Das Höllenwrack
- Blanvalet
- Erschienen: Januar 2007
- 2
Erinnerungen an 9/11 - oder der persönliche Kreuzzug des Handyman Jack
Als Handyman Jack seinen Vater vom Flughafen abholen will, passiert das Undenkbare. Zwei Männer, offensichtlich arabische Terroristen, eröffnen an der Gepäckausgabe mit vergifteten Patronen das Feuer auf die Passagiere aus Miami. Es gibt keine Überlebenden. Unter den Opfern auch Jacks Vater.
Nachdem es Handyman Jack offiziell seit Jahrzehnten nicht mehr gibt, kann er die Leiche weder amtlich identifizieren noch überführen lassen. Zum Glück gibt es ja noch seinen respektablen Bruder Tom. Als ehemaliger Anwalt hat dieser sich die Karriereleiter heraufgearbeitet und fungiert nun als honoriger Richter. Dass sich die beiden nie so richtig verstanden haben, spielt angesichts des familiären Dramas keine Rolle mehr. Doch kaum im Big Apple angekommen, entpuppt sich der respektable Richter als ein mit allen Wassern gewaschener Ganove. Zwei Höllenschlampen und drei Kinder hat er bereits auszahlen müssen, zur Zeit treibt seine dritte Frau die Kreditkartenrechnung mit ihren Schuhkäufen in ungeahnte Höhen. Da muss man auch als öffentlich bestallter Richter schauen, wo man bleibt. Dumm nur, dass einer der feinen Herren, die ihn geschmiert hatten, im Gefängnis sitzt, und um seinen Kopf zu retten, Toms Namen ausgeplaudert hat. Das FBI setzt sich auf Toms Spur, er muss untertauchen.
Und was braucht man so, wenn man verschwinden will? Eine Menge Bares und Beziehungen. Letzteres findet er in seinem zunächst ob der Offenbarungen geschockten Bruder, der nur dem Gedenken an ihren Vater zuliebe einwilligt, Tom zu helfen. Und Bares hat Tom auf den Bermudas gebunkert. Zwar hat das FBI seinen Pass eingezogen, doch Tom weiß, wie man auch ohne Papiere das Land verlässt. Zusammen mit Jack segelt er auf einer Jacht in Richtung Karibik.
Als Tom seine halbe Million aus dem Schließfach holen will, erlebt er eine herbe Enttäuschung. Seine Konten sind eingefroren, der Zugang zum Safe wird ihm verwehrt. Als letzte Chance, doch noch zu dem nötigen Zaster zu kommen, geht Tom auf Schatzsuche. Vor gut drei Jahrhunderten versank eine spanische Gallone vor Bermuda, an Bord ein überaus wertvolles Relikt. Trotz aller Vorbehalte und trotz seines Instinkts, der ihn warnt, hilft Jack seinem Bruder, die Lilitonga von Gefreda zu heben. Erstaunlich nur, dass in unmittelbarer Nähe des Wracks und seiner Ladung nichts gedeiht. Die Korallen sind abgestorben, die Fische halten sich fern.
In der Schatzkiste befindet sich ein eiförmiges Gebilde aus unbekanntem Material. Wieder nach New York zurückgekehrt öffnet sich die Büchse der Pandora. Vicky, die kleine Tochter von Jacks Frau, aktiviert das Ei. Ein schwarzer Fleck bildet sich auf ihrem Rücken, während die Lilitonga unverrückbar und unzerstörbar in ihrer Nähe schwebt. Voller Panik macht sich Jack auf die Suche, was er und sein Bruder da nur ans Tageslicht geholt haben. Ein uraltes Buch gibt Auskunft. Ein magisches Fluchtmittel, das denjenigen, der es aktiviert, für immer in die Anderswelt entführt...
Kritik am Rechts-Un-System
Im Laufe der Geschichte unseres Anti-Helden Repairman Jack haben wir nach und nach seine Familie kennengelernt (seine Mutter trat in »Die Gruft« auf, seine Schwester übernahm in »Todesfrequenz« die Hauptrolle, sein Vater dominierte in dem bislang wohl besten Handyman Jack-Roman »Der Todessumpf«).
Dieses Mal also erwartet uns sein großer Bruder. Der so honorige Stützer von Recht und Gesetz entpuppt sich hierbei als Überraschung. Der ach so ehrenwerte Richter ist käuflich und schreckt vor keinem noch so krummen Geschäft zurück, wenn nur das Bare stimmt. Geldwäsche, Drogenkonsum, Prostitution - kein Laster, kein Verbrechen, das ihm fremd ist, muss er doch seinen teuren Lebenswandel sichern. Dabei hemmt ihn keinerlei Unrechtsbewusstsein: er betrügt arme Schlucker, spielt mit der Gefahr, entdeckt zu werden, holt sich jeden Kick, den er bekommen kann. Kein Wunder, dass sein kleiner Bruder, der sich seit Jahrzehnten aus der Gesellschaft ausgeklinkt hat, Mühe hat, die vermeintliche Lichtgestalt wiederzuerkennen.
Wilson nutzt die beiden so ungleichen Brüder geschickt, um die Frage »Was ist Recht?« zu thematisieren. Wer ist der Schlimmere? Der, der sich aus der wohlgeordneten Gesellschaft verabschiedet hat, der dafür sorgt, dass Verbrechen geahndet werden, oder der geachtete Repräsentant der Staatsmacht, der, wie so viele seiner Standeskollegen nur die persönliche Bereicherung im Sinn hat. Wilson legt Tom die Aussage in den Mund, dass es mittlerweile nur mehr um die Buchstaben des Gesetztes geht, nicht um dessen Sinn. Sobald sich eine Lücke im Text einer Vorschrift auftut, ist es ein Volkssport geworden, diese auszunutzen, um eigentlich schuldige Klienten aus ihrer Verantwortung zu pauken. Das sind durchaus nachdenkenswerte Überlegungen, zumal auch unser Deutsches Recht zunehmend in diese Richtung tendiert. Wenn Verbrecher aufgrund Verfahrensfehler lachend und frei den Gerichtssaal verlassen, dann ist irgendetwas an dem entsprechenden Rechtssystem dringend reparaturbedürftig.
Das Höllenwrack bietet uns, wie wir das von Handyman Jack-Romanen gewohnt sind, atmosphärisch dichte, actionreiche Unterhaltung. Durch die Pseudohistorie, die der Autor über die bislang in Übersetzung vorliegenden neun Bände aufgebaut hat, werden die Gestalten immer plastischer. Eine spannende, diesmal sehr ins Übernatürliche neigende Handlung sorgt für atemberaubende Spannung. Insoweit ein Roman, der sich nahtlos in die Reihe guter, teilweise herausragender Bücher um einen der ungewöhnlichsten Anti-Helden der phantastischen Literatur einfügt.
F. Paul Wilson, Blanvalet
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