Thongor am Ende der Zeit (Thongor 5)
- Goldmann
- Erschienen: Dezember 1977
- 0
Barbar im Bann des Schattenreiches
Der unzivilisierte Barbar aus dem hohen Norden Lemurias hat es weit gebracht. Nach vielen Jahren des unsteten Herumstreifens, Raubens und Monsterschlachtens konnte Thongor nicht nur den Thron des Reiches Patanga, sondern auch die Hand der schönen Prinzessin Sumia erringen. Seit neun Jahren ist er König, und mit Thar steht auch ein Kronprinz in den Startlöchern.
Doch die nur scheinbar überwundene Vergangenheit kommt über die königliche Familie. Drei Jahre zuvor konnte Thongor die grausame Schwarze Brüderschaft von Zaar vernichten. Neun schwarzmagisch unterstützte Tyrannen wollten den Westen Lemurias unterwerfen. Thongor und seine Verbündeten konnten sie vernichten.
Ausgerechnet Mardanax, der Schwarzer Erzdruide, ist entkommen. Er schwor Rache, und nun ist es soweit. Gut getarnt schleicht Mardanax in die Hauptstadt und nistet sich beim korrupten Baron Dalendus Vool ein. Während einer religiösen Zeremonie stürzt Thongor tot zu Boden. Mardanax wirft einen Bann über die anschließend willenlose Sumia und beginnt damit, die treuen Gefolgsleute des ‚verstorbenen‘ Herrschers zu entmachten. Charn Tovis, ein enger Vertrauter Thongors, durchschaut das Komplott. Mit Prinz Thar an seiner Seite kann er aus der Hauptstadt flüchten, doch ihr Flugboot stürzt über dem Meer ab. Piraten retten die beiden, die sich vorsichtshalber nicht zu erkennen geben.
Natürlich ist Thongor keineswegs wirklich tot. Mardanax’ Magie hat ihn in ein Schattenreich jenseits von Raum und Zeit verschlagen. Hier gehen nicht nur die Toten um. Auch fremde ‚Götter‘ und andere unheimliche Mächte treiben ihr Unwesen. Diese fremde Sphäre soll Thongor nach dem Willen seines Erzfeindes nie mehr verlassen. Thongor lässt sich nach kurzem Fremdeln auf die seltsamen (Natur-) Gesetze des Geisterreiches ein und sucht nach einem Weg zurück in seine Welt, um dort seine Feinde Mores zu lehren ...
Er kam, schlug zu - und blieb dabei
Der riesenhafte, bärenstarke und schlichtgeistige, aber gerade deshalb von jeglicher Zivilisations-Dekadenz freie „Barbar“ ist eine zentrale Figur jener Fantasy, die mit den Substantiv-Duo „Schwerter und Zauberei“ umschrieben wird. Der Begriff „Barbar“ erhält in diesem Umfeld seine ursprüngliche, gar nicht negative Bedeutung zurück; er beschreibt einen Menschen, dessen Denken und Verhalten nicht den üblichen bzw. lokal eingeführten Mustern folgt.
Auf der Fantasy-Ebene sind Denken und Wissen nicht unbedingt von Vorteil. Immer wieder lässt auch Lin Carter kluge, aber seelentief verdorbene Männer (und Frauen) auftreten, die ihre Kenntnisse missbrauchen, um sich zu Herrschern aufzuschwingen oder im Dienst grässlicher ‚Götter‘ ihre Mitmenschen in Sklaven und Opfer zu verwandeln. Engstirnigkeit, Korruption und Dünkel sind weitere Folgen abartig eingesetzten Wissens, das vor allem in schon alten = seit langem in giftigem Sud köchelnden Städten eine kranke Basis findet.
Dagegen entstammt Thongor einer einfachen und deshalb ‚reinen‘ Welt, die Fantasy-typisch im eisigen Norden liegt. Das nackte Überleben erfordert Tatkraft und Solidarität, Hinterlist und Unterdrückung können sich hier nicht entfalten. Als Thongor seine Heimat verlässt, nimmt er deren simplen Werte mit und hält sich daran. Er ist ethisch unbestechlich und damit ein natürlicher Feind heimtückischer Intriganten und Zauberer, wie sich auch in diesem fünften Band ‚seiner‘ Serie zeigt.
Fester Stand auf breiten Schultern
Mitte der 1960er Jahre begann Linwood Vrooman Carter (1930-1988) Thongor-Abenteuer zu schreiben. Er hatte die Großmeister der ‚heroischen‘, auf Magie und Faustkraft gestützten Großmeister gut studiert. Vor allem Edgar Rice Burroughs (1875-1950) und Robert Ervin Howard (1906-1936) hatten es ihm angetan. Ersterer hatte nicht nur Tarzan, den Affenmenschen, sondern auch John Carter vom Mars erfunden, letzterer brachte Conan über die nach Unterhaltung lechzende Welt. (Mit seinen Hintergrund war Carter der ideale Autor, als L. Sprague de Camp Ende der 1960er Jahre rudimentäre Howard-Manuskripte aufgriff sowie ‚neue‘ Conan-Erzählungen schreiben ließ.)
