Dark Harvest - Die dunkle Saat

  • Rowohlt
  • Erschienen: Oktober 2023
  • 5
Dark Harvest - Die dunkle Saat
Dark Harvest - Die dunkle Saat
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Michael Drewniok
90°1001

Phantastik-Couch Rezension vonNov 2023

Halloween-Kürbis mit Killer-Instinkt

Irgendwo im Mittleren Westen der USA liegt eine kleine Stadt ohne Namen. Die Einwohner leben von den Erträgen der Maisfelder, die sich endlos außerhalb der Gemeindegrenze erstrecken. Unabhängig von den üblichen Widrigkeiten der Landwirtschaft sind die Ernten dauerhaft hoch. Das hat seinen Grund, der gleichzeitig das düstere Geheimnis der Bürgerschaft ist: Irgendwann wurde ein Pakt geschlossen. Der Preis für den Mais ist die Jagd auf den „October Boy“. In jedem Jahr wächst er aus dem Feldboden - ein Wesen aus Ranken mit einem Kürbis als Schädel. Sein Ziel ist die Kirche in der Mitte der Stadt. Sollte er sie je erreichen, ist die Gemeinde dem Untergang geweiht.

Die mächtige Schnittergilde soll dafür sorgen, dass es soweit nie kommt. Zu Halloween wird die Jagd auf den October Boy eröffnet. Alle männlichen Bewohner unter 18 Jahren müssen ihn in der Nacht jagen und umbringen. Wem dies gelingt, der darf die Stadt als reicher Mann verlassen.

Pete McCormick gehört in diesem Jahr 1963 zu den Jägern. Er hat nichts zu verlieren, will unbedingt gewinnen, jedes Mittel ist ihm recht. Seine erstaunliche Intelligenz macht Pete zum ernsten Gegner für den October-Boy, der voller Angst erwacht und alles andere der Schrecken ist, als der er hingestellt wird. Der Boy weiß um die grausame Wahrheit hinter dem Ritual, das keine Gewinner kennt. Er will die Wahrheit verkünden und den Teufelskreis durchbrechen, doch wer wird eine Kreatur aus dem Reich der Schatten anhören, zumal die Schnittergilde dafür sorgen wird, dass der October Boy auf jeden Fall seinen Kürbiskopf verliert ... ?

Die Frage nach dem wahren Monster

In einer großartig geschilderten Szene reinen Schreckens wird in einem toten Maisfeld der October Boy geboren - ein Monster wie aus dem Bilderbuch, mit einem Körper aus verdrehten Pflanzenranken, gekleidet in die zerrissenen Gewänder einer Vogelscheuche und mit einem Kürbis als Kopf, in dem ein geisterhaftes Licht flackert: Das muss ein Monster sein, zumal es ein großes Messer trägt und seine Verfolger schlau und mit üblen Folgen in schmerzhafte Fallen lockt.

Kein Wunder, dass so ein Geschöpf gejagt und zur Strecke gebracht werden soll. Angenehme Schauder lenken erst einmal von Frage ab, was hinter dem Ritus steckt, der selbst für US-Landgemeinden ganz und gar nicht typisch ist. Warum gibt es den October Boy? Muss es ihn geben? Allmählich wächst dieses Rätsel, des Lesers Unbehagen steigt. Die Sympathien schlagen um, als klar wird, dass der October Boy selbst nur ein Opfer ist. Er wird in seine Rolle gepresst und will nichts sehnlicher als aus dem Albtraum erwachen, der sein ‚Leben‘ geworden ist.

Zu diesem Zeitpunkt hat uns Autor Partridge einen aus der Verfolgerhorde als Identifikationsfigur ans Herz gelegt. Pete McCormick steckt in seiner eigenen privaten Hölle, aus der ihn scheinbar nur der ‚Tod‘ des October Boy retten kann. Gerade der ist sein natürlicher Verbündeter; eine spannende Konstellation, da sich die beiden Kontrahenten selbstverständlich treffen werden.

Es gibt Schlimmeres als böse Geister

Die kleine Stadt ohne Namen ist ein verdammter Ort. Nach und nach schält sich heraus, in welche Abgründe der Verworfenheit sich seine Bewohner gewagt haben. Das wahre Grauen besteht indes in der Tatsache, dass sich keine übernatürliche Macht um die Einhaltung des Paktes kümmern muss. Außer dem October Boy spukt niemand umher.

Gibt es überhaupt jemanden, der Verstöße gegen den Ritus ahnden würde? Die Beantwortung dieser Frage verhindert entschlossen die Schnittergilde, deren Mitglieder sich zum Hüter des Zeremoniells und damit zu den eigentlichen Machthabern der Stadt aufgeschwungen haben. Sie schützen das System und damit ihre Privilegien nicht nur durch nackte Gewalt, sondern auch durch das Schüren der Furcht vor den Folgen, die ein Ende der ‚Jagd‘ auf den October Boy nach sich ziehen könnte.

