Überfällige Sammlung von kleinen Meisterwerken
";Sie vergessen den Fetus. (...) Am Anfang meiner Erzählung sprach ich davon, dass ich ihn mitgebracht habe. Sie dürfen ihn verwenden." (...) ";Also das Produkt einer Zigeunerin und der Überreste eines verfluchten Nekromanten? Sie haben es hoffentlich gut konserviert?"(...) ";Ich mußte es nicht konservierten. (...) Es lebt!"
(Lasset uns Menschen machen)
Leise und subtil dringt das Grauen in den Alltag ein. Die scharfen Grenzen der Realität verschwimmen zusehends und scheinbar Alltbekanntes beginnt sich aufzulösen, um etwas Fremdes und Unerwartetes zu offenbaren.
Um seine Erbschaftsangelegenheiten zu regeln, kehrt der namenlose Erzähler nach dem Tod seiner Eltern in die alte Nachbarschaft zurück. Nur ungenügend verdrängte Erinnerungen an ein längst vergangenes Sommerfest werden wach. Bis über beide Ohren verknallt versuchte er damals Brigitte zu imponieren, indem er dem schlagerseligen Straßenfest der Nachbarschaft den Strom ausknipste. Doch danach nahm der Abend eine unerwartete Wendung.
Wer erinnert sich nicht an so manchen "Summer of Love" seiner Jugend, als das andere Geschlecht ernsthaft interessant zu werden begann. Uwe Voehl gibt mit seinen Ton perfekt die Gefühlswelt wohl tausender Jugendlicher wieder, die in einer lauen Sommernacht zwischen dem Schlagerdusel der Elterngeneration und eigener Lagerfeuerromatik in einem Hormonrausch festgekeilt sind. "Summer of Love" zeichnet wohl jedem, der älter als 20 ist, ein Lächeln der Erinnerung ins Gesicht. In dieses scheinbar wohlbekannte Umfeld streut Uwe Voehl mehr und mehr befremdliche Andeutungen, die in einem unerwarteten Horrorszenario gipfeln.
Deutschland zu Zeiten des Nationalsozialismus. Während eines Treffens mit Oberst von Mönninghoff erzählt Doktor von Wappensteyn diesem, dass er während des Besuchs in einem Zigeunerlager den lebenden Körperteilen zweier Totenbeschwörer ansichtig wurde. Er verschweigt dem Oberst jedoch, dass er sich in den weiblichen Nekromaten verliebt hat. Angestachelt von der Vorstellung, die Kräfte der Totenbeschwörer im Dienste des Reichs einsetzen zu können, lässt von Mönninghoff die Körperteile entführen. Doch dem Doktor gelingt zusammen mit der Nekromantin die Flucht.
"Lasset uns Menschen machen" nennt sich dieser unheilige Bastard aus Nazimythologie, Allmachtsfantasien moderner Genforschung und Figuren einer Geschichte von Clark Ashton Smith. Diese Story hat mich schlichtweg umgehauen. Abstoßend ob der bildlichen Vorstellung sich autonom bewegender, abgetrennter Körperteile; erschreckend aufgrund der Aktualität des Klon-Themas; faszinierend durch die gelungene formelle Verschmelzung der scheinbar unpassenden Teile.
Noch einige Worte zu Clark Ashton Smiths Geschichte ";Necropolis - Das Reich der Toten", von der sich Uwe Voehl die beiden Nekromanten Mmatmuor und Sodosma ausgeliehen hat: Nekromanten sind Zauberer, die über die Fähigkeit verfügen, Tote wieder zum Leben zu erwecken und sich diese so dienstbar zu machen. Wegen ihrer unheiligen Praktiken aus ihrer Heimat vertrieben, gelangen Mmatmuor und Sodosma in ein Land, das förmlich von mumifizierten Leichen gepflastert ist. Durch die Erweckung dieser Toten schaffen sie sich ein eigenes Reich, über das sie despotisch herrschen. Doch Mitglieder der ehemaligen Königsfamilie erinnern sich, trotz ihres untoten Zustands, an ihr früheres Leben in Freiheit. Sie begehren auf gegen die neuen Herrscher und es gelingt ihnen, die beiden Zauberer zu vierteilen und ebenfalls mit einem nekromantischen Fluch zu belegen, so dass die getrennten Körperteile der Tyrannen zu ewigen Leben verdammt sind.
(";Necropolis - Das Reich der Toten" ist enthalten in: Clark Ashton Smith, Necropolis, Festa-Verlag, 2001)
Helges Schulfreund Amadeus lädt ihn und und seine Freundin zum Hellheimer Dorffest ein. Bereits bei ihrer Ankunft werden sich Meike und Helge der seltsam leblosen Atmosphäre des Dorfes bewusst. Auf einem Spaziergang durch den Ort geschehen weitere unerklärliche Dinge und unvermittelt beginnt das Fest.
