Die Ritter der vierzig Inseln
- Heyne
- Erschienen: Januar 2009
- 5
´Der Herr der Fliegen´ trifft ´Lost´
„Was soll man auf diesen vierzig Inseln groß herausfinden? Außerdem sind uns sehr enge Rahmenbedingungen gesteckt. Wir sind gezwungen, uns ständig zwischen Extremen hin und her zu bewegen. Wir müssen kämpfen, aber nicht nach Sonnenuntergang. Töten ist erlaubt, Zusammmenarbeit dagegen nicht. Siebzig Prozent sind Jungen, dreißig Mädchen. Allzu erwachsenes Verhalten ist unerwünscht: Das achtzehnte Lebensjahr hat hier noch keiner überstanden."
(Kapitel 8: Sergej von der Insel Nr. 4)
Nachdem ein Unbekannter seinen Fotoapparat auf ihn gerichtet hat, findet sich.der junge Dima unversehens in einer fremden Welt wieder. Diese besteht aus einer Gruppe von vierzig Inseln, versehen mit je einer Burg, die wiederum über je drei weit aufragende Brücken mit drei Nachbarburgen verbunden sind. Die Scheitel der Brücken trennen sich durch den Temperaturabfall am Abend und verbinden sich am Morgen durch die Wärmeausdehnung wieder. Auf jeder Insel leben 10-20 Kinder im Alter von 10-17 Jahren. Und es läuft ein Spiel um die Herrschaft aller Inseln, denn nur wer alle Inseln erobert, gelangt zurück in seine Welt.
Das große Spiel und seine Regeln
Mit vermeintlich leichter Feder etabliert Sergej Lukianenko bereits auf den ersten Seiten eine Situation, die sofort gefangen nimmt. Zusammen mit Dima wird der Leser aus den tristen Hochsommertagen Russlands in die fremde Welt der vierzig Inseln geschleudert. Dort trifft er auf Insel Nr. 36 ein. Die Gruppe Kinder, die dort leben, erklären ihm die Regeln dieser Welt.
Parallel zu Dimas Einweihung in die Gepflogenheiten und Spielregeln dieser Welt erwachsen immer mehr Fragen im Hinterstübchen des Lesers. Wer ist für die Entführungen der Kinder verantwortlich? Wo befinden sich die Kinder? Was bezweckt der Erfinder dieses grausamen Spiels?
Noch rätselhafter wird unser Abenteuer durch die schon frühzeitige Aufdeckung einiger Geheimnisse, die aber nur zu weiteren Fragen führen. So erwächst eine Beschäftigung des Lesers auf zwei Ebenen. Einerseits folgt er Dima, der sich an die neue Situation gewöhnen muss und gleichzeitig versucht der Verstand, sinnvolle Muster und wiederkehrende Strukturen in den scheinbar willkürlichen Vorgaben zu finden.
Als Neuankömmling muss sich Dima in das bestehende Machtgefüge seiner Insel einpassen. Und doch ist Dimas Ankunft der Auslöser für Umbrüche im Gefüge der vierzig Inseln (sonst würde der Roman keinen Sinn machen). Dima trifft auf ein Nachbarmädchen aus seiner realen Welt, das zufällig auf der nächstgelegenen Insel lebt. Sie schließt sich den 36ern an. Ideen werden geboren, wie man die Regeln der „Außerirdischen" möglicherweise großzügiger auslegen kann. Eine Konföderation entsteht, die das Ziel hat, die vierzig Inseln zu vereinen. Mit einem selbstgebauten Segelschiff macht sich eine kleine Gruppe der 36er auf die Reise, um die Idee der Allianz gegen die „Außerirdischen" zu verbreiten.
Da die Abwechslung auf Insel 36 doch begrenzt ist, macht diese Queste absolut Sinn. Und Lukianenko nutzt diese Möglichkeit bravourös. Wir lernen die wenigen Figuren auf dem Schiff genauer kennen, neue Personen - Freunde und Feinde - tauchen auf und weitere Geheimnisse der „Außerirdischen" werden entdeckt.