Die Folge ist ein Riss, der sich durch die Bevölkerung zieht: Da sind die Jugendlichen, die der Jagd und ihrer Belohnung entgegenfiebern, während ihre Eltern Bescheid wissen und still leiden. Niemand wagte bisher ernsthaft aufzubegehren. Erst die Jagd von 1963 bringt die Wende. Die Gründe dafür, wieso sich in diesem Jahr die Ereignisse überstürzen, lässt Partridge überzeugend in die Handlung einfließen.

Ausbruch aus dem Teufelskreis

Das Maß ist voll. Sogar die Schnittergilde kann den Widerstand nicht mehr unterdrücken, der sich über die Jahre aufgestaut hat. Dieser October Boy ist intelligenter und willensstärker als seine Vorgänger. Pete McCormick hinterfragt die Routinen des Rituals. Mit Kelly Haines steht ihm eine weibliche Verbündete - so viel Klischee muss sein - entschlossen zur Seite.

„Die dunkle Saat“ spielt in der jüngeren Vergangenheit, weil diese Geschichte eine Abgeschiedenheit benötigt, die das 21. Jahrhundert dank Handy und Internet nicht mehr bieten kann. Die Isolation der verdammten Stadt trägt zur bedrohlichen Stimmung entscheidend bei. Sie ist nicht nur ein namenloser Punkt auf der Landkarte, sondern wirkt verloren in einem Dschungel aus Mais, der sie zusätzlich abschirmt.

Mais ist eine Pflanze, die sich hervorragend für einen Horrorroman eignet. Sie wächst dem Menschen über den Kopf und bildet dichte und dunkle Felder, in denen sich Übles gut verstecken kann. Im Herbst, wenn die Tage ohnehin früh enden, steht der Mais trocken auf dem Feld, raschelt Unheil verkündend bei jedem Windstoß und erzeugt ein Unbehagen, dem sich niemand entziehen kann, der in der Nacht neben einem solchen Feld steht und lauscht.

Verdiente Ehren für eine tolle Story

Die Stadt ohne Namen ist auf Mais gegründet. In den USA war und ist für Farmer eine gute Maisernte die Existenzgrundlage für das kommende Jahr. Sie hoffen und bangen und sind womöglich sogar bereit, im Bund mit eindeutig unchristlichen Mächten diese Angst zu mildern. Wieder fügt Partridge diese Information geschickt dem Mosaik ein, das sich zur dramatischen Gesamtgeschichte formt.

Die ist für einen Roman ausgesprochen kurz, aber ein Werk, das genauso lang ist wie es sein soll: Autor Partridge hat seine Geschichte erzählt. Nachdem er sie durchweg schlank gehalten und auf literarische Verzierungen und erzählerische Nebenstrecken verzichtet hat, mündet sie in ihr logisches und doch überraschendes Ende.

Im trüben Sud der aktuellen ‚Monster-as-love-interest‘-Gruselschmonzetten und Schema-F-Grusel in backsteinformatigen Endlos-Fortsetzungen ist „Die dunkle Saat“ ein echtes Highlight. Zu Recht wurde Partridge für mehrere Literaturpreise nominiert und konnte einen „Bram Stoker Award“ für den besten Roman des Jahres 2006 gewinnen. Den hat es zweifellos verdient.

„Dark Harvest - Die dunkle Saat“ im Stream

2023 kam rechtzeitig zu Halloween der Film „Dark Harvest“ heraus. Er wurde nicht im Kino gezeigt, sondern per Streaming vertrieben. Inszeniert hat ihn David Slade, der sich im Horror-Genre einerseits einen Ruf als Regisseur des modernen Vampir-Klassikers „30 Days of Night“ (2007) machen konnte, andererseits aber auch für „Eclipse“, den dritten Teil der Teenie-Gruselschmonzette „Twilight“ (2010), verantwortlich ist. Kritiker und Zuschauer ordnen „Dark Harvest“ im oberen Mittelfeld an. Gelobt wird die oft einfallsreiche Kamera, moniert werden Drehbuch-Klischees, die allzu stark an thematisch ähnliche Horrorfilme erinnerten, in denen es kultisch in Maisfeldern umgeht („Children of the Corn“, „Pumpkinhead“, „In the Tall Grass“/„Im hohen Gras“).

Fazit:

Horror im Stephen-King-Stil, der das übernatürliche Grauen den Schrecken gegenüberstellt, die der Mensch sich selbst bereitet; die Story ist rasant und spart nicht mit Überraschungen: Ein echter Phantast deklassiert die Fabrikanten backsteindicken Serien-Horrors.

Dark Harvest - Die dunkle Saat

Norman Partridge, Rowohlt

Dark Harvest - Die dunkle Saat

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