Wie Conan erlebt Thongor seine Abenteuer in der schriftlosen und damit historiographisch (und wissenschaftlich) ‚freien‘ Urzeit der Erde. In einem ausführlichen Nachwort klärt Carter über ‚sein‘ Lemuria und dessen vor allem fernöstlichen und indischen Quellen auf. Durchaus ehrgeizig hatte er sich ungeachtet der Tatsache, dass Action und Spannung Thongors Welt prägen sollten, eingehend eingelesen. Die oft uralten, fragmentarischen (sowie fragwürdig übersetzten) Werke schlachtete Carter geschickt aus; ein Aufwand, die seitens einer Kritik ignoriert wurde, die ihn gern als Howard-Epigonen und schlichten Kopisten schmähte - ein unlauterer Vorwurf, wenn man die Weite des Bogens bedenkt, den der Autor schlägt, wenn Thongor in diesem Band tatsächlich das „Ende der Zeit“ erreicht: Die gesamte Geschichte des Universums rollt vor ihm ab, selbst die Zukunft enthüllt sich ihm bis in die realhistorische altägyptische Ära: ein gewaltiges Rad, das Carter auf kaum 150 Seiten dreht!
Ansonsten liefert Carter, was ihm vorschwebte: knallige Fantasy, die sich in einschlägigen Stereotypen und Klischees förmlich zu suhlen scheint. Lässt man sich darauf ein, stellt sich rasch die vom Verfasser erwünschte Wirkung ein. Nicht denken, sondern handeln ist Triumph in dieser von dies- und jenseitigem ‚Leben‘ förmlich berstenden Urwelt, in der sich überall Relikte oder sogar Überlebende jener finsteren „Rassen“ finden, die vor dem Erscheinen des Menschen auf der Erde gehaust haben. Hier bedient sich Carter nicht nur bei Howard, sondern auch bei Clark Ashton Smith (1893-1961) und Howard Phillips Lovecraft (1890-1937) und lässt Science Fiction und Horror in Thongors Welt einfließen. Man setzt Strahlenwaffen ein und bewegt sich in Flugbooten, die jedoch jederzeit von vorzeitlichen Flugsauriern attackiert werden können.
Wackere Kämpfe diesseits und jenseits des Todes
„Thongor am Ende der Zeit“ intensiviert den Horrorfaktor, denn ein böser Zauber wirft den Helden nieder und transportiert seinen Geist in ein Reich der Schatten und körperlosen Stimmen. Die Vergangenheit der Erde und anderer Welten bündelt sich hier, wo die Seelen der Verstorbenen entweder in einen ‚Himmel‘ oder an deutlich unerfreulichere Orte geschickt werden. Die Bürokratie des Todes läuft wie geschmiert, was sich selbstverständlich ändert, sobald Thongor die Szene betritt.
Er gedenkt nicht sich in sein Schicksal zu fügen. Für ihn spricht der Zorn jener ‚Götter‘, die ihn in Empfang nehmen sollen, obwohl sie wissen, dass seine Zeit noch nicht gekommen ist. So geben sie Thongor eine Chance für die Rückkehr ins Leben. Wie es die Gesetze der populären Kultur fordern, wird er sie sich erkämpfen müssen: Auch im Jenseits siegt die Frechheit bzw. setzt sich durch, wer vorgeblich in Stein gehauene Gesetze ignoriert und jenen, die dies ahnden wollen, mit einem ordentlichen Kinnhaken oder Schwerthieb begegnet.
Carter lässt reizvoll gruselige Geister auftauchen, wenn er Thongor durch nur scheinbar reale Landschaften wandern lässt. Die Ereignisse werden immer fantastischer, bis schließlich leibhaftige „Götter“ ihm sein Schicksal enthüllen: Thongor ist der Katalysator für das, was die Menschen einst „Zivilisation“ nennen werden! In diesen Passagen lässt Carter die Hau-drauf-Fantasy hinter sich, was sich (leider/ungewollt) in einer Parallelhandlung widerspiegelt, die sehr irdisch in einer strolchexotischen Piratenstadt spielt und in der Last-Minute-Rettung der in eine Zwangsheirat gehexten Sumia vor den geilen ‚Fingern‘ eines verräterischen Fettwanstes gipfelt.
Anmerkung: Wieder einmal wurde der deutsche Phantastik-Fan gleichgültig düpiert: Der Verlag begann die Veröffentlichung nicht mit dem ersten, sondern mit dem fünften Band der Serie, sodass viele Verweise auf Thongors vergangene Erlebnisse ins Leere laufen.
Fazit:
Im fünften Band der „Thongor“-Serie sprengt der sonst auf Schwarzmagier und Monster einschlagende Titelheld die Grenzen von Zeit und Raum. Autor Lin Carter lässt einen Ehrgeiz durchscheinen, der sein angebliches Primärziel - die bloße Unterhaltung - in Frage stellt und sich mit einem zweiten Handlungsstrang ‚beißt‘, der die übliche, zünftige „Schwert-&-Magie“- Fantasy bedient: trotzdem spannend und auch aufgrund eines mit Hintergrundinfos nicht geizenden Nachworts interessant.
Lin Carter, Goldmann
Deine Meinung zu »Thongor am Ende der Zeit (Thongor 5)«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!