Aufbruch in neue Welten der Galaxis Schema F
Im Dezember des Jahres 2379 (alter Kalender) steht das romulanische Imperium vor dem Abgrund. Nachdem der größenwahnsinnige Praetor Shinzon den gesamten Senat ermorden ließ, bevor er endlich gestoppt werden konnte (vgl. „Star Trek - Nemesis"), kämpfen diverse Fraktionen erbittert um die Macht. Die Föderation stellt sich offiziell auf die Seite der neuen Praetorin Tal'Aura, unterstützt aber auch die Bestrebungen des berühmten Botschafters Spock, der im Untergrund des Planeten Romulus seit Jahren auf eine Wiedervereinigung von Romulanern und Vulkaniern hinarbeitet. Weiterhin mischen der gefürchtete romulanische Geheimdienst, die geknechteten Remaner und weitere Gruppen in diesem Kampf mit.
Die Föderation ist an einem Zusammenbruch des Imperiums nicht interessiert; aus dem entstehenden Machtvakuum könnte ihm ein schlimmer Gegner erwachsen. Eine diplomatische Mission wird gen Romulus und Remus in Gang gesetzt. Vulkanische Verhandlungsspezialisten unterstützen die Föderationsdelegation. Nicht ablehnen konnte man ein ‚Hilfsangebot‘ der Klingonen, die bei diesem wichtigen Unternehmen keinesfalls außen vor bleiben wollen.
Angeführt wird die kleine Flotte von der neuen „U.S.S. Titan", ein Forschungsschiff, das sich noch in der Erprobungsphase befindet. Für William T. Riker, den ehemaligen 1. Offizier des Sternenflotten-Flaggschiffs „Enterprise", ist dies sein erstes eigenes Kommando. Unter Riker dienen 350 Besatzungsmitglieder, wobei Menschen in der Minderzahl sind. Die sogar für die Sternenflotte ungewöhnlich heterogene Zusammensetzung führt zu Missverständnissen und Reibungen, die der ohnehin komplizierten Mission wenig förderlich sind.
Die Schwierigkeiten beginnen sogar noch vor der Ankunft auf Romulus. Intrigen und Hinterlist lassen schon den Plan echter Verhandlungsgespräche utopisch erscheinen. Die Friedensdelegation kommt einigen Usurpatoren denkbar ungelegen. Doch was wäre, wenn man ihre Mission ins Gegenteil verkehrt, indem man zum Beispiel einen Krieg auslöst, in dem die Karten neu gemischt werden ...?
Relaunch statt Neubeginn
„Franchise": Das ist - vereinfacht ausgedrückt - ein Geschäftsmodell, das aus einer Idee soviel Profit wie möglich herausholt, wobei diese Idee möglichst ohne Aufwand so abgewandelt wird, dass sich mit ihr ständig neue Käuferschichten erschließen lassen. Auf diese Weise ist aus dem ursprünglichen „Star Trek", einer mäßig erfolgreichen TV-Serie, die nur drei Jahre lief, ein Multi-Milliarden-Unternehmen geworden, das „Star-Trek"-Filme, Fernsehserien, Romane, Comics, Merchandising-Artikel und viele weitere Devotionalien auf den Markt wirft.
Wobei der sich seit einiger Zeit als übersättigt bzw. nicht mehr so langmütig erweist wie noch in den 1990er Jahren, als unter dem Label „Star Trek" wirklich alles losgeschlagen werden konnte. Das Scheitern der TV-Serie „Star Trek: Enterprise" und der Schiffbruch des 10. Kinofilms „Nemesis" belegten eindrucksvoll, dass sich auch hartnäckige Fans nicht mehr mit dem immer wieder aufbereiteten Einheitsbrei zufriedengaben, mit dem das faul gewordene Franchise seine ‚Kunden‘ abzuspeisen gedachte.
„Back to the roots" lautet zumindest im Kino die Devise. Während besagtes Franchise mit "Star Trek XI" ängstlich in die glorreiche, hoffentlich den größten gemeinsamen Nenner aller Trekker darstellende Ära Kirk & Spock zurückkehrt, bleibt die eigentliche Zukunft dem Taschenbuch vorbehalten, einem Medium, mit dessen Hilfe sich ein Neubeginn wesentlich kostengünstiger und risikoärmer realisieren lässt. Wer also wissen möchte, wie es nach „Star Trek: Nemesis" weitergeht, greife zum ersten Band der „Titan"-Serie, der die „ST"-Chronik offiziell, d. h. mit dem Segen (und unter der Kontrolle) des Franchises fortsetzt. (Wobei diese Chronik so offiziell auch wieder nicht ist, da sich die ‚Realität‘ der „ST"-Filme nicht nach den Büchern zur Serie richtet.)
