Der Große Süden
- Heyne
- Erschienen: Januar 1980
- 4
Ein düsteres Bild über ein fiktives Amerika
In der letzten großen und entscheidenden Schlacht im amerikanischen Bürgerkrieg versetzen die Südstaaten unter dem Befehl von General Lee dem Norden den endgültigen Todesstoß. Die Schlacht um Gettysburg entscheiden die Konförderierten für sich und gedemütigt ziehen sich die Unionstruppen zurück.
Ein anderes Amerika entsteht und wird zur Heimat des jungen Hodge Backmaker. Mit 17 Jahren verläßt er seinen Heimatort in der Provinz und geht nach New York, um dort mehr über die Geschichte seines Landes zu erfahren und zu lernen. In seinen Adern fließt das Blut eines Historikers und dank seiner autodidaktischen Fähigkeiten lernt er sehr schnell und nutzt jede Gelegenheit sein Wissen zu erweitern.
Das Leben im verarmten Norden ist nicht einfach. Hohe Reparationszahlungen an die reichen Großgrundbesitzer des Südens treiben den Norden unweigerlich in den Ruin. Die meisten Menschen begeben sich in eine Kontraktknechtschaft, eine moderne Form der Sklaverei. Andere resignieren und investieren in die Lotterie, in der Hoffnung auf den Hauptgewinn.
Hodge Backmaker aber geht einen ganz anderen Weg. Er findet eine Anstellung in einem bescheidenen Buchladen. Im Laufe der Jahre eignet er sich mit der ihm zur Verfügung stehenden Literatur ein enormes Wissen an. Unfreiwillig gerät er dabei in die politischen Machenschaften einer Untergrundbewegung, welche sich "Die Große Armee" nennt. Schnell begreift er, daß seine liberale Einstellung nicht überall auf Verständnis stößt. Selbst seine erste große Liebe scheitert aufgrund seiner freundschaftlichen Beziehung zu einem Farbigen.
Nach einigen Jahren verläßt Hodge Backmaker schließlich den Ort seiner ersten Studien. Ein Team, bestehend aus exzellenten und ebenso exzentrischen Wissenschaftlern, wird auf ihn aufmerksam und ist begeistert von seinen Fähigkeiten als Historiker. Er reist zu ihrem Institut und wird Mitglied einer obskuren Gesellschaft, deren Mitglieder sich von der Außenwelt völlig zurückgezogen haben. Hodge verliebt sich in eine begnadete Wissenschaftlerin und wird in den nun folgenden Jahren Zeuge eines unglaublichen Projektes: der Entwicklung einer Zeitmaschine.
Der Traum eines jeden Historikers scheint für ihn in Erfüllung zu gehen. Als Augenzeuge über die vergangene Geschichte zu schreiben, dabei historische Personen zu belauschen und das alles aus der Perspektive eines späteren Zeitalters.
Schließlich reist er zurück ins Jahr 1863, versteckt sich in der Nacht zum 4.Juli in der Nähe von Gettysburg, um als stiller Beobachter der alles entscheidenden Schlacht beizuwohnen. Ein Spähtrupp der Konförderierten entdeckt ihn. Das hat fatale Folgen....
Zeitreisen - Segen oder Untergang?
Ward Moore beschäftigte sich eigentlich nur am Rande mit Science Fiction. Um so faszinierender ist die Tatsache, daß er diese Geschichte schon 1953 unter dem Originaltitel "Bring the Jubilee" veröffentlicht hat. Wer weiß, vielleicht inspirierte ihn auch ein Klassiker wie "Die Zeitmaschine" von H.G.Wells. Mit seiner Erzählung gelingt es dem Autor zudem, ein bemerkenswertes Beispiel der sogenannten Parallel- oder Alternativweltromane zu schaffen.
Der Roman besticht durch seine überaus gelungenen und auf hohen Niveau stattfindenden Dialoge. Die Personen wirken glaubhaft und dadurch sehr lebendig. Das Lesen wird zum Vergnügen und man möchte das Buch nicht mehr aus den Händen legen. Ein düsteres Bild über ein fiktives Amerika, wie es hätte sein können, wäre der Süden tatsächlich als Sieger aus dem Sezessionskrieg hervorgegangen.
Fazit: Ein überaus unterhaltsamer und anspruchsvoller Roman, dem die so oft gestellte Frage "Was wäre wenn...??", zu Grunde liegt. Auch die Entwicklung Europas wäre sicherlich anders verlaufen, würde es die Vereinigten Staaten, wie wir sie heute kennen, in dieser Form nicht geben. Der Roman wirft am Ende Fragen auf, die Raum für unendlich viele Spekulationen eröffnen und den Leser noch lange beschäftigen werden. Wären Zeitreisen ein Segen oder der Untergang für die Menschheit?
Ward Moore kann mit seinem Buch diese Frage nicht beantworten, jedoch gelingt es ihm, den Leser in eine phantastische Welt zu entführen und außerdem einem philosophischen Anspruch gerecht zu werden.
Ein großartiger Roman, der auch über fünfzig Jahre nach seiner Erstveröffentlichung, nichts von seiner Faszination eingebüßt hat.
Ward Moore, Heyne
Deine Meinung zu »Der Große Süden«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!