Der kälteste Ort

  • Bastei-Lübbe
  • Erschienen: Januar 1985
  • 1
Der kälteste Ort
Der kälteste Ort
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Michael Drewniok
75°1001

Phantastik-Couch Rezension vonNov 2022

Panorama einer ereignisreichen Zukunft

- Zeittafel (Timeline for Known Space; 1975), 7-11

- Der kälteste Ort (The Coldest Place; 1964), S.13-20: Ausgerechnet in einem der sonnenabgewandten Merkur-Täler stößt ein irdischer Raumfahrer auf mögliches Leben.

- Die Probe aufs Exempel (Becalmed in Hell; 1965), S. 21-43: Eine Notlandung auf der Venusoberfläche muss möglichst rasch in einen Neustart gipfeln, um den höllischen Umweltbedingungen des Planeten zu entrinnen.

- Gestrandet auf Pluto (Wait It Out; 1968), S. 45-57: Die Bruchlandung auf dem erdfernen Eisplaneten erfordert eine brutale ‚Überlebensstrategie‘.

- Das Oktopusauge (Eye of an Octopus; 1966), S. 59-73: Auf dem Mars stößt der Mensch wider Erwarten auf ein bizarres Relikt der ‚Ureinwohner‘.

- Wie die Helden sterben (How the Heroes Die; 1966), S. 75-114: Ein flüchtiger Mörder flieht vor dem Bruder des Opfers; da dies auf dem lebensfeindlichen Mars geschieht, sorgt die ohnehin aufregende Jagd für unerwartete Zwischenfälle.

- Der total verpflanzte Mensch (The Jigsaw Man; 1967), S. 115-133: Verbrecher Lewis Knowles will nicht für die Organbank ‚ausgeschlachtet‘ werden und startet einen folgenreichen Ausbruch.

- Am Grunde eines Lochs (At the Bottom of a Hole; 1966), S. 135-166: Ein auf dem Mars gestrandeter Schmuggler muss feststellen, dass die ursprünglichen Bewohner weder ausgestorben noch friedlich sind.

- Betrugsabsicht (The Deceivers; 1968), S. 167-179: Als Roboter bisher von Menschen geleistete Servicearbeiten übernehmen, kommt es zu unerwarteten - und gefährlichen - Kommunikationsproblemen.

- Der Mantel der Anarchie (Cloak of Anarchy; 1972), S. 181-214: Als jegliche Ordnungsmacht tatsächlich zusammenbricht, zeigt die idealisierte Anarchie ihre menschlichen = hässlichen Seiten.

- Die Krieger (The Warriors; 1966), S. 215-240: Der erste Kontakt zwischen den Menschen und den kampflustigen Kzin wird nur eine Partei überleben.

- Im Grenzland der Sonne (The Borderland of Sol; 1975), S. 241-315: Abenteurer Beowulf Shaeffer gehört zu jener Crew, die im Außenbereich des Sonnensystems nach ‚Piraten‘ suchen, die beuteträchtige Raumschiffe aus dem Hyperraum ‚fischen‘.

- Das fremde Raumschiff (There Is a Tide; 1968), S. 317-341: Menschen und Außerirdische streiten um das wertvolle Relikt eines ausgestorbenen Volkes, bis dessen wahre Natur sie zur Zusammenarbeit zwingt.

- Funktionstüchtig & narrensicher (Safe at Any Speed; 1967), S. 343-348: Verschluckt und im Bauch eines Monsters steckend muss er sich etwas einfallen lassen.

Willkommen im „Known Space“

Anfang der 1960er Jahre begann Laurence van Cott Niven (geb. 1938) Science Fiction zu schreiben - erst Storys, dann Romane. Schon ganz zu Anfang einer Karriere, die sich nach einer gewissen Anlaufzeit prächtig zu entwickelte, drehte Niven an einem ganz großen Rad: Er plante nichts Geringeres als eine ‚Geschichte der Zukunft‘, die beinahe in der (damaligen) Gegenwart startete und sich bis ins 4. Jahrtausend erstreckte; hinzu kamen Rückblenden, die anderthalb Milliarden in die Vergangenheit des Universums zurückgriffen.

Niven stellte die Menschheit in den Mittelpunkt, verließ erst die Erde und dann das Sonnensystem. Jenseits des Plutos - der in den 1960er Jahren noch ein Planet war - stießen die irdischen Raumfahrer auf keineswegs immer friedliche Intelligenzvölker. Vor allem die katzenähnlichen Kzin machten den Erdlingen schwer zu schaffen; den für zukünftige Begegnungen typischen ‚Erstkontakt“ schildert Niven in „Die Krieger“.

Viele andere SF-Autoren haben Zukunftschroniken geschrieben. Diesen gemein sind große Lücken in der Chronologie; aufgrund der gewaltigen Zeiträume konzentriert sich auch Niven auf zentralhistorische Ereignisse. Er startet verhalten, bleibt im Rahmen rasanter Weltraumabenteuer - und irrt sich gleich in seiner ersten Story, da er nicht berücksichtigt, dass sich der Planet Merkur zwar langsam, aber sehr wohl dreht, was die beschriebenen Geschehnisse so nicht ermöglicht hätte. Niven nimmt es zu Recht gelassen, denkt freundlich an den noch unsicheren Anfänger und weist dann selbst darauf hin, dass sich sein Mars-Bild in den Erzählungen „Das Oktopusauge“, „Wo die Helden sterben“ und „Am Grunde eines Lochs“ stark wandelt: Der Autor folgte den Erkenntnissen einer Wissenschaft, die den roten Planeten seit den 1960er Jahren buchstäblich ins Visier nahm.

