Schwammiges Geschwafel & scharfe Bilder
Mit einer Grundsatzfrage beginnt das Autorenduo sein Werk. „Was ist Horror?" (S. 8-17). Die Antwort soll ihnen überlassen sein; sie ist - soviel sei verraten - nicht einfach, denn dieses Genre ist für seine ‚weichen‘ Grenzen berüchtigt, wie auch die Furcht eine grundsätzlich schwierig zu definierende Größe bleibt. Penner & Schneider finden ihre Deutung, die sie mit bestimmten Filmtiteln verknüpfen bzw. illustrieren - oder illustrieren wollen, denn auch sie scheitern letztlich mit dem Versuch einer klaren Auslegung.
Wie bringt man Ordnung in ein Filmgenre, das ausgiebig den Realismus als Kriterium negiert? Penner & Schneider weichen vom üblichen chronologischen Konzept ab und bemühen sich um eine thematische Gliederung. Auch die ist subjektiv, wie sie offen zugeben. Nicht jeder Leser wird ihnen folgen, denn überzeugend ist sie nicht, und Überschneidungen kommen vor. Doch mutig wird die Ordnung gesucht und wie folgt gefunden:
Das Kapitel „Slasher und Serienmörder" (S. 18-35) dokumentiert den Horror, der nicht primär dem Übernatürlichen entstammt. Menschen sind es, die ihn verbreiten; allerdings keine ‚normalen‘ Zeitgenossen, sondern Psychopathen, die sich an Schmerz und Tod weiden. Sie trieben schon lange vor Hannibal Lecter ihr Unwesen, und manchmal kehren sie wieder, um als untote Schlächter erst recht Blut und Gekröse zu verstreuen.
Noch eine Stufe härter wird das Horrorkino, wenn es „Kannibalen, Freaks und Hinterwäldler" (S. 36-53) in den Mittelpunkt des Geschehens stellt. Penner & Schneider sehen hier eine direkte Verbindung zu den Kuriositätenkabinetten historischer Rummelplätze, in denen „Freaks" und „Missgeburten" die „normalen" Menschen wohlig schaudern ließen. Im Film schlagen die Außenseiter zurück und rächen sich für die Ausgrenzung.
Vergeltung ist ein zentrales Motiv des Horrorfilms. „Die Rache der Natur" (S. 54-69) beschwört der Mensch herauf, wenn er sie durch Umweltverschmutzung, Atomversuche oder genetische Experimente schädigt und herausfordert. Sie schlägt zurück, indem sich Tiere und Pflanzen in Ungeheuer verwandeln oder die Elemente selbst ‚lebendig‘ werden.
Die Zukunft wird mit eigenen Schrecken aufwarten. „Science-Fiction-Horror" (S. 70-93) stützt sich auf die Angst vor dem Fremden, das selten als Chance, sondern lieber las Gefahr gesehen wird. Die Außerirdischen kommen manchmal frontal, aber meist schleichen sie sich ein und übernehmen ihre Opfer, die als hilflose Sklaven im Spinnennetz ihrer exotischen Meister zappeln.
Aber auch wer mit beiden Beinen fest auf der Erde steht, ist keinesfalls in Sicherheit: Unter seinen Füßen warten womöglich schon „Die lebenden Toten" (S. 94-109) - Zombies, künstliche Monster und grauenhafte Mutationen, die von einem Weiterleben nach dem Tod künden, das kaum als Belohnung für einen makellosen Lebenswandel gelten kann.
Nicht einmal in den eigenen vier Wänden darf man sich sicher fühlen. „Geister und Spukhäuser" (S. 110-123) lauern dort, wo ihre Opfer besonders verletzlich sind. Gern tarnen sie sich und agieren verstohlen, bis sie die Maske fallen lassen. Wie die Außerirdischen nehmen Geister menschliche Gestalt an, um als „„Besessene, Dämonen und teuflische Bösewichte" (S. 124-139) Verderben zu bringen. Dabei können sie sich stets der Unterstützung durch „Voodoo, Sekten und Satanisten" (S. 140-153) gewiss sein.
‚Klassische‘ Horrorfiguren sind „Vampire und Werwölfe" (S. 154-171). Sie gehen offen ihren Gelüsten nach, wirken aber zurückhaltend im Vergleich zum „Ungeheuer in Frauengestalt" (S. 172-185), denn im Horrorfilm gewinnt das „schwache Geschlecht" an Stärke, die es ungewöhnlich handfest und deshalb umso erschreckender unter Beweis stellt.
Dem Haupttext folgen eine kurze Chronologie des Horrorfilms von 1910 bis 2004, eine Filmografie sowie eine Bibliografie und ein Fotonachweis.
