Schwarzer Pfad durch weißen Schnee
Die Welt ist kalt, brutal und gottlos: Das ist die Botschaft, die Brian Ruckley den Lesern von ";Winterwende"; schon auf den ersten Seiten seiner recht langen Exposition vermittelt. Kalt, weil Schnee, Eis und frostige Gebirge das Klima bestimmen. Brutal, weil die verfeindeten Clans rücksichtslos um Macht und Einfluss kämpfen. Und sie ist gottlos, weil lange vor dem Einsetzen der Handlung sämtliche Götter dieser Welt den Rücken zugekehrt haben. Enttäuscht von Hass und Kriegsbesessenheit der Rassen sind die Götter in höhere Sphären aufgestiegen, weg von ihren mörderischen Anhängern.
Im eiskalten Land des Krieges bekämpfen sich die Clans der Horin-Gyre und der Lannis-Haig. Letztere haben die Horin-Gyre vor mehr als hundert Jahren aus ihrem Stammesgebiet vertrieben, das diese nun zurückerobern wollen. Zum traditionellen Fest der Winterwende überfallen die Inkallim, Elitetruppen der Vertriebenen, die Lannis-Haig und erschlagen den Than. Dessen Sohn gelingt zusammen seinem Lehrer die Flucht, doch die gnadenlosen und beinahe unbezwingbaren Inkallim-Kämpfer nehmen die Verfolgung auf. Ihre Kraft ziehen diese Ninja-artigen Krieger aus ihrem Glauben an den ";Schwarzen Pfad";, eine Religion mit ausgeprägtem Sendungsbewusstsein.
Ruckley bevölkert seine Welt der Winterwende aber nicht nur mit Menschen, die hier Huanin heißen. Es gibt außerdem eine elfenartige Rasse, die Kyrinin und Mensch-/Elf-Mischlinge, die Na’Kyrim. Die Na’Kyrim werden von Menschen und Elfen gleichermaßen misstrauisch betrachtet, doch sind sie mit spirituell-magischen Fähigkeiten ausgestattet und dadurch sehr mächtig.
Moderne und zerrissene Helden
Wer jetzt denkt, dies ist eine gewöhnliche Heroic-Fantasy-Geschichte, liegt allerdings falsch. Natürlich wird viel gekämpft und die Schlachtenbeschreibungen sind nichts zur Zartbesaitete. Vom epischen Ansatz und der charakterlichen Aufstellung der Hauptfiguren auf Seiten der Huanin erinnert Brian Ruckleys Erstling an George R. R. Martins ";Lied von Feuer und Eis";, wenn auch mit dem großen Unterschied, dass ";Winterwende"; wesentlich linearer erzählt ist. Die Figuren sind komplex angelegt, sie handeln nicht immer vorhersehbar. Durch ihre Ambiguität kommt man in den Genuss vieler verschiedener Sichten auf die gleiche Sache, allerdings auf Kosten einer deutlicheren Identifizierung mit einem oder wenigen Protagonisten. Was man jedoch auf alle Fälle mitnimmt, ist die Erkenntnis, dass niemand Recht und Gerechtigkeit für sich alleine gepachtet hat, dass es keine Sache gibt, die nur gut oder nur schlecht ist. Modern und innerlich zerrissen sind sie, die Helden Ruckleys.
Und nachdem sich Ruckley geschickterweise des Pantheons seiner Welt schon im Vorfeld entledigt hat, verleiht er den blutigen Machtkämpfen seiner Clans eine sehr aktuelle Note: Hier wird im Namen einer Religion Krieg geführt, deren Götter nicht mehr greifbar sind.
Neben religiösem Fanatismus thematisiert der Roman auch Rassentrennung und -diskriminierung. Nicht nur verachten sich die Menschenclans untereinander, sie grenzen auch die Na’Kyrim und Kyrinin aus. Während die Halbelfen gerade mal geduldet werden, werden die Kyrinin als eine Art Untermenschen von den Huanin instrumentalisiert und auch verfolgt.
Fazit: ";Winterwende"; ist ein starker und komplexer Debütroman. Brian Ruckley schreibt realistisch, einfallsreich, bildhaft und mit klaren Botschaften. In diese Welt aus Eis, Stahl und Blut einzutauchen sei jedem Fan epischer Fantasy empfohlen.
Brian Ruckley, Piper
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