Der Vampirnachwuchs auf der Insel
Ein Jahr ist es her, dass die Erben der Nacht, der dünne Nachwuchs der letzten, mächtigen Vampirsippen in Rom ihre erste gemeinsame Zeit des Lernens und des Kennenlernens bewältigt haben. Trotz aller Ressentiments, trotz Animositäten und Vorurteilen haben die jungen Nosferatu gelernt zusammenzuarbeiten und ihre jeweiligen Stärken zum gemeinsamen Wohl einzubringen. Mehr noch, zwischen vier der Erben wurden zaghaft zunächst - aber immerhin - Bande der Freundschaft und des gegenseitigen Vertrauens geknüpft.
Das zweite Studienjahr, so will es das Los, werden die Erben auf der grünen Insel verbringen. Irland, das steht für grüne Hügel, wild tobendes Meer, alte Burgen und einen immer währenden Freiheitskampf gegen die englischen Unterdrücker. Irland steht aber auch für die Fähigkeit der Geschöpfe der Nacht, sich zu transformieren. Sei es, dass die Vampire eine nebelhafte Form annehmen, oder sich in Tiere - vornehmlich wegen der charakterlichen Ähnlichkeit Wölfe, aber auch Fledermäuse und Vögel - verwandeln, eine solche Gabe kann im Kampf ums eigene Überleben nicht hoch genug gewertet werden.
Kaum in Irland angekommen, lernen unsere jungen Bluttrinker aber auch, dass Vampire nicht die einzigen Wiedergänger sind, die sich auf Erden tummeln. Seit Jahrzehnten befriedet der Pakt, ein von Druiden, Vampiren und Werwölfen geschlossenes Bündnis den schwelenden Konflikt zwischen Werwölfen und Vampiren. Als ein Liebespaar, ein Werwesen und eine Vampirin grausam angegriffen werden, entflammt der Konflikt erneut. Oberflächlich geht es um die Seele Irlands - den cloch adhair, den magischen Kraftstein Irlands, dessen Herausgabe aus der Obhut der Werwölfe ansteht. Doch Kriegstreiber auf beiden Seiten sorgen dafür, dass die explosive Lage eskaliert. Alisa, die Hamburger Vampirin aus dem Clan der Vamila, Luciano, ein Nosferas aus Rom, Franz Leopold de Draca aus Wien und Ivy, die bezaubernde Vampirin aus Irland vom Clan der Lycaner, die immer von einem weißen, geheimnisvollen Wolf begleitet wird, sehen sich aber nicht nur einem Krieg der Rassen gegenüber, auch ein geheimnisvoller Intrigant trachtet danach, die Erben und ihre Mission zu vernichten ...
Malerische Kulisse für Gefühle
Ulrike Schweikerts historische Romane erfreuen sich bei den Lesern größten Zuspruchs. Mit einem Gespür für geschichtliche Ereignisse entführt sie ihre Leser dort in eine lebendige Vergangenheit. Ihre phantastischen Stoffe hatten mich dagegen nicht ganz so überzeugt. Zu oberflächlich blieb die Charakterdarstellung meist, zu schablonenhaft die Handlung. Um so überraschter war ich, als ich im ersten Band der ";Erben der Nacht" plötzlich und unerwartet auf eine stringente Handlung voller Tempo in einer faszinierenden Kulisse traf. Insofern machte ich mich mit einigen Erwartungen an die Lektüre des vorliegenden Werkes.
Die raue, beeindruckende Kulisse der irischen Insel, dazu alte Burgen und Konflikte, ein paar historische Gestalten (Bram Stoker und Oscar Wilde sind hier zu nennen), dazu emotionale Verwicklungen, eine tragische Liebesgeschichte gar, das sollte eigentlich für eine spannende Lektüre sorgen.
Und die Autorin hat ihre Hausaufgaben gemacht. Reisen nach Irland sorgen dafür, dass sie ihrem Leser immer wieder geschichtliche Ereignisse näher bringt und Landschaftsbeschreibungen, Traditionen und Denkweisen der Bewohner in ihre Handlung einfließen lässt. Dies geht aber leider zu Lasten der Flüssigkeit der Lektüre. So historisch verbürgt die Geschichten auch sind, die vielen Szenenwechsel stören das Tempo der Erzählung. Immer wenn ich dachte, dass es nun voranginge mit dem Plot, dass die durchaus actionreiche Handlung voranpreschen würde, nahm sie bildlich gesprochen den Fuß vom Gas.
Unser Protagonisten-Quartett, die Ausbildung der Vampire und deren Gruppenentwicklung treten über weite Strecken deutlich in den Hintergrund. Statt dessen berichtet uns Schweikert in eingeschobenen Passagen von Verschwörern und Partisanen, von Verrat und Intrigen, die vordergründig nichts mit dem Vampirnachwuchs zu tun haben. Erst in der Nachschau wird deutlich, warum sie die jeweilige Person vorstellt, wie sich die beschriebenen Ereignisse in ihren Plot einfügen.
Wenn sich die Autorin ihrem nennen wir es einmal Handlungsquartett zuwendet, dann wirken die Figuren lebendig, dann entwickeln sich diese, fühlen und leben. Die Nebengestalten aber bleiben im Vergleich dazu blass, ja eindimensional. Dazu kommt, dass dem Leser eine wahre Odyssee quer durch Irland bevorsteht. Zog der Auftaktband viel seines Flairs aus der Beschreibung Roms, so bleibt schlicht kein Raum, um die vielen Schauplätze in Irland wirklich vorzustellen, zumal eine noch so beeindruckende, aber ständig sich wiederholende Naturkulisse nie die Ausstrahlung erreicht, die die Caesarischen Bauten der Italienischen Hauptstadt ausstrahlten.
Anzumerken ist auch, dass den emotionalen Verwicklungen weit mehr Platz eingeräumt wird, als im ersten Band. Wer ist mit wem befreundet, wer entwickelt Gefühle für wen - Stephenie Meyer lässt ansatzweise grüßen. Noch immer ist es eine Geschichte über die Überwindung von Vorurteilen, über Vertrauen und Freundschaft. Doch das Augenmerk wendet sich deutlicher als im Auftaktband einem jugendlicheren Publikum zu.
Letztendlich werden zwar die Ereignisse zu einem vorhersehbaren Abschluss gebracht, bleibt der Leser aber auch mit genügend offenen Fragen zurück, um so auf den nächsten Teil gespannt zu machen. Leider nicht ganz das Niveau des ersten Romans, aber insbesondere Leser-innen werden sich in der malerischen Kulisse und den aufkommenden Gefühlswirrungen wohl fühlen.
Ulrike Schweikert, Bertelsmann
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