Drachen der Finsternis

  • Loewe
  • Erschienen: Januar 2008
  • 1
Drachen der Finsternis
Drachen der Finsternis
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Carsten Kuhr
95°1001

Phantastik-Couch Rezension vonFeb 2008

Die Kraft der Märchen oder von einem, der auszog seinen Bruder zu retten

Der 14-jährige Christopher steht ganz im Schatten seines fünf Jahre älteren, charismatischen Bruders. Als dieser nach seiner Schulzeit Nepal, die Heimat seiner Großmutter besucht, und ein soziales Jahr in einem dortigen Kinderkrankenhaus ableistet, wird er von kommunistischen Rebellen entführt. Kaum hat die erschütternde Nachricht die Familie erreicht, zieht sich Christopher ganz von seiner Umwelt zurück. Er schläft, isst und bewegt sich, doch er redet nicht mehr, konzentriert sich ausschließlich auf einen Bildband mit Fotos aus Nepal.

Während er zu Hause in ein Wachkoma fällt, findet sich Christopher gleichzeitig in dem ihm fremden Land wieder. Komischerweise spricht er die Sprache, aber wie er hier hergekommen ist, das bleibt ein Rätsel. Auf dem Weg ins Gebirge, in dem die Maoisten ihre Geiseln versteckt haben, trifft er auf den seit seiner Geburt unsichtbaren Thronfolger des Königreichs. Jumar und der gleichaltrige Christopher schließen ein ungewöhnliches Bündnis. Während der junge Deutsche die Rettung seines Bruders vorantreibt, sucht Jumar seinen Fluch, die Unsichtbarkeit zu brechen, seinen Platz in der Welt zu finden und letztlich sein vom Bürgerkrieg zerrissenes Land zu befrieden. Auf ihrem Weg stoßen sie immer wieder auf entvölkerte Dörfer. Nicht nur die Menschen fehlen, alles hat seine natürlichen Farben verloren, die farblosen Nahrungsmittel sättigen nicht mehr, alles präsentiert sich grau in grau. Und was haben die überall herumliegenden hohlen Bronzefiguren zu bedeuten? Eines Tages erleben sie mit, wie ein Fabelwesen, ein riesiger, bunter Drache über das Land gleitet. Alles, was sein Schatten streift, verliert die Farben, das Leben, Mensch und Tier wird in Bronzeskulpturen verwandelt. In einem kleinen Dorf treffen sie auf Niya, eine junge Angehörige der Rebellen. Zusammen mit ihr machen sie sich auf in das Hauptlager der Rebellen - ein Weg, der sie weit über ihr Ziel hinausführt, in ein Reich, in dem die Drachen und Zauberer herrschen, in ein Reich, dem sie nur durch Selbsterkenntnis, Weisheit und Selbstlosigkeit zu entkommen vermögen....

Die Macht der Phantasie - ein Buch, an dem Michael Ende seine Freude gehabt hätte

Antonia Michaelis kann zwischenzeitlich auf eine stolze Reihe Kinder- und Jugendbücher zurückblicken. Die Autorin, die 1979 in Kiel geboren wurde, und sozial sehr engagiert ist, lebt zwischenzeitlich im Nordosten der Republik als Kinderärztin.

In vorliegendem Roman hat sie ihre Eindrücke einer Nepal-Reise verarbeitet. Was sich auf den ersten Blick wie eine wilde Mischung aus Realelementen und nicht eben überzeugenden phantastischen Einschüben präsentiert, das erweist sich im Verlauf der Lektüre als mitreißendes Leseerlebnis.

Voller Phantasie und Tiefgang wandelt die Autorin auf märchenhaften Pfaden, stellt ihren Hauptpersonen und mit diesen dem Leser unbequeme Fragen, thematisiert die Brutalität des Krieges ebenso wie das Recht auf persönliche Entfaltung und freie Meinungsäußerung. Das ist in seiner Ausgestaltung ungeheuer spannend, gleichzeitig aber auch surreal. Da hinterfragt man nicht mehr, wie und ob Christopher überhaupt nach Nepal gekommen ist, warum er die Sprache spricht, wie das sein kann, dass der Kronprinz seit seiner Geburt unsichtbar ist, da nimmt man diese unglaublichen und unerklärlichen Vorkommnisse als gegeben hin, während man fasziniert der Handlung folgt. Die majestätische Bergkulisse bietet den Widerpart zu dem von beiden Seiten gnadenlos und brutal vorangetriebenen Bürgerkrieg, in dem es schon längst nicht mehr um die Bürger und deren Freiheit geht, sondern um die Befriedigung der Machtinteressen der Anführer. Der Krieg hat sich, wie so oft verselbständigt, die einst hehren Überzeugungen und Ansätze sind zu vorgeschobenen Alibis verkommen, es geht um nichts mehr als darum, Macht auszuüben.

Neben der stimmgewaltig geschilderten Kulisse nehmen die vielschichtigen und nachvollziehbaren Charaktere eine besondere Rolle ein. In ihrer Handlungsweise überzeugend ziehen sie den Leser förmlich in ihren Bann und in die Gestalten hinein. Man hofft und zittert mit diesen, geht fehl und findet wieder auf den rechten Pfad zurück.
Angereichert durch eine Fülle von Ideen, inhaltlich poetisch mit leisen aber eindringlichen Tönen entführt die Autorin ihre Leser in ein Land der Phantasie, das aber sehr aktuelle Probleme im Gewand des Fantasyromans anspricht, das kurzweilig und spannend, aber auch mit Tiefgang zu unterhalten weiß - ein tolles Buch, das zeigt, dass hier eine Stimme heranwächst, die auch international zu punkten vermag.

Drachen der Finsternis

Antonia Michaelis, Loewe

Drachen der Finsternis

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