Unter den Wolken der Venus

  • Goldmann
  • Erschienen: Januar 1963
  • 0
Unter den Wolken der Venus
Unter den Wolken der Venus
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Michael Drewniok
90°1001

Phantastik-Couch Rezension vonMär 2020

15 Episoden aus nahen und fernen Zukünften

15 Erzählungen des SF-Altmeisters Arthur C. Clarke aus den Jahren 1951 bis 1962:

- Unter den Wolken der Venus (Before Eden; 1961), S. 7-18: Glückstrahlend verkünden die Venus-Reisenden die Entdeckung von außerirdischem Leben, doch was sie auf dem besuchten Planeten ahnungslos hinterließen, sorgt für ein Ende dieser Evolution.

- Sensation aus dem Äther (I Remember Babylon; 1960), S. 19-29: Schriftsteller Clarke hat das Konzept des Kommunikationssatelliten erfunden und muss feststellen, dass Kommunisten-Teufel seine Idee als Propaganda-Instrument einsetzen wollen.

- Sommer auf Ikarus (Summertime on Icarus; 1960), S. 30-40: Auf einem sonnennahen Asteroiden gerät ein Wissenschaftler in Raumnot = in Gefahr, buchstäblich gebraten zu werden.

- Künstler unter sich (An Ape About the House; 1962), S. 41-47: Es sollte ein Streich sein, aber die genetisch aufgerüstete Affenfrau übertrifft ihre menschliche ‚Herrin‘ peinlich weit.

- Der verhexte Raumanzug (Who‘s There?; 1958), S. 48-52: Als er im All schwebt, merkt der Raumfahrer, dass er nicht allein in seinem Anzug steckt.

- Wiege im All (Out of the Cradle, Endlessly Orbiting ...; 1959), S. 53-57: Die Sensation des ersten Flugs zum Mars verblasst angesichts der Geburt des ersten nicht auf der Erde geborenen Menschen.

- Der lange Weg (The Road to the Sea; 1951), S. 58-103: In ferner Zukunft ist die Erde Heimat zufriedenen Restmenschheit, bis die energischen Auswanderer eines Tages nicht heim-, sondern zurückkehren, um ihre allzu antriebsschwach gewordenen Vorfahren zu retten.

- Vergeltung auf dem Meeresgrund (Hate; 1961), S. 104-118: Als eine bemannte russische Raumkapsel ins Meer stürzt, bekommt Taucher und Kommunistenhasser Tibor seine Chance zur Rache.

- Die zweite Warnung (Dog Star; 1962), S. 119-124: Hündin Laika ist schon lange tot, aber ihr Bellen warnt den Wissenschaftler schon zum zweiten Mal vor einer Katastrophe.

- Die Sirenengöttin (Trouble with Time; 1960), S. 125-130: Da er sich mit dem lokalen Kalender nicht auskennt, erlebt der Dieb in einem Museum auf dem Mars eine böse Überraschung.

- Das Entscheidungsspiel (A Slight Case of Sunstroke; 1958), S. 131-138: Fanatische Fußballzuschauer nutzen die Physik, um den bestochenen Schiedsrichter noch auf dem Spielfeld auszuschalten.

- Der Traumplanet (Saturn Rising; 1961), S. 139-149: Aus einem ‚unmöglichen‘ Traum wird nach Jahrzehnten geduldigen Forschens und Arbeitens Realität.

- Die Gefangenen des Kometen (Into the Comet; 1960), S. 150-159: Weil der Bordcomputer ausfällt, muss die Besatzung des gestrandeten Raumschiffs die eigenen Köpfe anstrengen.

- Todesstrahlen (Let There Be Light; 1957), S. 160-165: Der Mord war perfekt; der Irrtum beschränkt sich auf die Wahl des Opfers.

- Der Mächtige (Death and the Senator; 1961), S. 166-185: Einst war er ein Gegner der bemannten Weltraumfahrt, nun könnte die Schwerelosigkeit sein Leben verlängern.

Auch morgen wird es kein Paradies geben

1962 erschien dieser Sammelband mit Kurzgeschichten des britischen Schriftstellers Arthur C. Clarke. Er war bereits einer der Großen der Science Fiction und bereicherte das Genre regelmäßig mit Storys und Romanen, die quasi automatisch zu Klassikern avancierten. Clarke hatte nicht nur etwas zu sagen, sondern verfügte auch über das Talent, sich seinen Lesern verständlich zu machen, weshalb die hier vorgestellten Erzählungen zwar mehrfach Staub angesetzt haben, aber entweder aufgrund ihres Einfallsreichtums (plus einer gehörigen Portion Nostalgie) unterhaltsam geblieben.

Clarke gilt diversen Kritikern als Technokrat bzw. Vertreter einer Zukunft, die durch Wissenschaft und Technik geprägt wird bzw. werden sollte. Damit tut man ihm Unrecht. Höchstens „Die Gefangenen des Kometen“ feiert den tatkräftigen Wissenschaftler, der buchstäblich mit Hirnschmalz jedes Problem lösen kann - dies freilich im Rahmen eines originellen Plots, der diese Aussage unterstreicht. Doch schon in „Der verhexte Raumanzug“ zeigt uns Clarke einen Experten, der sich blamiert, weil letztlich doch der Urinstinkt über den Intellekt siegt.

Im Vordergrund steht nicht nur hier der unvorhersehbare Zwischenfall, der sorgfältige Planung ad absurdum führen kann, im Vordergrund. Clarke will keinesfalls die Schattenseiten einer fortschrittsgeprägten Zukunft unterdrücken. „Sommer auf Ikarus“ ist die überaus spannende Geschichte eines Raumfahrers, der in eine aussichtslose Notlage gerät. Nur der Zufall rettet ihn, und das Erlebnis wird ihn für den Rest seines Lebens zeichnen. Noch deutlicher - und pessimistischer - wird Clarke, als er in „Unter den Wolken der Venus“ den Triumph der Forschung mit der Vernichtung des Entdeckten gleichsetzt: Ein naiver Anhänger ungebremsten Fortschritts ist er nicht!

