Horror Asparagus Stories
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- Erschienen: Januar 1995
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Unangenehm, verstörend und mit Nachwirkung
Seltsam, dass er die stillgelegte Fabrik mit dem ungewöhnlichen, sternförmigen Grundriss noch nie entdeckt hat. Schließlich kommt er doch immer zum Ausspannen hierher. Und dann noch dieses seltsame Mädchen, das hier inmitten der Ruinen zu leben scheint.
Stephan Peters kindliche „Terry" erweist sich als (eingebildete?) Dämonin. Möglicherweise ein Sukkubus, der den Erzähler zu abscheulichen Taten treibt. Möglicherweise auch nur das Produkt seiner Fantasie, die ihm hilft, Abstand zum immer wiederkehrenden Schrecken zu halten.
Eine Mitternacht Anfang November. Die letzte Straßenbahn fällt aus doch glücklicherweise hat der Fahrer einer nächtlichen Dienstfahrt Erbarmen mit dem durchgefrorenen Passanten. Außer ihm befinden sich noch einige Fahrgäste in der Bahn. Plötzlich betreten auch noch vier Bahnbeamte den Zug und „Die Nacht, die es angeblich niemals gab" entwicklt sich zu einem blutigen Albtraum.
Nicht gerade zurückhaltend kommt „Die Nacht ..." daher. Brutal und blutig verrichten die Beamten, die immer mehr an Gestapo-Mitglieder erinnern, ihr tödliches Werk. Dabei liefert Frank Tireur keine Erklärungen, sondern lässt seine Geschichte über die klaustrophobische, panikartige Atmosphäre wirken.
Ernst Fleischmann erwacht ohne Erinnerung in einer psychatrischen Anstalt. Mühevolle Versuche, ihn in die Gesellschaft einzugliedern, sind nur zum Teil erfolgreich. Aufgrund eines Erinnerungsschubs gelangt er zu der Überzeugung, dass er bei einem Sturz von einer Brücke gestorben ist und nun als Toter unter Lebenden wandelt. In der Hoffnung, sich vollständig erinnern zu können, konzentriert er sich in der Folge auf die Suche nach dieser Brücke.
„Der Tote" ist Frank Festas äußerst interessante Variante von Ambrose Bierce „Der Zwischenfall an der Owl-Creek-Brücke". Unangenehm nahe für den Leser wird die erinnerungslose Zeit und das hoffnungslose vegetieren des Patienten durch die Ich-Perspektive vermittelt.
Während im kolonialen Herrschaftshaus eine Feier stattfindet, die zunehmend durch Auschweifungen geprägt ist, veranstaltet eine Gruppe Sklaven ein Ritual der Verwandlung.
Eher einen Sturm als einen Wind beschreibt Hardy Krüger (nicht der Schauspieler), der in „Vom Winde zerweht" über die selbsternannte Herrschaftsrasse kommt. Schnell, blutig und unversöhnlich.
Gelangweilt von seinem vorhersagbaren Tagesablauf, von wiederkehrenden Notwendigkeiten, die die Gesellschaft ihm aufbürdet, bricht der Erzähler mit seinen Gewohnheiten. Doch selbst diese gezwungene Andersartigkeit erscheint ihm sinnlos. Der einzige Ausweg aus der Tristesse scheint die physische Veränderung zu sein.
Als wirklich unangenheme Geschichte erweist sich „Verstümmelungs-Roulette". Die Schilderungen sind greifbar schmerzhaft, die Bilder vor dem inneren Auge blutgetränkt.
Ein neuer Auftrag für Rog. Seine Auftraggeber wissen, dass er der beste seines Fachs ist. Und in dieser Nacht beweist er einmal mehr, dass ihm Professionalität über alles geht.
So zielstrebig und konzentriert wie seine Figur erzählt Dirk Köhler seine Geschichte „Die Agentur". Eine tödliche Nacht in der Welt eines eiskalten Profikillers.
Der Videoproduzent Gonschorek, genannt Gonzo, ahnt nicht, was ihn erwartet, als er den alten Mann mit zurück ins Altersheim nimmt. Bevor er sich versieht, hält er ein Nazi-Artefakt in Händen, hinter dem auch eine Gruppe Altnazis her ist.