"Schwarze Herzen" liest sich wie eine Verbeugung vor H.P. Lovecrafts ";Das Fest" oder Thomas Ligottis ";Harlekins letzte Feier" (selbst eine Hommage an Lovecraft). Als Patron des geheimnisvollen Festes, zu dem Helge und Meike eingeladen wurden, wird der Maler Acrimboldo genannt, der bekannt ist für seine Porträtbilder, die sich aus Obst, Gemüse, Büchern oder Tieren zusammensetzen. Die Entdeckungen, die das Pärchen in der Drogerie und in dem Antiquariat von Hellheim macht, sind wohl stark von Uwe Voehls eigenen Vorlieben geprägt.
Miriam möchte ihren Kindern Armbanduhren kaufen, um diesen eine Freude zu machen. Doch das Uhrengeschäft ist noch geschlossen und der Rückweg zu ihrem geparkten Wagen gestaltet sich als äußerst schwierig. "Straße mit Gästen" erweist sich als Musterstück des subtilen Schreckens. Alltäglich harmlos beginnend und ständig fremdartiger werdend. Dabei verändert sich der Erzählton nicht, so dass der Leser fast unbemerkt die Grenzen der Realität hinter sich lässt. Auch das Ende weiß noch einmal zu überraschen, indem es in eine völlig neue Richtung zeigt.
Auf der Suche nach seinem verschwundenen Bruder verfolgt der Erzähler dessen Spuren bis nach Hellheim. Während der örtlichen Karnevalsumzugs trifft er seinen Bruder wieder. Uwe Voehl gelingt mit "Wenn der Juh-Jah ruft" allen Ernstes eine komplex arrangierte, karnevalistische Vampirgeschichte. Dabei hat er seine Story stets voll im Griff und es gelingt ihm vorzüglich, im Angesicht des schelmenhaften Treibens eine ständig bedrohlicher werdende Atmosphäre zu schaffen. Spannend auch, da der Leser zunächst nicht alles über den Erzähler weiß und die gesamte Geschichte sich so erst nach und nach entfaltet.
In zunehmendem Maße tauchen unbekannte Designerkleidungsstücke im Straßenbild der Metropole auf. Getragen werden diese von Obdachlosen, die sich längst selbst zu einer Art Abfall entwickelt haben. In der Annahme, es handelt sich um eine neuartige Werbestrategie, und in Erwartung satter Gewinne wird der Erzähler von seiner Firmenleitung beauftragt, den geheimnisvollen Designer ausfindig zu machen und ihn in das Unternehmen einzubinden.
Dekandenz und Verfall existieren in "Creationen aus Samt und Tod" wie selbstverständlich nebeneinander. Die Geschichte wird geschildert aus der entarteten Vogelperspektive der vermeintlich überlegenen Herrscherklasse, repräsentiert durch einen Erzähler, der von sich selbst in der Wir-Perspektive spricht (meine Interpretation). Mit wenigen Sätzen schafft Uwe Voehl eine Welt, die in der Zukunft oder in einer anderen Dimension existieren könnte und er lässt dort einfach seine Geschichte spielen, ohne sich in langen Erklärungen zu verlieren.
Nachdem "Der Gasmann" aus dem Krieg zurückkehrt, bringt er als Direktor das örtliche Gaswerk wieder in Schwung, angeblich aufgrund seiner Erfahrungen, die er in den zurückliegenden Kriegsjahren gesammelt hat. Doch was hat es mit dem Gasgeruch auf sich, der ihm ständig anhängt. Und nach was sucht der Gasmann im ";Buch der Phänomene", das er ständig studiert?
Uwe Voehls Kollaboration mit Malte S. Sembten steuert ständig in eine andere Richtung und führt den Leser an der Nase hin und her. Die angedeuteten Wege werden nie zu Ende verfolgt. Die Bedrohung, die von dem Gasmann ausgeht wird nie wirklich greifbar. Alles gründet sich auf kurze Anspielungen und möglicherweise missverstandene Eindrücke und Beobachtungen des Jungen, der die Geschichte erzählt. Die Schlussfolgerungen aus dem Erzählten bleiben dem Leser überlassen. Dadurch entseht eine eigenartige Stimmung, in der alles passieren kann. Überraschenderweise gelingt es den Autoren, ihre Geschichte im Griff zu behalten und ihre Leser mit dem Ende nochmals zu überraschen.
Schräge Einfälle zum Leben erweckt
Mit "Schwarze Herzen" veröffentlicht der mgverlag eine längst überfällige Sammlung von Uwe Voehls Wirken außerhalb der Romanreihen, für die er überwiegend tätig ist. Befreit von den Gesetzen der Serie kann er sich voll auf seine Stärken konzentrieren. Dabei entstand keine tumbe Zusammenstellung aller Voehlschen Kurzgeschichten (diese würde wohl mehrere Bände füllen), sondern eine kleine, feine Perlensammlung seines Schaffens.
