Nachtflügel
- Beltz und Gelberg
- Erschienen: Januar 2008
- 5
Vollgepackt mit moralischen Werten
"Die Welt vor 65 Millionen Jahren" - so steht es auf dem Buchrücken. Die Welt ist bevölkert von Tierrassen, die heutzutage ausgestorben sind oder aus denen die Evolution neue Rassen hervorgebracht hat. Im Mittelpunkt der Handlung steht eine Kolonie von Chiroptern, Fledermaus-ähnlichen Wesen, die jedoch trotz ihrer Flügel, die sie selber als Segel bezeichnen, nicht fliegen können. Mühsam müssen sie sich mit ihren drei Krallen pro Hand an den Baumstämmen hinaufziehen, um dann aus großer Höhe abzuspringen und im Gleitflug ihre Beute zu jagen.
Dämmer und seine Schwester Sylph sind Neugeborene, die diese Technik erst noch erlernen müssen. Gerade für Dämmer ist dies besonders schwer, denn er ist anders als die Chiropter seiner Familie. Seine Segel sind nicht behaart, seine Beine schwach ausgebildet und er hat nur zwei Krallen an jeder Hand. Daher ist es sein großer Traum, fliegen zu können wie die Vögel, eingebildete Wesen, die auf den Spitzen der Bäume leben und deren Revier von dem der Chiropter streng getrennt ist. Seit langem versucht er es diesen nachzutun und flattert mit den Flügeln. Doch erst, als er in Gefahr gerät, bringt er die Kraft auf, sich auf diese Weise in die Luft zu erheben. Dämmer ist der einzige seiner Rasse, der fliegen kann. Dies macht ihn zu einem Außenseiter. Bei den anderen Tieren seiner Kolonie wird es nicht gern gesehen, wenn er fliegt, und auch nur, weil sein Vater Ikaron ihr Anführer ist, wird es geduldet. Als es deswegen zu einer Katastrophe kommt, wird Dämmer das Fliegen verboten, was den kleinen Chiropter in tiefe Depressionen stürzt.
Die Welt ist friedlich, seit die Tiere einen Pakt geschlossen haben und sich gegen die großen Feinde, die Saurier, verbündet haben. Gegen die riesigen Tiere selber kann kaum einer allein etwas ausrichten, doch gemeinsam macht man Jagd auf ihre Eier, um deren Nachkommenschaft zu verringern. Mittlerweile hat man es auf diese Weise fast geschafft, die Saurier auszurotten.
Doch die Welt verändert sich und nicht alle Tiere wollen sich mehr an den Pakt halten. Eine kleine Gruppe von Feliden, katzenartigen Raubtieren, unter der Führung von Reißzahn hat sich von ihrer Kolonie abgespalten und macht Jagd auf andere Tiere. Dadurch haben auch unsere Chiropter schwer zu leiden. Bei einem Angriff der Feliden kommen zahlreiche Chiropter ums Leben, darunter auch Dämmers Mutter. Sein Vater wird schwer verletzt. Die übrig gebliebenen der Kolonie sind gezwungen, sich eine neue Heimat zu suchen, da sie auf ihrer Insel, die seit über zwanzig Jahren ihr Zuhause ist, vor den Raubkatzen nicht mehr sicher sind. Sie müssen die Insel verlassen. Ein großes Abenteuer beginnt...
Anleihen bei "Watership Down"
Ein Außenseiter seiner Gruppe als Protagonist, der sich durchsetzen muß gegen alle Anfeindungen - ein Thema, immer wieder prädestiniert nicht nur für Jugendromane. Der Kanadier Kenneth Oppel hat mit dem kleinen Chiropter Dämmer eine Figur erschaffen, mit der man sich freuen kann über kleine und große Erfolge, mit der man aber auch leiden kann, denn der Verlust spielt in "Nachtflügel" auch eine große Rolle. Der Verlust von geliebten Personen, aber auch der Verlust der Heimat. Doch neben dem Verlust bildet auch das Vertrauen eine der tragenden Säulen der Handlung. Der Autor zeigt einerseits, wie wichtig es ist, jemandem vertrauen zu können, andererseits aber auch, wie Vertrauen schamlos ausgenutzt werden kann. Wie es sich für ein "pädagogisch wertvolles" Jugendbuch gehört, ist der Roman schlichtweg vollgepackt mit moralischen Werten wie "Gemeinsam sind wir stark" oder Vergleichbarem.
Ähnlich wie in "Watership Down", einem Klassiker der Animal Fantasy, beschreibt "Nachtflügel" den Kampf eines kleinen Volkes, eine neue Heimat zu finden, bei dem es zahlreiche Gefahren zu bestehen hat, doch zunächst einmal seine internen Konflikte zu lösen hat. Die Parallelen zum Kaninchen-Klassiker sind zahlreich. So erscheint auch Dämmer die neue Heimat im Traum. Nun muß er nur noch seine Kolonie davon überzeugen, den gefährlichen Weg dorthin zu unternehmen. Eine schwerwiegende Entscheidung, die nicht leicht fällt.
"Nachtflügel" bildet die Vorgeschichte zu Oppels Fledermaus-Trilogie, für die er ebenfalls einen Außenseiter seines Volkes zum Protagonisten gemacht hat. In diesem Presequel erfährt man, wie aus Chiroptern Fledermäuse wurden. Die gesamte Handlung wird aus dem Blickwinkel der kleinen Gleiter erzählt und die Vermenschlichung dieser Wesen sorgt dafür, dass sich der Leser gut mit den Figuren identifizieren kann.
Mit "Nachtflügel" ist dem Autor ein Buch gelungen, das Kleine wie Große begeistern kann und zudem noch einen lehrreichen Hintergrund hat.
Kenneth Oppel, Beltz und Gelberg
Deine Meinung zu »Nachtflügel«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!