Keine Quelle des Wissens: der Text
Wirr beginnt es mit dem Versuch, die Frage nach dem Wesen des Horrors zu klären: „Horror ist das Gegenwärtige, die Vergegenwärtigung. Die Tatsache, der man ins Auge sehen muss. Der Mörder, der vor dir steht, mit gefletschten Zähnen und erhobenem Messer ..." (S. 9) Das ist kein guter Auftakt, und leider geht es meist so weiter: Nichtssagender Schwurbel mischt sich mit hastig angerissenen, fast nie vertieften Fakten, dann folgt ein Schwall chronologisch kunterbunt gemischter Filmtitel, der Informationsgehalt vortäuschen soll.
Der Horrorfilm ist ein klassisches Genre und ziemlich genau so alt wie der Film überhaupt. Er verdient und benötigt deshalb eine Aufarbeitung, denn mehr als ein Jahrhundert schauerlicher Geschichte gehört nicht zum Allgemeinwissen. „Horror Cinema" könnte ohnehin nur einen Überblick bieten; 192 großzügig bebilderte Seiten lassen wenig Platz für das Thema erschöpfende Texte. Umso schlimmer, dass die Autoren Penner & Schneider sich nicht auf das Wesentliche konzentrieren, sondern in allseits bekannten Allgemeinplätzen schwelgen und von einer Anekdote zur nächsten springen. Am Ende seiner Lektüre ist der Leser nicht wirklich schlauer als vorher.
Fast schon gewöhnt hat sich der deutsche Leser an die holprigen Übersetzungen, mit denen er vor allem im Sachbuch-Bereich gern malträtiert wird. Ärgerlich sind dagegen Fehler, die in einem Buch, dessen Fotoauswahl von großer Sorgfalt kündet (s. u.), einfach nicht vorkommen dürfen. „Halloween" entstand 1978, nicht 1971, wie auf S. 26 gleich zweimal behauptet wird; auf S. 53 zeigen die drei gezeigten Fotos beileibe nicht sämtlich Szenen aus „Eraserhead"; auf den Seiten 64 u. 65 stammen die Standbilder aus „Godzilla" nicht aus der Verfilmung von 1954, auch wenn dies erneut zweimal dort gedruckt steht. Dies sind nur drei von vielen Fehlinformationen, die mit ein wenig Akribie hätten vermieden werden können.
Alles wird gut: die Fotos
Was der Text schmerzlich vermissen lässt, machen die Fotos wett. Sie stammen aus dem Fundus des Filmhistorikers David del Valle, der sich als Fachmann und Sammler auf den phantastischen Film spezialisiert hat, aus der reich bestückten „Kobal Collection" sowie aus dem Fundus der „British Film Institutes, Posters and Designs". Schweres Kunstdruckpapier und die großzügige Nutzung des Seitenformats von 30 mal 23 cm (Höhe mal Breite) lassen vor allem die Charakterstudien berühmter Filmfiguren und Masken (Bela Lugosi als Graf Dracula, Gunnar Hansen als Leatherface, Lon Chaney als Erik, das Phantom der Oper, Michael Berryman als Pluto, der Kannibale uva.) ungemein eindrucksvoll wirken, zumal die Qualität der ausgewählten Fotos makellos ist.
Erstaunlich ist die Freizügigkeit, mit der das Bildmaterial Filme illustriert - oder illustrieren darf -, die zumindest hierzulande von der Zensur (die es angeblich nicht mehr gibt, weil sie unter anderen Namen auftritt) misstrauisch beobachtet und gern unterdrückt werden. So lassen sich Fotos aus Machwerken wie „Blood Feast" oder „Nackt und zerfleischt" ‚bewundern", aber auch sonst wird deutlich gezeigt, was Maskenbildner in Sachen Verstümmelung und Verwesung leisten können.
Von besonderem Interesse sind jene Bilder, die Impressionen von Dreharbeiten vermitteln. Hinter den Kulissen des Horrorfilms gilt es viel zu leisten, um vor der Kamera Furcht und Schrecken zu erzeugen. Es ist spannend zu sehen, wie dies erreicht wird. Manche ikonische Szene des Grauens erfährt auf diese Weise eine überraschende Neubewertung ... (Vgl. z. B. S. 50: „Blutgericht in Texas"-Regisseur Tobe Hooper höchstpersönlich hilft „Leatherface" Hansen, ein weibliches Opfer an den Fleischerhaken zu hängen. Oder S. 29: Maskenbilder Tom Savini posiert mit dem ‚echten‘ Jason Vorhees - ohne Hockeymaske oder Kartoffelsack - aus „Freitag, der 13.") Nur diese wirklich tollen Bilder versöhnen mit einem enttäuschenden Werk, das gegen die übrigen Titel der „Film series"-Reihe des Taschen-Verlags deutlich abfällt.
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