Schale Fiktion
Die sechzehnjährige Jody Fargo verbringt die Nacht bei ihrer besten Freundin Evelyn und deren Familie. Schlechtes Timing. Denn eine Bande durchgeknallter Killer, die sich selbst die „Krulls" nennen, hat sich das Haus der Clarks als mörderischen Spielplatz auserkoren. Jody muss erleben, wie ihre Freundin brutal erstochen wird. Mit Glück, Raffinesse und der Hilfe eines Baseballschlägers gelingt ihr zusammen mit Evelyns Bruder Andy die Flucht. Die dummerweise nicht unbemerkt bleibt. So startet eine wilde Jagd durch die Nacht, an deren Ende sich Jody und Andy, mitgenommen, aber lebend, in der Obhut von Jodys Vater, dem Polizisten Jack Fargo wiederfinden. Die Killer können entkommen und wissen um die Identität Jodys. Die nächste Attacke lässt also nicht lange auf sich warten.
An Richard Laymon scheiden sich die Geister. Während ihn die einen für einen kultigen Autor derb spannender Horrorromane halten, gilt er den anderen als lausiger Erzeuger geistloser Ergüsse, der allzu offensichtlich pubertäre Sex-Fantastereien in brutale Schauergeschichten verpackt.
Ich bekenne mich freimütig zur zweiten Gruppe. „Die Jagd" belegt alle Einwände, die man gegen Krawallliteratur der Laymonschen Art nur haben kann. Was einigermaßen spannend mit einer atemlosen Hetzjagd beginnt, wird bald schon untergraben durch Laymons Bestreben, sexuelle Aspekte auf perfide Art in den Vordergrund zu schieben. Dass das erste Opfer mit einem Speer tödlich penetriert wird, mag noch zu den Standards des Genres gehören. Dass Jody im dünnen Nachthemd fliehen muss, ständig ihre Scham entblößt wird, sie nicht nur von den verfolgenden Killern - allen voran von jenem namens Simon, der später eigene Kapitel spendiert bekommt - betatscht wird, sondern auch der zwölfjährige Andy nicht an sich halten kann, seine Angebetete zu begrabbeln und ihr wilde Anträge zu machen, ist an Verlogenheit und Respektlosigkeit vor den eigenen Figuren kaum zu überbieten. Da wird die gesamte Familie des Jungen auf gewaltsame Weise ausgelöscht, und er denkt nur daran, wie er seine vorgeblich große Liebe gefügig machen kann. Dümmlicher geht es kaum. Hier fällt auf wie so oft, dass Laymon seinen Figuren jedes Mitfühlen völlig versagt. Es gibt keine traumatischen Zustände, keine Panik, sondern nur regelkonformes Reagieren, bezogen auf jenen Augenblick, den schale Fiktion gebiert. Es gibt Autoren, die können derartiges vermitteln. Aber dafür braucht es ein Konzept, dessen Teil die Protagonisten werden, und eine übergeordnete Weltsicht, die meist einen gesellschaftlichen Kollaps im Hinterkopf hat. Laymons Hinterköpfe sind nur dazu da, Auffangorte für stumpfe Gewalteinwirkung zu werden. Seinen Tätern fehlt jegliche Motivation, seinen Opfern ebenfalls. Wichtig ist ausschließlich, was an der Oberfläche geschieht. Schweißglänzende Schenkel, Erektionen; Waffen, die als Penisersatz missbraucht werden.
Dabei sind die ersten hundert Seiten noch das Gelungenste an der „Jagd". Denn so lange sich Laymon an die Befriedigung schlichter Oberflächenreize hält, kann er mit dem durchschnittlichen Groschenroman mithalten (abzüglich der unappetitlichen Vorliebe für halbnackte Teenager in verfänglichen Situationen).
Danach wird es nur noch erbärmlich. Seien es die Kapitel, die aus der Sicht Simons erzählt werden, jenes Mitglieds der „Krulls", dass sich ganz besonders in Jody verguckt hat; oder die langweilige mögliche Familienzusammenführung der Fargos, die den ganzen Mittelteil beherrscht. Hier reiht sich Klischee an Klischee, vieles wird behauptet, nichts belegt. Da trifft der Übervater auf die dralle Polizistin, während Jody mit ihrem eventuellen kleinen Bruder und Liebhaber in Spe konfrontiert wird. Die reinste Ödnis, nur noch getoppt durch Simons Erzählungen, die nichts anderes sind, als ein Runterrasseln fiktiver Fakten. Heute den getötet, morgen jenen gefoltert, vergewaltigt und ebenfalls umgebracht. Gangmitglieder verloren, neue hinzu gewonnen. Belanglose Phrasen, sinnlose Zeilenschinderei. Der Leser erfährt nichts, außer dass die Bösen böse und die Guten ziemlich gut sind. Wenn ihnen nicht gerade die eigene Libido im Weg steht. So plätschert die Handlung bedeutungslos vor sich hin, bis zum geschmacklosen Finale.
