Gesucht - gefunden, verflucht - verschwunden
Ende der 1960er Jahre haben die USA zumindest im Weltraum die Nase vorn. Auf der Erde befinden sie sich weiterhin mit dem „Ostblock“ in einem „Kalten Krieg“, der immer wieder atomar aufzuflammen droht. Der „Freie Westen“ will unbedingt im Vorteil bleiben, weshalb die ‚Erforschung‘ des Alls auch die (versteckte) Suche nach waffentechnisch nutzbaren Organismen beinhaltet.
Im Rahmen des streng geheimen Projekts „Scoop“ schickt man unbemannte Satelliten in die oberen Schichten der Erdatmosphäre, um dort nach Mikro-Lebewesen zu ‚fischen‘. Um sich dabei nicht selbst ein tödliches Ei ins Nest zu legen, wurde Projekt „Wildfire“ ins Leben gerufen: In der Wüste von Nevada und so abgelegen wie möglich sollen unberechenbare Lebensformen isoliert und erforscht werden. Notfalls lässt sich der gesamte, unterirdisch angelegte „Wildfire“-Komplex durch Zündung einer eingebauten Mini-Atombombe ‚sterilisieren‘.
Der gefürchtete Tag ist gekommen: Satellit „Scoop VII“ hat im Orbit etwas gefunden, kam dann vom Kurs ab und ist irgendwo in Arizona niedergegangen. Neugierige Bürger des Städtchens Piedmont fanden und öffneten die Kapsel. Kurz darauf sind sie alle tot - bis auf einen alten Mann und ein Baby. Was hat sie überleben lassen? Ein Notfallprogramm ruft vier Spezialisten in die „Wildfire“-Anlage. Unter Einsatz modernster Technik fahnden sie fieberhaft nach dem Verursacher des Massensterbens, der sich womöglich bereits ausgebreitet hat - ein Wettlauf, der Irrtümer und Fehler beinhaltet, sodass „Andromeda“ Sieger bleiben = die Erde entvölkern könnte …
Die selbst gebaute Büchse der Pandora
„Andromeda“ ist nicht wie oft und werbewirksam behauptet „der erste Wissenschaftsthriller“ überhaupt. Die Wissenschaft als Grundlage aufregender Geschichten ist nicht grundlos fester (Namens-) Bestandteil des Genres Science Fiction. Doch Michael Crichton wurde mit dem Glück des Tüchtigen gesegnet. Sein Roman bietet nicht nur echte „Pageturner“-Qualitäten, sondern erschien zur rechten Zeit, um eine breite Öffentlichkeit für die vom Verfasser aufgeworfenen Fragen zu interessieren: Gerade war „Apollo 11“ auf dem Mond gelandet, und noch wusste niemand, ob es dort oben bzw. generell im Weltall so lebensfeindlich zuging wie vermutet.
Die Befürchtung wurde durch die ebenfalls zeitnahe Entdeckung gänzlich irdischer Organismen geschürt, die extremer Hitze oder Kälte und anderen, bisher für absolut lebenslimitierend gehaltenen Faktoren nicht nur widerstanden, sondern sogar auf sie angewiesen waren. Deshalb mussten Astronauten bei einer Rückkehr aus dem All eine Quarantäne erdulden, um ungebetene Gäste möglichst früh aussperren zu können.
Zu (nicht unbedingt) guter Letzt war die Erforschung oft bizarrer Waffensysteme auf atomarer, biologischer und chemischer Basis ein offenes, für Unbehagen sorgendes ‚Geheimnis‘. Man lehnte sie ab, aber da am östlichen Horizont die Sowjet-Teufel in ihren Laboren sicherlich allerlei Teufelszeug anrührten, musste es halt sein; Genaues wollte (und sollte) der brave US-Bürger nicht wissen.
Hightech sorgt für größtmögliche Fehler
Crichton nutzt die zeitgenössischen Naturwissenschaften als Elemente einer Geschichte, in der sie den ‚menschlichen‘ Figuren gleichwertig zur Seite stehen. Im Vorwort entschuldigt er sich für die daraus resultierende ‚Trockenheit‘ mancher Passagen - ein rhetorischer Trick, denn tatsächlich bemüht sich der Autor ebenso aufwändig wie erfolgreich um die Vermeidung akademischen Unverständlichkeit - ohnehin eine Notwendigkeit, um die mehrheitlich nicht vorgebildete Leserschaft nicht in die Flucht zu jagen. Crichton bemüht sich um Anschaulichkeit, arbeitet mit Vergleichen und unter Einsatz jener Trivialisierung, die dem Wissenschaftsthriller prinzipiell vorgeworfen wird - fälschlich, da nur Deppen glauben, dass ein Roman lehrbuchgerechte Fakten liefern muss und kann.
Für Crichton ist die Realität nur das Sprungbrett in die Fiktion. Als ausgebildeter Mediziner beherrscht er den Jargon und kennt sich mit einer Technik aus, die in den Laboren alltäglich ist. Dort geht es so phantastisch zu, dass Crichton nur bedingt übertreiben oder erfinden muss. Er strickt ein Garn aus Fakten und Hypothesen, das er mit eigenen Einfällen - hier vor allem das „Wildfire“-Superlabor - anreichert: Crichton wusste bereits 1969, wie man Spannung transportiert. Nicht grundlos wechselte er später als Drehbuchautor und Regisseur selbst hinter die Kamera.
