Es könnte jederzeit zu Ende gehen
Wer Wilsons Erfolgsroman "Spin" gelesen hat, der hat bereits auf der fünften Seite ein erstes Déjà-vu-Erlebnis. Eine Gruppe von drei Jounalisten besucht eine Forschungsstation: Elaine Coster, die für das Wissenschaftliche zuständig ist, Sebastian Vogel vertritt den spirituellen Standpunkt und Chris Carmody hat sich eher für dem "menschlichen" verschrieben.
"Spin" lebte davon, daß der Autor das Geschehen aus der Sicht von drei unterschiedlichen Standpunkten betrachtete: dem wissenschaftlichen, dem spirituellen und dem menschlichen. Sollte sich Wilson in "Quarantäne" die gleiche Vorgehensweise zunutze machen?
Doch zunächst sollte man wissen, dass "Quarantäne" bereits zwei Jahre vor "Spin" entstand und erst jetzt in Deutschland im Sog des Bestsellers veröffentlicht wird. Und ich kann bereits vorausschicken, daß Wilson hier diese verschiedenen Standpunkte bei weitem nicht so gut herausgearbeitet hat wie in "Spin".
Die Technik entwickelt sich selbst
Die Forschungsstation Blind Lake in Minnesota nutzt sogenannte O/BEKs dazu, Lebewesen auf einem etwa 50 Lichtjahre entfernten Planeten aus Sicht einer Kamera zu beobachten. Wie diese Geräte genau arbeiten, das entzieht sich weitgehend dem Verständnis der Wissenschaftler, denn die Apparate haben sich nach ihrer Installation immer mehr verselbständigt, als ob sie von einer fremden Macht gesteuert werden würden. Die Techniker sind somit weitgehend zu einfachen Arbeitern mutiert, die die Installation am laufen halten. So zieht sich auch der Eröffnungssatz des Buches "Es könnte jederzeit zu Ende gehen" wie ein roter Faden durch die Handlung. Denn kein Mensch weiß, wie lange man noch diese für die Wissenschaft bahnbrechende Möglichkeit hat, ein Auge auf eine außerirdische Zivilisation zu werfen.
Marguerite Hauser ist die wissenschaftliche Leiterin der Station und hat es sich zur Aufgabe gemacht, ein einzelnes der fremden Wesen - allgemein als "das Subjekt" bezeichnet - zu beobachten. Neben ihrer Arbeit hat sie jedoch schwere Probleme mit ihrem Ex-Mann Ray Scutter, der zur Zeit kommissarisch als Leiter der gesamten Station fungiert. Ray nimmt Marguerite als Wissenschaftlerin nicht ernst und versucht mit hinterlistigen Mitteln ihr die gemeinsame Tochter Tessa abspenstig zu machen, für die er bereits ein Teil-Sorgerecht erkämpft hat. Tessa leidet unter psychischen Problemen. Ihre unsichtbare Freundin "Mirror-Girl", die ihr immer wieder erscheint, macht den Eltern Angst.
Gefahr von innen oder von außen?
Eines Tages bricht der Kontakt zur Außenwelt urplötzlich ab. Die komplette Forschungsstation ist abgeriegelt. Eine solche Möglichkeit ist vorgesehen, um die Station vor äußeren Risiken zu schützen, aber auch, um die Menschen außerhalb vor Gefahren zu schützen, die durch die Station entstehen könnten. Bisher wurde eine solche Maßnahme nur stundenweise ergriffen, doch nun zieht sich die Quarantäne bereits über Tage hin. Aus Tagen werden Wochen, aus Wochen Monate, und niemand hat eine Erklärung für die Lage. Die Versorgung der Bewohner mit Lebensmitteln erfolgt durch unbemannte Fahrzeuge.
Zeitgleich mit dem Beginn der Abschottung macht auch das "Subjekt" eine Veränderung durch. Es bricht aus seinem bis dahin gleichförmigen Leben aus, verlässt seine Stadt und begibt sich auf eine lange Wanderung.
Während bei den Eingeschlossenen zunächst stoische Ruhe herrscht im Glauben, dass die Situation wohl bald bereignigt sein wird, werden mit zunehmender Zeitdauer Stimmen laut, die die unbekannte Technik für die notwendig gewordene Quarantäne verantwortlich machen und die Abschaltung der Geräte fordern.
Eine simple Idee als Ausgangspunkt
Das grundlegende Thema des Romans ist für Wilson-Kenner nicht neu. Eine Gruppe von Personen wird mit einer Situation konfrontiert, deren Gründe und deren Folgen sie mit ihrem Verstand nicht erfassen kann.
Eine relativ simple Idee hat Wilson hier zu einem fast 500 Seiten starken Roman ausgearbeitet und technische Betrachtungen dabei weitgehend außer Acht gelassen. Langsam und oftmals sehr weitschweifig entwickelt der Autor das Geschehen und dabei auch die einzelnen Charaktere. Zwischenmenschliche Beziehungen und Konflikte nehmen dabei ebenso viel Raum ein wie die zentralen Ereignisse. Kein Roman für Leser, die auf Action stehen. Zugegebenermaßen hätte der Stoff auch für eine Kurzgeschichte getaugt, doch was Wilson alles an Drumherum in die Story packt, macht den eigentlichen Reiz des Buches aus.
Nichts Neues ist es leider auch, dass Robert Charles Wilson mit dem Abschluß seines Buches nicht so recht überzeugen kann. Auf Lösungen und Erklärungen muß der Leser im Großen und Ganzen verzichten und ist mit dem offenen Ende auf Vermutungen angewiesen.
"Qurantäne" ist ein SF-Roman, der durchaus seine Reize hat, doch in Wilsons Entwicklungsstadium noch nicht ganz oben anzusiedeln ist. Man sollte "Quarantäne" vor "Spin" lesen, um dort eine weitere Steigerung des Autors miterleben zu können.
Robert Charles Wilson, Heyne
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