Mit dieser Kombination wirkt "Die Ritter der vierzig Inseln" wie eine Mischung aus William Goldings "Der Herr der Fliegen" und der Fernsehserie "Lost" (wobei diese später enstanden ist).
„Die Nacht ist die Zeit der überraschenden Entdeckungen"
Der Autor benutzt in "Die Ritter der vierzig Inseln" mehrere Techniken, die schon zu guten und spannenden Geschichten geführt haben. Zunächst die fremde Welt mit ihren seltsamen Regeln, in die die Kinder unvermittelt verschlagen werden. Natürlich vermutet das logische Denken dahinter Methode. Doch diese Methode aufzudecken bedarf es einiges an Gehirnschmalz und Deduktion. Weiterhin ergeben sich die Kinder plötzlich nicht mehr einfach in ihr Schiksal. Sie nehmen den Kampf gegen ihre fremden Entführer auf und begeben sich damit möglicherweise in Lebensgefahr.
Die Sprache des Romans ist einfach und damit dem Umstand angemessen, dass man als Leser alle Vorgänge durch Dimas Augen sieht. Die Schilderung der teilweise unerbittlichen Härte, mit der die Kinder aufeinender losgehen, wirkt zunächst befremdlich, hebt den Roman aber angenehm von der politisch gebügelten Konkurrenz aus dem Westen ab.
Lukianenko vermeidet es, gewisse Aspekte der Geschichte in den Vordergrund zu rücken. Er stellt die verschiedenen Teile seiner Geschichte gleichwertig nebeneinander. Nicht alles wird haarklein erklärt, das Gesamtbild zählt. Dadurch ergibt sich ein ausgewogens Ganzes in dieser Sammlung verschiedenster Teile. "Die Ritter der vierzig Inseln" ist vordergründig ein Fantasy/Abenteuer/Science-Fiction/Jugendroman, doch bei genauerem hinsehen auch ein gut verpacktes Statement zur Weltpolitik, denn plötzlich werden 40 kleine, von Kindern bewohnte Inseln in einem fremden Kosmos zu einem Spiegel unserer eigenen realen Welt. („Die Außerirdischen haben sich keinen Kopf gemacht wegen der Konföderation, denn sie wußten, dass sie auseinanderfallen würde. Vierzig Inseln. Vierzig verschiedene Gewohnheiten und Regeln. Inseln, die wie Demokratien geführt werden und solche, die wie Diktaturen funktionieren. Internationale Inseln und national einheitlich besetzte. Kleine Buben und Hünen wie ich. Wir wollen zwar alle wieder nach Hause, richtig. Aber wir wollen noch viel mehr. Und das nicht erst auf der Erde, sondern schon hier. Warten will keiner. Um keinen Preis.")
Ärgerlicher Etikettenschwindel
Die reißerische Werbung für diesen „neuen große Fantasy-Roman aus Russland" (Verlagswerbung) ist irreführender Etikettenschwindel. Sergej Lukianenko verfasste "Die Ritter der vierzig Inseln" schon zu Beginn seiner Schriftstellerkarriere. Erschienen ist das Buch in Russland bereits 1992. Mit dem Erfolg seiner Wächter-Romane (inkl. zugehöriger Filme) und der Entwurf- und Sternen-Duette hat sich Lukianenko zu einem weltweiten Goldesel entwickelt. Warum also nicht ein altes Buch als neues verkaufen? Eine Vorgehensweise, die auch schon bei anderen Autoren lukrativ war.
Und auch die Geschichte der vierzig Inseln geht weiter. Auf die „Ritter" folgte 1993 noch „Vojny Soroka Ostrovov", zu deutsch etwa „Die Kriege der vierzig Inseln".
Sergej Lukianenko, Heyne
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