Wieder einmal dorthin, wo schon oft ein Mensch war
Man tausche die Namen des Raumschiffs und seiner Besatzung aus und landet dort, wo man schon mindestens zweimal gewesen ist: Die „Titan" ist sowohl Kirks „Enterprise" als auch Picards „Enterprise", und im Grunde ist sie auch Janeways „Voyager" und Archers „Enterprise" (oder Calhouns „Excalibur", aber wer kennt die schon?). Das Konzept der Reise ins Unbekannte wurde nur einmal aufgeweicht, als man es mit der Raumstation „Deep Space Nine" quasi im Weltraum fixierte.
Die Ähnlichkeiten zwischen dem ersten Aufbruch der „Enterprise-D" (unter Captain Jean-Luc Picard) und der „Titan" sind bemerkenswert - oder bestürzend. Dies negierend (oder ignorierend) schildert das Autorenduo Martin & Mangels über viele - sehr viele - Seiten Schiff und Besatzung. Das ist verständlich, gilt es doch die „Titan" und ihre Besatzung als Schauplatz bzw. Identifikationsfiguren einzuführen; mit an Bord ist schließlich auch das Franchise, das auf Nummer Sicher gehen möchte, soll doch die „Titan"-Serie möglichst lange laufen.
Man darf zudem nicht ungerecht sein: Martin & Mangels bemühen sich, diese Auftaktsequenzen in den parallel anlaufenden Hauptplot - den Romulus-Handlungsstrang - zu integrieren. Außerdem verknüpfen sie durchaus geschickt die ‚Gegenwart‘ des Jahres 2379 mit der „Star-Trek"-Vergangenheit: dem Kanon, den jeder Trekker kennt. Darüber hinaus scheuen die Autoren sich nicht, lose Fäden aufzugreifen, die das „ST"-Universum vor allem den Filmen und TV-Episoden verdankt. So werden wir u. a. über die wichtigsten Ereignisse im Alpha-Quadranten informiert, erfahren, was nach dem Shinzon-Desaster aus Picard und der „Enterprise-E" wurde, werden von Will Riker und Deanna Troi auf der „Titan" empfangen und bangen um Spock auf Romulus.
Martin & Mangels gehen in Details noch wesentlich weiter; womöglich nur der die inzwischen monumentale „ST"-Geschichte verinnerlichende Leser wird die zahlreichen Anspielungen auf frühe Randfiguren oder beiläufige Episoden erkennen. Die in schwerkraftfreier Umgebung geborene Melora Pazlar trat zum Beispiel in der 2. Staffel der Serie „Deep Space Nine" 1993 erstmals auf.
Auf der anderen Seite steckt allzu deutlich Absicht hinter der Methode: Auf der „Titan" soll sich der Trekker möglichst umgehend ‚wie zuhause‘ fühlen. Die Reminiszenzen an das „ST"-Universum und die Gastauftritte bekannter Figuren sind vor allem Köder. Sie locken den Leser, der genau das scheut, was dem Trekker gern nachgesagt wird: das wirklich Neue. Dass sich an Bord der „Titan" reichlich bizarre Intelligenzwesen tummeln, ist kein Ersatz, denn die daraus resultierenden, viel zu ausführlichen, mit saurem Moralin und angemotteter ‚Komik‘ gleichermaßen aufgeladenen Mensch-trifft-Alien-Szenen gehören zum Inhalt der „ST"-Klischeekiste.
Viel Wind um eigentlich nichts
Die „ST"-Historie ist längst ebenso Anker wie Klotz am Bein. Eine Fortsetzung der Saga konnte die Shinzon-Episode nicht ignorieren, obwohl sie sicherlich nicht zu den besten oder beliebtesten Einfällen der „ST"-Schöpfer gehört. Martin & Mangels machen aus den Not indes eine Tugend. Sie lassen das lachhafte Vater-Sohn-Drama um Picard und seinen Klon-‚Sohn‘ Shinzon beiseite und konzentrieren sich auf die wesentlich interessantere Hintergrundgeschichte, die sich unter den Titel „Krise im Romulanischen Imperium" setzen lässt.