Das mit einem völlig überflüssigen Kapitel namens „Schießübungen" beginnt. Ein abgeschmacktes Loblied auf die NRA und ihre Plattitüden, wie der allseits bekannte Kernsatz, dass Waffen nicht töten, sondern nur der Mensch, der sie bedient. Natürlich kümmern sich skrupellose Gewalttäter auch nicht um das Verbot vollautomatischer Waffen, der Rechtschaffene hingegen schon. Warum aber sollen die Guten benachteiligt werden? Derartige Weisheiten treibt Laymons Personal auf der Flucht um. Hallelujah.
Schließlich der Showdown. Der grundlegende Fragen aufwirft. Wenn man davon ausgeht, dass Laymon Romane zur spannenden Unterhaltung schreibt (irgendeine gesellschaftliche, literarische oder sonstige Relevanz ist auf Kilometer nicht zu erkennen), sind dann (Beinahe-) Vergewaltigungen Minderjähriger und das Abschlachten von Kindern tatsächlich notwendige Mittel zur Spannungssteigerung? Muss das Reizlevel des potenziellen Lesers tatsächlich so hoch angesetzt werden, dass darunter kein wohliges Gruseln mehr entstehen kann?
Oder sollte Laymons schlichte Schreibe einem tieferen Ansinnen entspringen? Zu belegen, wie wenige und grobe Mittel es braucht, um „Entertainment" zu erzeugen. Dafür spräche, dass „Die Jagd" mit einem dieser schalen Witze endet, die für jede durchschnittliche Krimiserie der Siebziger und Achtziger typisch waren. Da können Kinder und ihre Eltern sterben, junge Frauen vergewaltigt werden, am Ende sind die Bösen erledigt, ohne Nachwirkungen sitzen oder liegen die übrig Gebliebenen beieinander und spielen Screwball Comedy.
Dagegen stellt sich die Leere des gesamten Werkes, das seine aufgeblasene Nichtigkeit zudem einem populären Kollegen entlehnt hat. Entspricht die Grundkonstellation der „Jagd" doch weitgehend Joe R. Lansdales „Nightrunners". Genügen Lansdale knapp zweihundert Seiten für ein stringentes Stück Literatur, das brutal, schnell und in seinen Charakterzeichnungen weit genauer und plausibler ausgefallen ist; pumpt Laymon sein dramaturgisches Monstrum fast auf das Dreifache auf. Den Fans scheint es zu gefallen, diesem Abstieg ins gedankliche Nirwana zu folgen.
Und WIE es begründet wird:
„Ich persönlich lese Laymon weil es mich unterhält, nicht mehr und nicht weniger. Andere Menschen schauen Talkshows um mal ihr Hirn auf Leerlauf zu schalten und ich lese halt einen Laymon."
Merke: in zahnlosen Talkshows werden weder junge Mädchen vergewaltigt, noch Kinder zerstückelt. Der intellektuelle Gehalt ist indes etwa gleich. Spricht weder für das eine noch das andere.
„Man kann ihm nicht vorwerfen über Pädophile u.ä. zu schreiben, weil diese Themen in allen Krimis/Thriller vorkommen."
Doch kann man. Abgesehen davon, dass keineswegs ALLE Krimis/Thriller Pädophilie abhandeln, liegt ein gewaltiger Unterschied in der jeweiligen Intention. Lasse ich die Lolita nackt an der Stange tanzen, um sie vorzuführen, oder zeige ich die Bedingungen auf, wie es dazu kommen konnte. Am Ende tanzt ein nacktes Mädchen an einer Stange, aber die dazugehörigen Bücher unterscheiden sich wie Tag und Nacht.
„Ich denke mal, es ist bei einem Autor, der Erwachsenen-Bücher schreibt, nicht so wichtig zu differenzieren."
Genau. Voll auf die Zwölf. Keine Gedanken über Inhalte und Interpretationen gemacht. Nur nichts zu Tode analysieren. Der will schließlich nur spielen. Und sei's mit jungfräulichen Vaginas.
„Doch das, was heutzutage in sogenannten seriösen Berichterstattungen über wahre Verbrechen abgeht (siehe Amstetten) schlägt jeden Laymon."
Genau das ist der Unterschied. Wir wissen alle, dass die Wirklichkeit Richard Laymons krude Fantasien um Längen übertrifft. Doch während es nötig sein kann, darauf hinzuweisen, dass die Wirklichkeit mit den unglaublichsten Widerwärtigkeiten aufwartet, verflüchtigen sich Laymons Elaborate ins Imaginäre. Reine Fantasy, die zusammengebraut ist aus schlecht geklauten Literatur- und Filmzitaten, sowie den grenzwertigen Obsessionen des Autors. So entstehen Bücher, die lediglich etwas über sich selbst und ihre Limitationen verraten.
„Die Jagd" ist minderbemittelte Literatur, die sich keinen Deut um Motivationen und Glaubwürdigkeit schert. Ein „Laymon-Brett", dessen Kern rund 300 Seiten jämmerlich geschriebene Langeweile darstellen. Der Rest ist Presspappe.
Alle Zitate entstammen dem Forum der Krimi-Couch. Ebenso das kryptische „Laymon-Brett".
Richard Laymon, Heyne
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