Sternendämmerung
- Heyne
- Erschienen: Januar 2003
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Captain Kirk reloaded & nicht zu bremsen
James Tiberius Kirk, Raumschiff-Captain außer Dienst, aber seit seiner Wiederauferstehung von den Toten (s. ";Die Rückkehr", Heyne SF-TB Nr. 06/5689) neuerlich als Retter des Universums tätig, möchte mit seinem neuen Freund Jean-Luc Picard einige Tage Abenteuerurlaub machen. Aus Gründen der Handlungsdramatik beschließen die beiden dies auf dem Planeten Bajor und im Schatten der Raumstation ";Deep Space Nine" zu tun.
Sie haben keine Ahnung, dass sie ihre Atmosphären-Gleitsprünge ausgerechnet über einem Wüstengebiet absolvieren, welches vor dreißig Jahren Schauplatz einer merkwürdigen Episode im bajoranisch-cardassianischen Krieg war. In Bar´trila, der verlorenen Stadt, wurde eines jener als ";Tränen der Propheten" bekannten Artefakte vermutet, die der im Wurmloch über Bajor hausenden Superintelligenz zugeschrieben werden und dem Finder quasi übernatürliche Macht verleihen. Damals konnten die Bajoraner die Cardassianer unter hohen Opfern von diesem Platz verjagen. Die Überlebenden beider Seiten haben den lockenden Schatz freilich nicht vergessen.
Unsere gleitenden Helden werden zum Absturz gebracht. Die Notlandung lässt sie in der glühenden Wüste stranden. Während sie zum hoffentlich feuchten Horizont streben, bleibt ihnen viel Zeit, sich über Vergangenes zu unterhalten. Das bedingt eine lange Kette primär Kirkscher Reminiszenzen an glorreiche ";Enterprise"-Zeiten und die Einsamkeit des Captains, der in brenzliger Lage kurzentschlossene Entscheidungen treffen muss.
Die Handlung wird wieder aufgenommen, als Kirk und Picard in eine merkwürdige archäologische Ausgrabungsstätte stolpern. Die verlorene Stadt wurde gefunden - von den Bajoranern, aber wohl nicht nur von ihnen, denn just fiel Professor Nilan einem merkwürdigen Unfall zum Opfer - oder wurde er ermordet, wie es sein Kollege Corrin Tal vermutet?
Als neuerliche ´Unfälle´ weitere Opfer fordern, wird klar, dass hier eine feindliche Macht am Werk ist. Oder sind es etwa religiöse Fundamentalisten unter den Bajoranern selbst, die es nicht dulden wollen, eventuelle Artefakte als Objekte der Wissenschaft missbraucht zu sehen? Die Lage ist undurchsichtig und eskaliert, als auf Kirk und Picard ein Mordanschlag verübt wird, der Letzteren in einem See versinken lässt. Ist Picard tot? Mit der für ihn typischen Mischung aus Elan und Zorn geht Kirk auf Konfrontationskurs und stört den Gegner auf ...
Ouvertüre zu einem SF-Epos
Der rasende Rentner macht erneut das All unsicher. ";Sternendämmerung" ist der furiose Auftakt einer weiteren ";Star-Trek"-Kirk-Trilogie (darunter hat es Shatner als ´Schriftsteller´ noch nie getan). Weil er trotz seines überlebensgroßen Egos kein Dummkopf ist, hat sich William Shatner wiederum der Unterstützung des schreibenden Ehepaars Judith und Garfield Reeves-Stevens versichert. Eine kluge Wahl, denn kaum jemand kennt sich so gut im ";Star-Trek"-Universum aus und trifft vor allem den Ton, der uns seine Protagonisten seit vielen Jahren zu lieben und teuren Feierabend-Gästen macht.
Shatner möchte selbstverständlich ";Star Trek"-Luxus-Science Fiction produzieren. Das meint er sich und seinem Publikum als der leibhaftige und einzige James T. Kirk schuldig zu sein. Der Leser honoriert und schätzt es, nicht zum x-ten Male mit einem Abenteuer der legendären Fünfjahresmission behelligt zu werden, die sich längst alle irgendwie ähneln. ";Sternendämmerung" gelingt darüber hinaus, was man in Kino und Fernsehen oft entbehren muss: die (überzeugende) Verklammerung vom ";Star Trek" der Vergangenheit und Gegenwart, zwischen denen die Handlung immer wieder springt.
