Mutter im einsamen Kampf gegen Zombie-Kidnapper
Sue Young beginnt sich beruflich wie privat endlich in ihr neues Leben einzufinden. In Boston, US-Staat Massachusetts, lebt sie allein mit ihrer einjährigen Tochter Veda, nachdem Phillip, Ehemann und Vater, den sie schon seit ihrer Kindheit in dem kleinen Flecken Gray Haven kennt, sie vor 18 Monaten verlassen hat.
An einem unfreundlichen Winterabend stürzt Sues kleine Welt neuerlich in sich zusammen. Am Telefon meldet sich ein unbekannter Mann, der sie mit der Nachricht schockiert, Veda und ihr Kindermädchen Marilyn gekidnappt zu haben. Er will kein Geld, sondern fordert Sue auf, sich unverzüglich auf den Weg nach Gray Haven zu machen. Sollte sie sich weigern oder die Polizei verständigen, wird er Veda umbringen.
Sue geht kein Risiko ein. Obwohl in Panik, befolgt sie die Anweisungen des Entführers, der drakonische Strafen für jede Verzögerung oder Abweichung von seinen Befehlen androht. Dass er meint, was er sagt, weiß Sue spätestens dann, als der Mann ihr bei einem Zwischenstopp die Leiche von Marilyn ins Auto setzt.
Zu diesem Zeitpunkt ist Sue allerdings längst zu einem noch tieferen Grauen zurückgekehrt. Sie hatte einen guten Grund, Gray Haven den Rücken zu kehren. Im Sommer 1983 haben sie und Philipp, damals noch Kinder, einen berüchtigten Kindermörder gestellt, umgebracht und die Leiche unter einer Brücke begraben. Sie wurde nie gefunden, bis mehr als zwei Jahrzehnte später der Kidnapper Sue zwingt, die sterblichen Überreste zu bergen und in ihren Wagen zu schaffen, woraufhin die Irrfahrt durch die Nacht weitergeht bis zu einem kleinen Ort an der neuenglischen Atlantikküste.
Zwar versucht Jeff Tatum, ein Teenager aus Gray Haven, die Pläne des Mörders zu durchkreuzen. Er kennt ihn als Isaac Hamilton, einen Serienkiller aus dem Totenreich, und er will dessen Treiben endlich beenden. Sue soll ihm dabei helfen, aber Hamilton ist allgegenwärtig, und er & seine toten Schergen reisen nicht nur schnell, sondern sind auch unerbittlich ...
Oldschool-Horror, heftig & splatterfreudig
Wo ist er geblieben, der echte, blanke Horror, der kein subtiles Grauen durch Andeutungen und huschende Spukgestalten verbreitet, sondern hart und deutlich die Mächte der Finsternis bei ihrer blutigen Arbeit zeigt? Im Film ist er so präsent wie nie, doch in der phantastischen Literatur fristet er ein Mauerblümchendasein. Unfreundliche Kritiker hassen ihn und haben ihn sofort im Visier, wenn er sein hübsch-hässliches Haupt erhebt. Die Phantastik soll ihr Genre-Ghetto verlassen, gefälligst 'erwachsen' und präsentabel werden, und da stört er gewaltig, denn das wird und will er nie.
Leider sind die meisten Autoren, die sich dem eigentlichen Horror widmen, höchstens Zeilenschinder, die sich und ihre Geschichte durch pure Unfähigkeit nicht nur der Kritik, sondern auch der Lächerlichkeit preisgeben. Nicht viele fähige Schriftsteller lassen es krachen, ohne um ihren Ruf zu bangen, und diejenigen, die es dennoch wagen, zahlen ihren Preis dafür. Dabei kann es ungemein unterhaltsam sein, wenn das Böse sich brachial seinen Weg bahnt. Wieso haben Schlagetots wie Jason Vorhees, Michael Myers oder Freddy Krueger wohl so viele Fans? In diese Runde reiht sich Isaac Hamilton mit seiner Flinte und seiner Vorliebe für zerschossene Augäpfel würdig ein.
Buchstäblich geradlinig erzählt Schreiber seine Geschichte: Sie folgt einem Kurs, der von der Landkarte vorgegeben wird. Die Idee, dass sich Tote wecken lassen, indem ihr 'Erwecker' - in unserem Fall weiblichen Geschlechts - einer bestimmten Fahrtroute folgt, ist fast originell. Vor allem funktioniert sie, denn von Ort zu Ort steigert Schreiber die Intensität, mit der die Toten sich melden.
