrieb eine Oper darüber, Gottfried von Straßburg weit davor ein berühmtes Versepos, das sich auf eine Vielzahl von Überlieferungen der Legende bezog, deren Wurzeln wahrscheinlich keltisch sind.
Jetzt knüpft sich die Autorin Ruth Nestvold, eine Amerikanerin, die seit 30 Jahren in Deutschland lebt, den Stoff in ihrem Debüt vor. Neu ist, dass Isolde, hier keltisch Yseult genannt, mehr in den Mittelpunkt gerückt wird. Das stellt die Autorin gleich auf der ersten Seite klar: „Die meisten Erzählungen über sie beginnen mit dem Mann. Diese hier beginnt mit der Frau."
Eriu und Rom - zwei Welten treffen aufeinander
Yseult wächst in Eriu auf, dem heutigen Irland. Die keltische Mythologie, in der von je her Göttinnen die Hauptrolle spielten, Magie existiert und eine Königin weit mehr als nur „Gemahlin von" ist, ist allgegenwärtig. Aber Roms Einfluss erreicht die grüne Insel. Yseult die Schöne und ihr Mutter Yseult die Weise werden mit der christlichen Religion, dem damit einhergehenden männlich orientierten Weltbild und sehr ungewohnten Moralvorstellungen konfrontiert. Auf einmal werden die alten Werte ihrer Naturreligion und Druiden völlig in Frage gestellt, schlimmer, es stehen die Rechte der beiden Frauen und ihre Selbstbestimmtheit auf dem Spiel.
Mehr durch Zufall als gewollt tötet Drystan, ein Prinz aus Cornwall, in einem Zweikampf den geliebten Onkel Yseults, wird dabei selbst so schwer verwundet, dass nur eine helfen kann: Yseult die Weise. Drystan gibt sich als ein Barde namens Tandrys aus und lässt sich vor der Küste von Eriu aussetzen. Der Plan geht auf. Fischer finden ihn, bringen den Todkranken zu Yseult der Weisen, diese hat Mitleid und pflegt den vermeintlichen Künstler zusammen mit ihrer Tochter gesund. Das Schicksal nimmt seinen Lauf: Yseult die Schöne und der Barde mit der sanften Stimme verlieben sich ineinander, ohne dass Yseult weiß, dass der Sänger der Mörder ihres Onkels ist, dem sie ewige Rache geschworen hat.
Als Yseult erkennt, wen sie vor sich hat, bricht für sie eine Welt zusammen. Die Liebenden trennen sich, Drystan verlässt Irland. Knapp zwei Jahre später kehrt er als Bote seines Vaters zurück, denn Yseult hat einer Vernunftehe mit Drystans Vater Marcus zugestimmt, um den Frieden zwischen Cornwall und Irland zu sichern. Aber die Liebenden kommen voneinander nicht los, gegen alle Konventionen und blind gegenüber jedem Risiko. Es kommt wie es kommen muss. Marcus ertappt seinen Sohn und seine Frau in flagranti und er will und wird Rache nehmen.
Verhaltene Magie und offene Leidenschaft
Es ist alles da - Magie, Liebe, Verrat, Verzweiflung und Tragik. Wie sollte es bei dem Stoff auch anders sein? Schön ist, wie Nestvold die Magie der Kelten ständig einstreut und doch ihre Natur in der Schwebe lässt, sei es die Gabe des Rufes, des Wandels oder des Wissens. Als Fantasy-Gläubiger kann man die Gaben als waschechte Magie verstehen, man kann sie aber auch gemäßigter als parapsychologische Phänomene oder Zufall interpretieren. Dadurch wirkt die mythische Atmosphäre nicht überzogen. Folglich ist der Liebestrank, den sich statt der werdenden Eheleute versehentlich Yseult und Drystan teilen, nicht länger Auslöser der Tragödie. Anders als in den klassischen Fassungen sind sie nach dem Trunk keinesfalls plötzlich willenlose, verzauberte Marionetten. Die beiden konnten schon vorher längst nicht mehr die Finger voneinander lassen, gerade weil es verboten war. Darin ist die Interpretation modern und glaubhaft. Nestvold bedient sich zwar kitschiger Stereotypen wie „Mondlichthaar" und „hungriger Küsse", nimmt aber ansonsten kein Blatt vor den Mund. Es geht in ihrer Fassung nicht um die romantische, schmachtende Verklärtheit lautenklimpernder Barden, sondern um Sex. Will heißen, es geht oft und gern zur Sache.
Schade ist, dass man von der ersten Seite an weiß, das Ganze wird nicht gut enden und sich die Entwicklung denken kann. Das schmälert die Spannung. Wahre Überraschungseffekte gibt es dementsprechend wenige. Immerhin nimmt sich Ruth Nestvold beim Ende einige Freiheiten heraus. Gut so.
Das Buch wird ganz sicher seine Leserinnen finden, bei Lesern bin ich nicht so sicher. Es wird Drystan und den anderen männlichen Figuren genug Raum gegeben, sogar König Arthur spielt eine wichtige Rolle und die Schlachten gegen die Sachsen. Aber der Titel, das romantische Cover inklusive Fackeln und feenhafter Lady sowie die Einleitung sind eindeutig auf weibliche Leser zugeschnitten. Besonders Leserinnen, die eine Schwäche für Liebesgeschichten und historische Romane haben, werden wie gewollt zugreifen und sich in diese „Zeit jenseits der Geschichte" - wie es im Klappentext heißt - vertiefen und es genießen. Alle anderen werden wahrscheinlich zögern und mit den Jungs, die „Flamme und Harfe" bestimmt verschmähen werden, um die Häuser ziehen. Ist ja auch was.
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