Die ist von ähnlichem Kaliber wie der Kampf mit den Borg oder der Dominion-Krieg und eignet sich deshalb durchaus als Schablone für ein groß angelegtes Drama. Erneut nutzen die Autoren die Möglichkeiten, die ihnen das Medium Roman bietet; sie schaffen den Ereignissen einen dicht geknüpften Hintergrund, der die politische Lage innerhalb der Föderation, des Romulanischen Imperiums und des Klingonischen Reiches berücksichtigt, was in Film und Fernsehen so nicht möglich ist.
Solche Einbettung produziert viele Worte. „Titan 1" ist nicht nur aufgrund der komplizierten Namen manchmal schwer zu verfolgen. Wie in der Realität ist Politik kein simples Geschäft. Schon die Konstellationen der sich auf Romulus befehdenden Fraktionen bedürfen der gesteigerten Aufmerksamkeit. Dazu kochen die Vulkanier und erst recht die Klingonen eigene Süppchen, ganz zu schweigen von den Ego-Trips verschiedener Einzelpersonen. Gene Roddenberrys Visionen einer konfliktfreien Zukunft sind zumindest in außenpolitischer Hinsicht definitiv ad acta gelegt!
Soll „Star Trek" mit solchem ‚Realismus‘ zu ‚richtiger‘ Science Fiction aufgewertet werden? Diese Rechnung geht nur bedingt und oft genug gar nicht auf. Über endlosen Intrigen und das sich über Seiten hinziehende Diskutieren wird vernachlässigt, was „Star Trek" auch oder vor allem ist (oder war?): eine abenteuerliche SF-Serie, die mit Action nicht geizt. Action muss nichts Negatives sein. Hier vermisst man sie viel zu lange geradezu schmerzlich. Erst im letzten Viertel stellt sie sich (kurz) ein und sorgt für die ersehnte Belebung der Handlung.
Schieben wir das ganze ‚literarische‘ Beiwerk zur Seite, finden wir darunter ohnehin nur die üblichen Bausteine des typischen „Star-Trek"-Abenteuers. Man kann oder will nicht auf Bewährtes verzichten. Böse ausgedrückt: Man schafft es nicht, endlich Ballast abzuwerfen. Dazu gehören auch Rikers und Trois „Imzadi"-Faseleien, Tuvoks endloses Barmen um und über den vulkanischen Ehren- und Verhaltungskodex, der ausgelaugte Running-Gag vom klingonischen Gagh-Wurm-Fressen oder Sankt Spocks transzendentales Wandeln durch die Katakomben von Romulus.
So lässt sich das Geschehen trotz ständiger Perspektivenwechsel im Halbschlaf verfolgen, hat man sich erst einmal eingelesen. Da Martin & Mangels ihr Handwerk immerhin beherrschen, folgt man ihnen trotzdem und überspringt nur dann ganze Seiten, wenn die oben beschriebenen „ST"-Automatismen gar zu sehr nerven. „Titan 1" ist halt nur behauptet „Eine neue Ära" und stattdessen viel Routine unter einer blank polierten Oberfläche.
Das Ende ist keines und wirkt herbei gezwungen. Die „Titan" wird durch eine Raumspalte als „deus ex machina" in die Kleine Magellansche Wolke und unter neue unfreundliche Weltraumwesen versetzt, wodurch das „ST"-übliche Hin und Her erneut durchexerziert werden kann.
Roman mit Features
Wie schon im ersten Band der „Vanguard"-Trilogie spendiert der Cross-Cult-Verlag der deutschen Ausgabe von „Titan 1" verschiedene (pseudo-) dokumentarische Hintergrundinfos. Ins Auge sticht vor allem eine vierteilige Ausklapptafel, die - sogar farbig - Aufrisszeichnungen des Raumschiffs „Titan" von allen Seiten zeigt, was dem Leser die Orientierung erleichtert.
Weitere Informationen liefert Jörn Podehl: „Wie Rikers eigene Serie entstand", S. 360-364. Dem folgen Datenprofile der „Titan" („Ein neues Schiff", S. 365-367) sowie der „Drei an der Spitze" - gemeint sind William T. Riker, Christine Vale und Deanna Troi (S. 368-374) -, eine historische Bestandsaufnahme der „Krise um Romulus - Das Jahr 2379" (S. 375-378) und Kurzbiografien der Autoren (S. 379).
Andy Mangels, -
Deine Meinung zu »Eine neue Ära«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!