Bereits mit seinem Vorwort gelingt es dem Autor, die Leser für sich einzunehmen. Indem er dort sein Unvermögen beichtet, die vorgesehene Rahmenhandlung für "Schwarze Herzen" umzusetzen, wirbt er für sich als netten Kerl, der eben seltsame Geschichten schreibt. Schade übrigens, dass es mit der Rahmenhandlung nicht geklappt hat. Die Idee klingt für mich sehr vielversprechend. Mustergültig sind ebenfalls die kurzen, informativen Einleitungen, die der Autor jeder Geschichte vorangestellt hat.
Sehr sympathisch gibt sich auch das Nachwort von Malte S. Sembten, der sich hier als Schüler von Uwe Voehl outet und kurz ihren gemeinsamen Weg beschreibt.
Die Wirkung seiner Geschichten erzeugt Uwe Voehl, indem er ein vertrautes Umfeld schafft, in das sich nach und nach die Missklänge des Grauens schleichen. Zunächst nicht weiter beunruhigend, nehmen die Dissonanzen im Verlauf der Erzählungen immer mehr zu und schon findet sich der Leser in einer traumhaft verfremdeten Umgebung wieder, ohne sagen zu können, wo denn genau der Übertritt von der realen Welt in den fremdartigen Kosmos des Uwe Voehl stattgefunden hat. Oder um es mit den Worten des Autors zu sagen: ";Es war wie in einer unwirklichen Geisterbahn, durch die wir auf unsichtbaren Gleisen im Schrittempo fuhren. ... Aber das war nicht das Beunruhigendste. Das Beunruhigendste war, dass ich wie in einer Kirmesgeisterbahn nicht wusste, was mich hinter der nächsten Biegung erwarten würde." (";Schwarze Herzen").
Uwe Voehl schafft es, seine schrägen Einfälle ohne weitreichende Erklärungen zum Leben zu erwecken. Die durchgehend nüchterne Sprache tut ihr Übriges. Es werden sich autonom bewegende Körperteile, zwergenwüchsige Lifestyle-Diktatoren mit affenlangen Armen und bedrohliche Fastnachtsbräuche im ruhigen Ton der Selbstverständlichkeit geschildert.. Alles passiert, ohne dass bei den Protagonisten eine unkontrollierte Panik ausbricht oder es gar zu handgreiflichen Auseinandersetzungen kommt. Wie in einem Traum streben Personen und Handlung immer weiter auf ein unsichtbares Ziel zu. Dabei versteht es der Autor, bei aller durchgängigen Merkwürdigkeit immer noch einmal zum Finale auszuholen und zuzuschlagen und seine Geschichten nicht einfach versanden zu lassen. Zusätzlich macht Uwe Voehl den Leser auf einige unscheinbare Dinge am Wegrand aufmerksam, die keinen unmittelbaren Einfluss auf die Geschichten haben aber doch das Gefühl der Fremdartigkeit verstärken (";Für einen winzigen Moment schien sich der graue Dunst gelichtet zu haben und sie hatte weit drüben auf der anderen Straßenseite ein Paar riesiger Augen zu sehen geglaubt, das sie zornfunkelnd anstarrte. Gleichzeitig erhoben sich über den Hausdächern auf der anderen Seite schlangengleiche, sich windende Polypenarme." ";Straße mit Gästen").
Ich selbst kannte Uwe Voehls Kurzgeschichten bisher lediglich aus Anthologien, wo diese meist ein ungerechtfertigtes Understatement-Dasein führen. Diese kleinen Meisterwerke stechen nicht heraus aus einer Zusammenstellung verschiedener Autoren. Zu unaufgeregt kommen sie daher und möglicherweise zu komplex, um sich beim Hasten von Story zu Story sofort vollständig zu erschließen. Erst in dieser kompakten Form und erst, als ich mich an den entspannten Erzählfluss gewöhnt hatte, konnte ich die Geschichten in gebührender Form genießen.
Das Covermotiv ist unbedingt einen zweiten, genaueren Blick wert. Michael Hutter, der meines Wissens bisher noch nicht als Coverdesigner in Erscheinung getreten ist, hat für das Umschlagbild seine ";Dämonengauklerin" spendiert. Perfekt passend zu Uwe Voehls Geschichten, offenbart das Bild erst bei mehrmaligem Hinsehen sein dunkles Geheimnis. Die Kreatur, die hier aus dem geöffneten Totenschädel springt, ruft unwillkürlich Assoziationen zu "Lasset uns Menschen machen" wach. Unbedingt sehenswert ist auch Michael Hutters Webseite: www.kunstkrake.de
Es bleibt zu hoffen, dass das Buch seinen verdienten Platz unter den Fans deutscher Phantastik findet. Eine absolute Empfehlung meinerseits.
Uwe Voehl, -
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