13 ausgewählte SF-Geschichten, von Dark Industrial bis Cyberpunk
Mit einem Vorwort von Ronald M. Hahn. Cover: Carsten Dörr.
Mit Prothesengötter legt der zweifach für den Deutschen Science Fiction Preis nominierte Autor die erste Sammlung seiner Kurzgeschichten vor. Wortgewaltig im Stil, temporeich im Rhythmus verschwendet Frank Hebben keine Zeit, den Leser erst schonend an seine düsteren, apokalyptischen Welten heranzuführen - er wird hineingeschleudert in die dampfenden Maschinenstädte, die industriellen Molochs, wo Halbgötter ihre silbernen Schwingen ausbreiten und fliegen, nur um noch tiefer zu fallen.
- Vorwort von Ronald M. Hahn
- Memories
- Im Labyrinth der Neonrose
- Gelée Royale
- Der Wühler
- Das Bild im leeren Rahmen
- Marionettentheater
- Off
- Amethyst
- [002:32:45]
- Exodus 1906 AD
- Imperium Germanicum
- Das Fest des Hammers ist der Schlag
- Ω
»Marionettentheater«
Cyber-Punk und Märchen
Köhler arbeitet als Bürokaufmann im Pharma- und Kybernetikunternehmen Biosys und wird tagtäglich von seinem Chef Breuer drangsaliert. Zu Hause ist Köhler ein anderer. Er baut einen „Burattino", ein organisches Interface zum virtuellen Kosmos. Kurz nach dessen Aktivierung schießt seinem Erbauer ein verheißungsvoller Gedanke durch den Kopf:
„Etwas verbotenes tun....Vielleicht heraus finden, was mein geliebter Chef so auf dem Kerbholz hat."
Dieser Wunsch führt Köhler und seinen Cyberspace-Navigator in den Mikrokosmos der Geheimdienste und in ernsthafte Schwierigkeiten. Die Hackerlegende Oliver Thieme ist seine einzige Chance da heraus. Doch der wurde schon vor Jahren verknackt und fristet ein durch Sedativa betäubtes Gnadenbrot im Altersheim.
Was der Autor Frank Hebben auf diesen 40 Seiten der Kurzgeschichte „Marionettentheater" inszeniert, ist weit mehr als ein gewöhnliches SF-Abenteuer. Es ist die Jagd nach einem düsteren Geheimnis, bei der die Protagonisten mit den Manipulationsmechanismen in der virtuellen Welt konfrontiert werden.
Der naive, aber chirurgisch begabte Schreibtischtäter und ein verwirrter Hacker aus den Anfangstagen der Cyberwelt sind üblen Machenschaften auf der Spur. Ihre Leidenschaft für die Technik und der zunehmende Kontrollverlust führt sie immer näher an den Kern eines unmenschlichen Systems heran. Auf der halsbrecherischen Flucht vor der Staatsmacht landen sie am Schauplatz des Show-Downs, an dem der Autor die ganze Bandbreite futuristischer Schreckensszenarien präsentiert.
Frank Hebben entwickelt seine Figuren zu tragischen Helden, mit denen sich der Leser trotz der verfremdeten Umgebung schnell identifiziert. Selbstironisch karikieren sie sich als Darsteller in einem Marionettentheater, als Köhler zwei Polizisten, über die er die Kontrolle gewinnt, „Pinocchio" und „Gepeppo" nennt. Dagegen sieht der Hobby-Kybernetiker in seinem „Burattino" eher den Freund, als die seelenlose Maschine. Geschickte Rückblenden auf bereits heute etablierte Techniken (Google-Earth und Second Life) erleichtern dem Leser nicht nur das Eintauchen in die virtuelle Welt, sondern erschaffen auch einen Bezug zur Gegenwart.
„Marionettentheater" könnte man als Cyber-Märchen betrachten. Erschreckend bizarr aber auch emotional und dramatisch, verpackt Frank Hebben eine Warnung vor der Konditionierung und dem Realitätsverlust, dem derjenige erliegt, der sich in der virtuellen Scheinwelt verliert.
Eva Bergschneider
Bewertung: 87
Frank Hebben, -
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