Die Zukunft ist, was der Mensch daraus macht

„Der Mächtige“ zeigt Clarke als (gemäßigten) Moralisten. Er bewegt sich in den Fußstapfen vieler Autoren, die den Anführern ihrer Gegenwarten - Könige, Päpste, Geschäftsleute - vor Augen führen wollen, dass weder Einfluss noch Geld sie vor dem Tod schützen kann, weshalb es - so die Botschaft - wichtig ist einzuhalten, um die Frage nach den wirklich wichtigen Dingen des (flüchtigen) Lebens zu stellen. Clarke trotzt dem limitierten Thema nichts Neues ab und wird sogar ein wenig sentimental, bleibt aber plausibel in der Umsetzung und bringt womöglich doch einige Leser dazu, ein Tränchen zu verdrücken … - ein Weg, den der Autor auch mit „Wiege im All“ einschlägt. (Weniger melancholisch bleibt Clarke in „Die zweite Warnung“, eine Story, die geschickt die jahrtausendealte Bindung zwischen Mensch und Hund thematisiert.)

‚Philosophisch‘ gibt sich der Verfasser in „Der Traumplanet“ oder in „Der lange Weg“;  eher eine Novelle als eine Story. Der Umfang ist einer Geschichte angemessen, die scheinbar das Ruhen im Selbst feiert, um letztlich die Frage zu stellen, ob dies nicht auch das Synonym für „Stillstand“, „Degeneration“ und „Untergang“ darstellt. Es ist bemerkenswert, wie trittsicher Clarke auf dem schmalen Grat zwischen Gefühl und Gefühlsdusel wandelt!

„Vergeltung auf dem Meeresgrund“ - im Original wesentlich zutreffender als „Hate“ betitelt - passt weder inhaltlich noch stilistisch zu den hier gesammelten Geschichten. Dies liegt sicherlich vor allem daran, dass Clarke eigentlich das Treatment zu einem Film schrieb, der nicht zustande kam, weshalb der Autor es zu einer Story umarbeitete. Die einst zur Zeit des „Kalten Kriegs“ herrschende Stimmung alltäglicher Paranoia und Angst vor den „Roten“ ist Bedingung für ein Funktionieren des eher allegorischen als vorstellbaren Geschehens, weshalb die Geschichte heute melodramatisch wirkt bzw. mehr durch die realistische Darstellung des zeitgenössischen Perlentauchens wirkt: Clarke war nicht nur Schriftsteller, sondern auch ein begeisterter Sporttaucher. Seit 1956 lebte er auf der Insel Sri Lanka, wo er später auch eine Tauchschule einrichtete.

Murphys Gesetz ist fortschrittsunabhängig

Humor ist nicht wie Wein; er altert oft schonungslos. Arthur C. Clarke war als Schriftsteller wiederum witziger, als viele Kritiker ihm zugestehen mochten. Dennoch haben auch seine Storys oft eine beschränkte Haltbarkeitsdauer. „Sensation aus dem Äther“ kann als Bestärkung gelten. Dabei ist die Ausgangssituation witzig, denn Clarke hatte 1945 tatsächlich das Konzept des Kommunikationssatelliten beschrieben. Über die Konsequenzen der Realisierung ist freilich die Zeit gnadenlos hinweggegangen: Das Internet hat die ‚Gefahr‘, propagandistisch oder pornografisch aus dem erdnahen Orbit belästigt zu werden, einerseits ad absurdum geführt, während sie andererseits längst zum Alltag gehört, ohne dass daraus jemand politische Macht hätte gewinnen können. Damit ist einmal mehr belegt, dass auch prominente SF-Autoren nur raten, wenn sie sich die Zukunft vorstellen. (Dazu passt die rührende Vorstellung, dass in Tempelsteine gehauene Ferkeleien prüde Zuschauer in Raserei versetzen könnten.)

Ebenfalls höchstens im Rückblick komisch sind „Die Sirenengöttin“ oder „Künstler unter sich“. Wo Clarke nicht den Klamauk bedient, sondern sich daran erinnert, dass er Brite und damit dort geboren ist, wo der schwarze Humor angeblich beheimatet ist, sorgt er für humorvolle Nachhaltigkeit. „Das Entscheidungsspiel“ ist reiner Unfug (und politisch inzwischen völlig unkorrekt), kann aber aufgrund absurder Gags noch heute die gewünschte Wirkung entfalten. „Todesstrahlen“ gehört zu einem Zyklus angeblicher Wirtshausgeschichten, die sich die Gäste des „Weißen Hirschen“ erzählen. Hier stellt die möglichst überraschende Auflösung das Ziel dar.

Anmerkung: „Unter den Wolken der Venus“ ist hierzulande bereits 1963 erschienen. Obwohl das verlagstypische Diktat der Seitennormierung bestand, kamen die deutschen Leser in den Genuss der vollständigen Sammlung, die dank eines grenzwertigen Schriftgrads übernommen werden konnte.

Fazit:

Obwohl vor vielen Jahrzehnten erschienen, haben diese Kurzgeschichten (plus eine Novelle) mehrheitlich ihre Wirkung und ihren Unterhaltungswert nicht eingebüßt. Arthur C. Clarke sorgte für Meilensteine der Phantastik - und dies nicht nur als Autor klassischer Romane, wie wir nach der Lektüre dieser Sammlung wissen!

Unter den Wolken der Venus

Arthur C. Clarke, Goldmann

Unter den Wolken der Venus

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