Die Zwerge von Amboss
- Piper
- Erschienen: Januar 2008
- 12
Zwerge im Dutzend billiger
Zwerge und kein Ende. Kaum mehr ein Verlag, der nicht versucht mit den kleinen, trinkfreudigen Stollenbewohnern sein Geschäft zu machen. Alles fing vor Jahren damit an, dass Markus Heitz, damals noch in Diensten von Heyne zum Überraschungserfolg von Stan Nicholls' Ork-Roman einen Nachfolger schreiben sollte. "Die Zwerge Teil 1" erschien, und wurde ein Mega-Bestseller. Seitdem beglücken uns die Verlage mit Völker-Romanen zuhauf, von denen viele die Kassen klingeln ließen.
Nun also wieder einmal ein austauschbarer Roman um die lustigen kleinen Raufbolde, so dachte ich bei mir, das ich das dicke Buch zur Hand nahm. Selten habe ich mich in meinem Vor-Urteil so getäuscht. Natürlich kommen Zwerge vor, dazu Halblinge und Menschen, doch damit hört die Austauschbarkeit auch schon auf.
Die Rollenspiel-Spezialisten Thomas Plischke und Ole Johan Christiansen haben sich - dem Impressum zufolge - eine in ihrer Ausgestaltung ungewöhnlich realistisch-dezidierte Welt einfallen lassen. Natürlich gibt es Abenteuer zu bestehen, wird gekämpft, verraten und geliebt, es gibt Bösewichter und Helden, tapfere Wesen und Feiglinge. Was den Text aus dem Fantasy-Allerlei heraushebt, das ist, dass es dem Autor gelingt, seine Handlung in ein glaubwürdiges Gerüst einer politisch-wirtschaftlich funktionierenden Welt einzubetten. Eine Welt, die mit ihren Problemen höchst aktuell an unsere Realität erinnert.
Um was also geht es? Alles beginnt damit, dass in Amboss, einem der Zentren der zwergischen Bundes ein Mord passiert. Ein allseits geachteter Zwerg wird mit einem Musikinstrument erstochen. Die Ermittler, allen voran Garep Schmied, ein verbitterter, drogenabhängiger Sucher, lösen den Fall in Rekordzeit. Der Täter, der menschliche Diener des Zwerges, stürzt sich vom Dach eines Hauses in den Freitod. Kurz darauf wird ein zwergischer Honoratior während einer Gesellschaft erschossen. Der Täter ist wiederum ein Mensch, der sich selbst nach der Tat richtet. Ein Raunen geht durch die aufrechte Bürgerschaft des Zwergenreiches. Nicht genug damit, dass immer mehr menschliche Immigranten, abfällig als Langschädel bezeichnet, im Bund vor den bürgerkriegsähnlichen Zuständen im zerrissenen Reich der Menschen Zuflucht suchen, ihre billige Haut zu Markte tragen, und den Zwergen alle schlechtbezahlten einfachen, dreckigen oder gefährlichen Tätigkeiten wegschnappen, jetzt rüsten sie gar noch zum Aufstand. Dafür gibt es zwar keinerlei Beweise, doch der vor seiner Wiederwahl stehende oberste Vorarbeiter weiß die Gunst der Stunde zu nutzen. Parolen werden laut, geschürt auch von der Bundessicherheit, Attentate gestellt, das Misstrauen und die Fremdenfeindlichkeit nehmen überhand. Immer deutlicher wird, dass die zunehmende Industrialisierung im Bund den Zwergen ihre Existenzgrundlage nimmt. Der einfache Ausweg ist ein Krieg - man verschiebe die Grenzen des Bundes, besiege mittels der technologischen Überlegenheit der Kurzbeine die Langschädel, und schon gibt es Arbeit (hört her ihr Zwerge, der Bund ruft zum Einsatz für das Vaterland) und neues Land für die wachsenden Zapfen der bartrasierenden Zwerginnen. Damit nicht genug macht sich die Bundessicherheit daran, die brach liegenden Kräfte, die dunklen wie hellen Energien der Halblinge zu erforschen und zu nutzen - ob mit oder gegen ihren Willen, die Probanden werden in Kliniken zu Forschungsobjekten degradiert und missbraucht. Zwei Zwerge und zwei Menschen werden immer tiefer in die Vorgänge verwickelt und nehmen Einfluss auf das Geschehen ...
Industrialisierte Zwerge
Eine Heptalogie (sieben Bände) soll es einmal werden, die Saga von den zerrissenen Reichen. Und so legt der Autor ein breites Fundament, auf dem er seine zukünftige Handlung Stein für Stein nach Zwergenart sorgfältig und fest aufbaut.
Neben einigen Schmankerln, wie zum Beispiel die den Zwergen angepassten Redewendungen, die beweisen mit wie viel Liebe und Sorgfalt die beiden Weltenschöpfer zu Werke gegangen sind, erinnert die Ausgangssituation zunächst an gängige Fantasy-Rollenspiele und Romane.
Schon bald aber wird deutlich, dass die Entwickler der Welt weitergedacht haben. Viele Autoren nehmen es als gegeben hin, dass die Zwerge als Handwerker und Minenarbeiter in einer mittelalterlichen Welt statisch beschrieben werden. Plischke entwickelt dieses Szenario folgerichtig weiter. Seine Zwerge haben es durch ihre handwerklichen Fähigkeiten zu Reichtum und Macht gebracht. Die zunehmende Industrialisierung geht Hand in Hand mit um sich greifender Massenarbeitslosigkeit und der Aufspaltung der Gesellschaft in arme Arbeiter und reiche Unternehmer. Eine politisch wie wirtschaftlich dominierende Klasse hat sich herausgebildet, die mit allen legalen wie illegalen Mitteln ihre Position zu sichern sucht. Die Fortschritte in der Hygiene und der Medizin führen dazu, dass der Raum für die beständig anwachsende Zahl der Kurzbeine eng wird, und heizt die sozialen Konflikte mit dem schnell ausgemachten Sündenbock, den Immigranten weiter an. So entwickelt sich neben der vordergründigen Abenteuerhandlung zunehmend ein Geflecht eines politisch sehr realistisch anmutendem Hintergrunds.
In dieses glaubwürdig und detailreich ausgearbeitete Setting, das für sich alleine schon faszinierend wirkt, hat der Autor nun seine Handlung integriert. Der erfahrene Fantasy-Leser wartet aber vergebens auf den üblichen Helden, der auszieht, das Böse zu besiegen. Statt dessen berichtet uns Plischke von Einzelschicksalen - Menschen wie Zwergen, die weit davon entfernt sind, als Lichtgestalten das Geschehen zu bestimmen. Das sind Gestalten, die vom Schicksal gebeutelt werden, die fast schon hilflos getrieben werden, und sich ohnmächtig gegen das übermächtige System stemmen. Das ist in sich stimmig und bietet dem Leser ein facettenreiches Bild einer Kultur, wie sie so durchaus denkbar und wahrscheinlich wäre, und lebendiger Figuren, die überzeugend in diesem Bild agieren.
Thomas Plischke, Piper
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