Wie einen Detektiv aus der klassichen schwarzen Serie lassen die Autoren ihren zynischen Helden in eine Ereignisfolge stolpern, die er selbst nicht beeinflussen kann. H.P. Karr und Walter Wehner gelingt ein konsequenter und sauber konstruierter Kurzkrimi bis hin zum Finale, das den Handlungskreis perfekt schließt. (Das Autorenduos hat noch weitere Gonzo-Geschichten und -Romane verfasst.)
T. und K., zwei Kinder, die von zuhause fortgelaufen sind. Beide haben ähnliche Träume von einem Mann, der sie bedroht. In einer kleinen Ortschaft schließlich treffen sich die beiden und beide treffen auf den Mann aus ihren Träumen.
Jenny Heinrich legt ein surreales Puzzle aus, dessen Teile nicht alle zusammen passen. Die Autorin spielt mit den Erwartungen und Assoziationen des Lesers. Dabei ergibt „Die Stimme" keine folgerichtige Geschichte aber die verstörende Wirkung ist um so stärker.
Die beiden Brüder Doug und Josh sind alleine zuhause, als plötzlich der Strom ausfällt. Der Sicherungskasten befindet sich im Keller, doch möglicherweise auch „Die Spinne, die kleine Jungen frisst", so wie es ihr Nachbar immer behauptet.
Andreas Kasprzak Geschichte lebt von den Dialogen der beiden Brüder und steigert die Spannung bis zum unerwarteten, dreckigen Ende
Von seiner Freundin verlassen ist Alvin entschlossen, einen Liebeszauber auszuprobiern. Eine merkwürdige Begegnung im Zauberladen ist nur der Auftakt für eine unvergessliche Nacht „Von Hühnern, Engeln und anderen Vögeln".
Der Autor verfügt unbedingt über ein gutes Gespür für Wortwahl und Satzbau und wie damit die gewünschte Wirkung zu erreichen ist („...was blieb noch außer übersinnlicher Spinnerei, wenn die sinnliche kein Garn mehr hatte?"). Politisch unkorrekt beschreibt Groblyn Marlowe eine Nacht voller Überraschungen für die fünf Personen, aus deren Sicht abwechselnd die Ereignisse erzählt werden. Nicht alle Assoziationen zünden richtig, aber dennoch konnte ich mir das Grinsen nicht verkneifen. Die Splatterszenen schießen für mein Empfinden über das Ziel hinaus. Trotzdem ein mehr als gelungener Abschlussbeitrag.
Ungeschminkt, unzensiert, unmittelbar
Gibt es den Begriff der „Sozialgroteske"? Für einige Beiträge der „Horror Asparagus Stories" sollte er erfunden werden.
So verstörend und seltsam wie der Titel und das Titelbild sind die einzelnen Beiträge.
Die Geschichten sind roh und wirken nicht vornehmlich über eine gewissenhaft aufgebaute Atmosphäre, sondern über ihre verstörenden Inhalte teils gepaart mit expliziten Gewaltszenen. Dabei möchte ich den Autoren keinesfalls ihr Talent absprechen. Im Gegenteil. Meiner Meinung nach ist in „Horror Asparagus Stories" erheblich viel Talent versteckt. Der Leser sollte nur vorher wissen, auf was er sich einlässt. Es ist erstaunlich, mit welcher Eindrücklichkeit die AutorInnen hier zu Werke gehen. Dabei erweist es sich als Glücksfall, dass ein solch kleiner Verlag nicht auf größe Käufermassen schielen muss, was zwangsläufig einer Zensur gleichkommt.
Unangenehm, verstörend, zynisch und teils schonungslos brutal berühren die Geschichten mehr als es der gemeine Mainstream vermag. Unerschrockene, die mal gerne abseits der breiten Wege unterwegs sind und sich gerne überraschen lassen, sollten einen Blick riskieren.
Der Herausgeber Robsie Richter prangert im Vorwort zunehmende faschistoide Tendenzen in Unterhaltungsmedien an (das Buch ist 1995 erschienen). Ich bin damit unbedingt bei ihm. Doch auch er selbst muss sich diesen (linken) Schuh für die Horror Asparagus Stories anziehen lassen, können diese doch ebenfalls die politische Ausrichtung ihrer Verfasser/Innen nicht verbergen. Robert Richters Kopfzerschmettern Medien versteht sich selbst als Plattform für Underground-Künstler. Hier wird Understatement gepflegt. Welcher unvorbelastete Leser würde denn auch schon ein Buch in die Hand nehmen, das sinngemäß etwa „Spargel des Schreckens" heißt?
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