Damit stellt sich ";Sternendämmerung" tapfer der quasirealen, Jahrhunderte umspannenden Fiktion, welche die ";Star-Trek"-Saga heute darstellt. Das Autorentrio fürchtet nicht die faktenreiche Historie (oder ihre detailversessenen, pingeligen Kenner), sondern stellt sie in den Nutzen ihrer Geschichte. Noch in den Nebensätzen werden immer wieder Ereignisse aufgegriffen, an die sich womöglich nur der absolute Trekkie erinnert. Das lässt ein außerordentlich dichtes Hintergrundgewebe entstehen, auf dem der eigentliche Plot stabil ruht.
´Ruht´ ist der zutreffende Ausdruck, denn obwohl stets etwas geschieht, ist ";Sternendämmerung" sichtlich die Ouvertüre zu einem Spektakel, das sich wohl mindestens über 1200 Druckseiten hinziehen wird. So reihen sich zunächst zwar spannend geschriebene, aber zusammenhanglos wirkende Episoden aneinander, bis endlich ein roter Faden - der Kampf gegen die ";Totalität" - sichtbar wird. Wer barockes Breitwand-Fabulieren schätzt, wird mit ";Sternendämmerung" auf seine Kosten kommen.
Kirk! Kirk! Kirk! (und Picard)
Wer ist der beste ";Enterprise"-Kapitän aller Zeiten? William Shatner kennt die Antwort auf diese Frage genau, und seit er ´Schriftsteller´ geworden ist, nutzt er jede Gelegenheit, die Trekkies auf seine Seite zu ziehen. Dieses Mal konnten ihn die Reeves-Stevens offenbar nicht so gut kontrollieren wie sonst. Das Ergebnis: ein durch Raum und Zeit kapriolender Kirk, den sein Freund Picard gnädig begleiten darf (wenn er denn Schritt halten kann).
Jean-Luc Picard ist in der Tat ein manchmal recht dröger Zeitgenosse, aber zum Steigbügelhalter des entfesselten Kirk degradiert zu werden, das hat er ganz sicher nicht verdient! Auf der anderen Seite weiß Shatner anschaulich zu machen, dass die Sturm- und Drangzeit der Föderation Männer wie ihn - Tatmenschen - benötigte, die nach der Konsolidierung einer nüchterner forschenden Generation Platz machen konnten und mussten. Picard ist in der Krise durchaus zu schnellen, die Regeln großzügig auslegenden Entscheidungen fähig. Kirk lebt allerdings in einer Welt, der jedem Moment eine potenzielle Ausnahmesituation entspringen kann. Das hat ihn geprägt und zu dem unberechenbaren Strategen werden lassen, der geachtet und gefürchtet (oder verflucht) wird.
Interessant sind Kirks Selbstreflexionen, die viel vom wahren William Shatner verraten. ";Im Gegensatz zu den verlorenen Details standen die Gefühle der damaligen Zeit ... Einen Traum verwirklicht zu haben, mit hoch angesehenen Profis und guten Freunden zusammenzuarbeiten ... Er konnte immer noch auf jene Erinnerungen zurückgreifen, auch wenn manche von ihnen dunkler und schmerzhafter waren" (S. 100). Diese Passage spiegelt womöglich Shatners lückenhafte und geschönte Erinnerung an seine ";Star Trek"-TV-Tage wider, die er nach Auskunft seiner erbosten Schauspieler-Kollegen weitgehend vergessen hat, um sie erst im Alter lukrativ und zu seinen Gunsten revidiert wieder zum Leben zu erwecken. Glücklicherweise stehen ihm die Garfield-Reeves zur Seite, die ihren Teil dazu beitragen, die neuen Logbücher des Captain Kirk lesbar zu gestalten - wenn er sie denn lässt ...
William Shatner, Heyne
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