Dass die unfreiwillige 'Assistentin' des Bösewichts nicht aus der Reihe tanzt, garantiert die Entführung ihrer Tochter. Die Platzierung in der Schublade "Muttertier" (s. u.) sichert diesen Teil der Handlung und sorgt für zusätzliche Spannung: Wird der grässliche Unhold dem armen Baby wehtun?
Guter Auftakt mündet im schlappen Finale
Die Antwort soll hier ausbleiben, doch vermutlich genügt die Andeutung, dass Schreiber im Finale seiner Horrorgeschichte einerseits die Munition ausgeht, während er andererseits gewaltigen Pulverdampf verbreitet: Dosierte er den Schrecken bisher sorgfältig, so lässt er ihm nunmehr sämtliche Zügel schießen. Er übertreibt es maßlos, lässt Zombiehorden umhertorkeln, den bitterbösen Hamilton spuken und den Wintersturm rasen. Trotz der geballten übernatürlichen Übermacht kann Sue obsiegen, doch wie sie das schafft, wirkt keineswegs überzeugend.
Selbstverständlich - so muss man heute leider sagen - folgt im letzten Absatz der völlig unlogisch aus der Luft gegriffene, aber gern benutzte Ätsch-Bätsch-Twist, der suggeriert, dass der Schurke gar nicht ausgeschaltet ist, sondern sein übles Spiel umgehend fortsetzen wird: Ring frei für Runde 2 bzw. eine Fortsetzung. Schade, dass Schreiber diesen flauen Trick anwendet.
K(r)ampf der Klischees
"Untot" ist das literarische Gegenstück zu einem Zwei-Personen-Stück. Die schauspielerische Herausforderung wird bei einer eventuellen Verfilmung darin liegen, dass die weibliche Hauptperson beinahe die gesamte Handlung allein bestreiten und auf die zunächst nur per Telefon eingespielten Attacken ihres Gegenspielers reagieren muss.
Einer jungen Mutter wird ihr Kind entführt, um sie zu Handlungen zu zwingen, auf die sie sich sonst niemals einlassen würde; damit sie spurt, droht der Kidnapper immer wieder, dem Kind etwas anzutun: Das funktioniert als Treibriemen für eine eher brachiale als raffinierte Geschichte, denn der Verfasser kann sich auf uralte Klischees stützen: Selbstverständlich wird Susan ihrem Peiniger wortgetreu Folge leisten, denn schließlich ist sie eine Mutter, und als solche - so suggeriert Schreiber - kann sie gar nicht anders. Also bemüht er sich erst gar nicht, der Geschichte eine zweite Ebene zu schaffen, die z. B. Susan beim ernsthaften Versuch zeigt, dem Kidnapper ihrerseits eine Falle zu stellen. Als unfreiwillige Heldin, die dem Hamilton-Spuk endlich ein Ende setzt, wirkt sie deshalb nicht gerade authentisch.
Angst und Not eines unter Druck gesetzten Menschen weiß Schreiber dagegen gut darzustellen. Wie so oft ist die Reise deshalb interessanter als das Ziel. Das schließt Isaac Hamilton ein. Als überlebensgroßer und (scheinbar) unüberwindlicher Gegner leistet er solange einen guten Job, bis Schreiber ihn reden lässt. Als Hamilton damit erst einmal begonnen hat, kann er gar nicht mehr aufhören. Er quatscht und quatscht, bis er sein Geheimnis gelüftet hat. Anschließend stellt er sich in der finalen Schlacht zwischen Gut (Sue) und Böse für ein Gespenst mit mehrhundertjähriger Erfahrung im Schurken & Tücken auch noch denkbar tölpelhaft an. Leider ist Hamilton außerdem nur böse und überhaupt nicht originell, was seine Unzulänglichkeiten umso deutlicher offenbart.
Selbstverständlich ist solche Kritik zu streng und eigentlich fehl am Platz. "Untot" ist Lesefutter, womöglich Trash. Dennoch fängt die Geschichte viel versprechend an und bleibt auch im Hauptteil spannend. Deshalb mischt sich in die Nachsicht des Rezensenten - der schließlich auch Leser ist - ein wenig Frustration und Zorn: Das mit dem Finale müssen sie noch lernen, Mr. Schreiber. Ansonsten vielen Dank für ein paar rasante Lesestunden - und Hut ab vor der Entscheidung, diese Geschichte auf nicht einmal 300 Seiten zu erzählen, statt sie wie heute üblich auf das Doppelte oder Dreifache auszuwalzen!
Joe Schreiber, Bastei-Lübbe
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