„Andromeda“ ist ein Paradebeispiel für erzählerische Ökonomie in einem scheinbar dürren Umfeld. Genial konfrontiert Crichton die perfekte Technik mit der Tücke des Objekts sowie dem einem fehlerhaften Faktor, der noch nicht ausgeschaltet werden kann: mit dem Menschen, der nicht wirklich mit dem umgehen kann, was er geschaffen hat. Immer wieder wird die Leistungsfähigkeit von „Wildfire“ stolz betont, während hinter ehrfurchtgebietenden Schaltwänden simple Konstruktionsfehler oder ersparnisgebotene Materialfehler die Hightech aushebeln.
Schwachstelle Mensch
„Andromeda“ zeigt vier Menschen im Kampf mit dem Tod und im Wettlauf mit der Zeit. Sie sind ausgezeichnet ausgebildet und haben ihre Spuren in der Welt der Wissenschaft hinterlassen. Trotzdem geraten sie in Sackgassen, irren sich, verlassen sich auf eine Technik, die jedoch nur umsetzen kann, was man ihr vorgibt, zumal auch Fehlinterpretationen auf Monitoren oder Ausdrucken sauber und ‚richtig‘ wirken, obwohl sie es nicht sind.
Die Mischung aus Hybris und Pech setzt Crichton vorbildlich ein, während er zum Wohl der Geschichte auf „Soap- Opera“-Effekte oder gar eine „love story“ verzichtet. „Andromeda“ soll wie ein Tatsachenbericht wirken, was der Autor durch den Text ergänzende Schaubilder, Memos und Monitoranzeigen unterstützt. Obwohl der Technik seither mehrere Quantensprünge gelangen, erfüllen diese Einschübe trotz ihrer grafischen Unbeholfenheit ihren Zweck noch heute mühelos. Gerade die technische Einschränkung des Darstellungsrahmens erforderte eine einfallsreiche inhaltliche Zuspitzung, statt mit möglichen, aber unnötigen Zusatzinformationen und Bildchen abzulenken.
Wissenschaftler sind bei Crichton weder Genies und Helden noch weltfremde Nerds mit ‚ulkigen‘ Macken, sondern Menschen, die ihren Job beherrschen - aber eben nicht immer, was sie erst recht menschlich macht. Mit festem Blick auf den roten Faden erzählt Crichton eine Geschichte, die ohne vordergründig spektakuläre Szenen auskommt, aber zügig voranschreitet. „Andromeda“ ist kein seitenstarker Roman; Crichton hat Fett und Ballast vermieden. Ihm ist ein Klassiker gelungen, der nach vielen Jahrzehnten seinen Unterhaltungswert nicht eingebüßt hat. Heutige Autoren würden wohl eine Serie aus dem Plot quetschen. (Zum 50-jährigen Jubiläum erschien eine ‚Fortsetzung‘ …)
„Andromeda - Tödlicher Staub aus dem All“
Mit „The Andromeda Strain“ gelang Michael Crichton der erste von zahlreichen Bestsellern. Auf die mal mehr, mal weniger (aber nie wieder so perfekte) Mischung aus Wissenschaft und Spannungseffekten setzte er weiterhin erfolgreich. Selbstverständlich blieb dies in Hollywood nicht unbemerkt. Dabei war dies nicht der typische Stoff für einen Film, den doch - so stand es angeblich fest - ohne Liebe/Triebe, Gewalt und Intrigen kaum jemand sehen wollte. Eigentlich war ein Drehbuch zu erwarten, dem man exakt diese Zugaben aufpfropfen würde.
Zwar geschah es so, als die „Universal“-Studios die Filmrechte für „Andromeda“ erwarben, aber es hätte schlimmer kommen können: Der Plot wurde im Finale - dem Wettlauf mit der ‚scharf‘ geschalteten Atombombe - dramatisiert, und aus Peter wurde Ruth Leavitt, die allerdings - gespielt von Kate Reid - als „love object“ denkbar ungeeignet war, sondern sich gleichberechtigt ins „Wildfire“-Team integrierte.
Robert Wise (1914-2005) war im Laufe seiner sieben Jahrzehnte währenden Laufbahn für viele Klassiker der Kinogeschichte (mit-) verantwortlich. Er behielt den dokumentarischen Duktus bei und fand mit Kameramann Richard H. Kline grandiose Bilder auch für ‚actionfreie‘ Szenen, wobei für die als solche unauffälligen, aber effektstarken Spezialeffekte von Douglas Trumbull stammten, der als einer der ersten Effekt-Spezialisten computergeneriertes Bildmaterial einsetzte.
Die Qualität des 1971 in die Kinos gebrachten Films wurde ungeachtet des oben erwähnten Pseudo-Mankos von einem offenbar doch nicht so dämlichen Publikums erkannt. „Andromeda“ spielte mehr als das Doppelte seiner Kosten ein. Der Film gilt längst ein Klassiker auf einem Güteniveau, das Neuverfilmungen erschwert. Dem 2008 entstandenen TV-Zweiteiler wurde jedenfalls das Fehlen der originalen Vorzüge vorgeworfen.
Fazit:
Aufgrund seines zeitlosen Plots stört die ausführliche Beschreibung längst vergessener ‚Hightech‘ die spannende Story in keiner Weise. Ebenfalls hilfreich ist der dokumentarische Stil dieses Romans, der zwar ein „Wissenschaftsthriller“ ist, aber den menschlichen Faktor darüber nie vergisst: ein Meisterwerk der Unterhaltung.
Michael Crichton, Heyne
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