Überzeugender Zukunftsthriller
Mit „Lichtspur" hat Chris Moriarty ein eigenwilliges und vielbeachtetes Debut vorgelegt. Mit „Lichtjagd" spielt nun ein zweiter Roman in der selben fiktiven Zukunft.
Gegenwart und Vergangenheit
Von seinem außerordentlich attraktiven Äußeren einmal abgesehen, wirkt Arcady wie ein ganz normaler Mensch. Doch der Schein trügt. Schon die Bezeichnung „Arcady" ist nicht mit einem individuellen Menschennamen gleichzusetzen, vielmehr ist es eine Art Typenbezeichnung. Ganze Serien von Arcady-Konstrukten laufen auf dem Planeten Korchow vom Band.
Als Arcady auf der Erde eintrifft, beginnt sofort ein Tauziehen verfeindeter Machtblöcke um ihn. Alle haben es auf ein mysteriöses Virus abgesehen, dass er im Tausch gegen Asyl auf der Erde anbietet. Auf seiner Heimatwelt wird Arcady wegen Verbrechen gegen die hiesigen Sitten gesucht. Jetzt will er sein Wissen meistbietend versteigern und auf der Erde Zuflucht finden. Neben den Israelis und Palästinensern bieten auch die künstlichen Intelligenzen Cohen und seine Frau Catherine Li mit.
Alles begann mit einer katastrophalen Forschungsmission, an der Arcady teilnahm. In ferner Zukunft haben sich ehemalige menschliche Kolonien, die Syndikate, längst von der Erde abgesagt. Doch auch die Syndikate müssen ihren Lebensraum erweitern und so wurde eine Forschungsmission auf den Planeten Novalis entsandt. Nachdem Raumsonden den Planeten dürftig untersucht hatten, sollten nun Wesen aus Fleisch und Blut seine Eignung für die Kolonisierung prüfen.
Die Forschungsmission stand jedoch unter keinem guten Stern. Nicht nur, dass sich schnell Uneinigkeit unter den verschiedenen Vertretern der Syndikatswelten breit machte, auch auf dem Planeten selbst lief nicht alles wie es sollte. Schnell wurde klar, dass mit dem Ökosystem des Planeten etwas nicht stimmte. Hatte es schon eine Kolonie auf dieser Welt gegeben? Als ein Mitglied der Forschungsmission erkrankte, überschlugen sich die Ereignisse.
Der ewige Konflikt
In „Lichtspur" entführte Chris Moriarty den Leser auf die ferne Koloniewelt Rochow, erzählte einen Thriller, der sich mit den unterschiedlichen Interessen der Bewohner und der Regierung auseinandersetzte. In "Lichtjagd" wirft sie den Leser nun mitten hinein, in den endlosen Konflikt der Israelis gegen die Palästinenser. Glaubensfragen werden erst gar nicht erörtert, es geht um einen rein politischen Konflikt zweier auf vielfältige Weise miteinander verschlungener Gegner.
Die Autorin bleibt ihrem aus dem Erstling bekannten Stil weiterhin treu. Ihre Romane zeichnen sich durch äußerst verwickelte Beziehungen der Charaktere untereinander aus. Intrigen, Verrat und die ewigen Zweifel an der Loyalität der Agenten machen aus diesem Buch einen nervenaufreibenden Thriller. Action ist dünn gesät, dafür würzt Moriarty ihr Buch mit dramatischen Schicksalen und tiefgründigen Figuren. Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht von Arcady und den aus „Lichtspur" bekannten Figuren Cohen und Catherine Li. Während Zwischenkapitel immer wieder von den Erinnerungen Arcadys an die Novalis-Mission erzählen, verfolgt der Leser in der „Gegenwart" die Verhandlungen zwischen verschiedenen Parteien auf der Erde.
Elemente eines Weltentwurfs
Erwähnenswert ist der wissenschaftliche Background des Romans. Vor allem moderne Komplexitätstheorien werden abgehandelt. Dass die Autorin sich mit den Themen, die sie aufgreift, stark auseinandergesetzt hat, ist keine Frage. Stellenweise weist der Roman fundierte Ausflüge in die Hard-Science-Fiction auf. Ausführliche Literaturhinweise runden das fachlich überzeugende Bild ab. Auch die ethischen Regeln der Genkonstrukte sind bemerkenswert. Der Gegensatz zwischen den perfektionistischen Ansprüchen, die die künstlichen Wesen an sich stellen, und der oft fehlerhaften Realität sind sehr ergreifend. Auch die Form der „Liebe", die sich in den Syndikaten entwickelt hat, ist ein interessantes Element; von den Konstrukten wird erwartet, dass sie sich in den Zwilling ihrer Erblinie verlieben, der sie auf der Forschungsmission begleitet. Sex zwischen verschiedenen Erblinien ist in den Syndikaten eine Perversion. Personen, die von diesen Erwartungen abweichen gelten als anormal.
Moriartys Stil ist nicht gerade einfach zu lesen. Ihre Beschreibungen wimmeln von hintergründigen Anspielungen und Tiefsinn. Dieses Buch ist sicher keine Lektüre, bei der man sich entspannen und einfach in eine Fantasiewelt abtauchen kann. Hier ist Aufmerksamkeit gefordert. Außerdem enthält das Buch viele Längen. Die Autorin schweift immer wieder ab, erläutert seitenlang politische Verhältnisse auf der Erde und den Hintergrund der fiktiven Zukunft. Schnell wird man auch dem Versteckspiel der diversen Geheimdienste überdrüssig. Arcadys Erinnerungen werden gegen Ende des Buches immer spärlicher. Dieser Handlungsstrang wirkt nicht abgeschlossen und lässt viele Fragen offen.
Moriarty wird nicht jeder mögen. Dafür gibt es einfach zu viel Leerlauf, ist die Sprache zu komplex, die wissenschaftliche Seite zu ausgeprägt. Trotzdem muss man der Autorin zugestehen, dass sie in dem Bereich „Thriller" einiges zu sagen hat. Auch die sprachlich virtuos geschriebenen Ausflüge in den Cyberspace, die Realität der KI „Cohen", sind beeindruckend. "Lichtjagd" ist virtuos geschrieben, tiefsinnig und schafft es immer wieder mit lebensechten Figuren den Leser zu fesseln.
Chris Moriarty, Heyne
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