Die Zukunft als Spiegel der Gegenwart

Überhaupt hat Niven kein Problem damit, dass die Zeit über manche seiner Erzählungen gekommen ist. Das betrifft nicht nur die beschriebene Technik oder naturwissenschaftliche Fakten, die der Verfasser noch nicht kannte, sondern auch - und in diesem Punkt legt Niven kaum Selbstkritik an den Tag - sozio-kulturelle Entwicklungen, die stets Extrapolationen gegenwärtiger Verhältnisse sind.

In dieser Königsklasse der Science Fiction zeigt der junge Niven deutliche Schwächen. In „Wo die Helden sterben“ gibt es einen Nebenstrang der Handlung, der sich darum dreht, dass in der (selbstverständlich) frauenlosen Marskolonie die Männer schwul zu werden beginnen - eine Möglichkeit, die Niven nicht als interessante Idee, sondern als ‚Problem‘ darstellt. Ähnliche Bockschüsse erlaubt sich der Autor in „Der Mantel der Anarchie“, wo er konservativ bis reaktionär beschreibt, dass der Mensch auf die Aufhebung von Regeln umgehend mit Mord und Totschlag reagiert. Die von Niven beschriebene Praxis, Verbrecher zukünftig nicht mehr hinzurichten, sondern ihre Körper buchstäblich auszuschlachten („Der total verpflanzte Mensch“), wirkt eher wie das Stilmittel eines Gruselfilms, statt wie beabsichtigt eine gefährliche Sackgasse der menschlichen Genese zu thematisieren.

Faktisch bieten die hier gesammelten Erzählungen vor allem SF-Spannung, wobei Niven großen Wert auf die „Science“ in der „Fiction“ legt. Viele Storys nutzen ein astronomisches Phänomen als Start einer krisenzentrierten Handlung, die in der Regel den Versuch beschreibt zu entkommen („Der kälteste Ort“, „Die Probe aufs Exempel“, „Gestrandet auf Pluto“, „Am Grunde eines Lochs“, „Das fremde Raumschiff“). Dabei biegt Niven die Naturgesetze, wenn es die Dramatik fördert und eine unerwartete Auflösung ermöglicht.

Das Universum ist ebenso weit wie beschränkt

Wohl nicht falsch liegt Niven, wenn er ausschließt, dass Naturwissenschaft und Technik oder der Kontakt mit außerirdischen Völkern dem Menschen seine negativen Seiten austreiben werden. Deshalb spielt nicht nur der Kampf mit der Tücke des kosmischen Objekts, sondern auch die Auseinandersetzung immer wieder eine Rolle. Der Mensch fällt über seinesgleichen her, wird aber auch von Außerirdischen in die Mangel genommen. Abermals setzt Niven ein simples, vor allem spannungstaugliches Konzept ein: ETs sind demnach auch nur Menschen, d. h. egoistisch, gierig, hinterlistig und gar nicht so fremdartig.

In den frühen Erzählungen wirkt Niven noch unbeholfen. Mit „Im Grenzland der Sonne“ zeigt sich ein deutlich gereifter Autor. Weiterhin sind die Figuren flach, aber Niven gelingt es, ein an sich absurdes Garn über Piraterie im Weltraum in eine ebenso turbulente wie technobabbelreiche Abenteuergeschichte zu verwandeln.

„Betrugsabsicht“, „Der Mantel der Anarchie“ und „Funktionstüchtig & narrensicher“ sollen witzig eine ungeachtet allen Fortschritts nie perfekte Zukunft zeichnen. Man kann Niven einen Sinn für trockenen Humor nicht absprechen, aber auch und gerade in diesen Storys schimmert eine gewisse Engstirnigkeit durch. Freilich ist es genau diese Weltsicht, die den Zynismus von „Die Krieger“ in ein wirkungsvolles Stilmittel verwandelt.

Anmerkung: In den deutschen Neuauflagen dieses Werkes fehlen Nivens „Einführung: Mein Universum und Willkommen darin!“ und sein Nachwort. Beide Texte erläutern das Konzept des „Known Space“ (der nach Nivens Hauptwerk auch „Ringwelt-Zyklus“ genannt wird), bilden aber den Zustand des Jahres 1975 ab und sind veraltet, da Niven sich selbst Lügen strafte und seine angeblich abgeschlossene Zukunftschronik sehr wohl fortsetzte.

Fazit:

In 13 Erzählungen wirft Autor Niven Schlaglichter auf eine von ihm entworfene und entwickelte Zukunft, die sowohl die Menschheit als auch den von anderen Wesen bevölkerten Kosmos einschließt. Die Storys sind vor allem spannend, die Zukunft bleibt simpel, aber als farbenfrohe Abenteuer in der Nachfolge der Pulp-SF sind diese Geschichten weiterhin lesenswert.

Der kälteste Ort

Larry Niven, Bastei-Lübbe

Der kälteste Ort

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