Qual

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2007
  • 6
Qual
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S.B. Tenz
70°1001

Phantastik-Couch Rezension vonAug 2007

Was lange währt…

Vom Meister selbst einst in Frage gestellt, auf Eis gelegt und zeitweise sogar verschollen, kommt nun nach mehr als dreißig Jahren ein Werk der frühen Schaffensperiode des Autors zur Veröffentlichung. Überarbeitet, ein wenig entstaubt und gestreckt. So kommt ";Qual"; (Blaze) nun doch noch zu späten Ehren. Besser spät als nie könnte man sagen. Oder doch eher umgekehrt?

Blaze und sein Kumpel George sind zwei Schmalspurganoven, die sich überwiegend mit kleineren Betrügereien über Wasser halten. Blaze, ein hochgewachsener Bursche von kräftiger Statur, George ein Hänfling mit den Zügen eines listigen Wiesels. Aber nicht nur äußerlich sind beide ein ungleiches Paar. George, der Denker und Planer, träumt  von dem ganz großen Coup. Blaze, des logischen Denkens nicht unbedingt mächtig und auch sonst mit einigen Defiziten belastet, bewundert seinen Kumpel und einzigen Freund George und befolgt dessen Anweisungen kompromisslos. George ist sein einziger Halt und zugleich die Hoffnung auf eine bessere Zukunft.  In seiner Naivität ahnt Blaze nicht, das er in den Augen Georges nur ein Narr ohne jegliche Ambitionen ist. Nicht mehr als ein gut funktionierendes Werkzeug, das sich ohne Probleme manipulieren und handhaben lässt. Blaze verfügt zudem über Bärenkräfte, die ihn unter bestimmten Umständen zu einer gefährlichen Waffe werden lassen. Diese Tatsache macht ihn zwangsläufig auch zu Georges persönlichem Bodyguard.

Wenn auch geistig zurückgeblieben und zu unkontrollierten Gewaltausbrüchen neigend, ist Blaze im Grunde seines Herzens ein recht gutmütiger Kerl. Sein Pech, das er ständig an die falschen Leute gerät, die ihn immer tiefer in den Sumpf des Verbrechens reißen. Es kommt, wie es kommen muss und Blaze erklärt sich schließlich dazu bereit, ein schweres Kapitalverbrechen zu begehen. Komplize George plant nämlich die Entführung eines Babys. Von dem Lösegeld erhoffen sich die beiden Gangster endgültig ein sorgenfreies Leben. Kurz vor Ausführung der Tat kommt es jedoch zu einem unvorhergesehenen Zwischenfall, bei dem George getötet wird. Völlig verzweifelt und von nun an auf sich alleine gestellt weiß Blaze sich zunächst keinen Rat. Was wird nun aus dem großen Plan? Der Traum von finanzieller Unabhängigkeit rückt wieder in weite Ferne. Er ist sich dessen bewusst, dass er die Entführung des Kindes niemals alleine durchziehen kann. Blaze will sein Vorhaben schon aufgeben, als er plötzlich unerwartete Hilfe bekommt - Hilfe von seinem toten Kumpel George.

Ganz schön clever?

"Haben Sie ihren Kassenbon noch, damit Sie den Roman eventuell umtauschen können, sollte die Enttäuschung doch zu groß sein?" Mit dieser Frage leitet King sein (recht amüsantes) Nachwort ein. Ohne Umschweife stellt er sein ";neuestes"; Werk erst einmal selbst in Frage. Man könnte auch sagen, er rezensiert seinen Roman selbst, und das (zunächst) nicht unkritisch. Ganz schön clever. Nimmt er doch so mutmaßlichen Kritikern erst einmal den Wind aus den Segeln. So gesteht er unter anderem ein, dass es sich bei ";Qual"; um einen ";Schubladenroman"; handelt. Allerdings um einen überarbeiteten und modernisierten ";Schubladenroman";. Dass er ";Qual"; seiner Zeit selbst als handwerklich gut gemachten Schrott bezeichnete, gibt er als Grund an, weshalb das Manuskript nie den Weg zu einem Verleger gefunden hat. Soviel Offenheit ist lobenswert, macht aber auch misstrauisch. Woher nun dieser plötzliche Sinneswandel? Wohl kaum aus rein finanziellem Interesse, da alle Tantiemen oder Nebeneinkünfte aus ";Qual"; an ";The Haven Foundation"; gehen. Einer Stiftung, die freiberufliche Künstler unterstützt, die zurzeit nicht unbedingt auf der Sonnenseite des Erfolgs stehen. Wie auch immer, der Leser muss  tief in die Tasche greifen, da ";Qual"; als gebundene Ausgabe erscheint. Diese sieht zwar recht hübsch aus; eine Taschenbuch Ausgabe hätte es aber durchaus auch getan.

";Blaze (Qual)"; wurde zwischen 1972 und 1973 geschrieben. Wie King selbst sagt, ist es der letzte Roman aus der Zeit zwischen 1966 bis 1973, der größten Schaffensperiode eines Richard Bachman. Somit darf ";dieser Autor"; getrost in den verdienten Ruhestand treten. Es sei denn, es tauchen noch mehr verschollene oder ehemals verkannte Manuskripte auf. Bleibt zu hoffen, dass sich daraus kein allgemeiner Trend entwickelt.

…und meine Meinung?

Konzentrieren wir uns auf das Wesentliche. Die Story. Stephen King sagt, er wisse selbst nicht so recht wo er ";Qual"; einordnen soll. In der Tat, so leicht lässt sich das auch nicht sagen. Was zunächst wie ein Thriller anmutet, relativiert sich schnell. Dazu fehlt es der Story eindeutig an Spannung und Nervenkitzel. Ein Krimi, düster und schmutzig im Sinne des Film Noirs, trifft es da schon eher. Hinzu gesellt sich ein sozialkritischer Aspekt. Eine menschliche Tragödie  in einer Katastrophe endend, als Resultat einer unbarmherzigen und skrupellosen Gesellschaft. Nichts Neues also und darüber hinaus vollgepackt mit gängigen Klischees. Kings/Bachmans Sprache wirkt überholt, abgedroschen und trotz Überarbeitung und Modernisierung nicht mehr zeitgemäß. Sicher, es handelt sich um ein über dreißig Jahre altes Manuskript, aber vergleicht man ";Qual"; mit den übrigen sechs Bachman Romanen, so trifft hier die Bezeichnung ";zeitlos"; wohl am wenigsten zu. Zudem bietet ";Qual"; keine wirklichen Höhepunkte oder überraschenden Wendungen. Der lineare Ablauf der Story ist stets vorhersehbar und bietet kaum Spannungsmomente. Einzig die Fragen, ob es am Ende für das entführte Kind bzw. für die Eltern so etwas wie ein Happy End gibt und der Täter seiner gerechten Strafe nicht entgeht, sorgen beim Leser für Anspannung. Das war es dann aber auch schon. Mit Ausnahme von  Blaze bleiben zudem alle übrigen Protagonisten eher belanglos und oberflächlich. Nichtssagende Nebenfiguren notgedrungen in eine unglaubwürdige Handlung integriert. Die Dialoge wirken abgedroschen und banal. Der Straßen-Slang geht einem schon nach kurzer Zeit gewaltig auf die Nerven.

Zeitlich ist das Ganze schwer einzuordnen. King verzichtet auch nach der Überarbeitung bewusst auf moderne Gerätschaften wie Handy oder Computer. Anspielungen auf Musikrichtung oder Mode lassen in etwa erahnen, in welcher Zeit die Handlung angesiedelt ist. Die Polizisten allerdings erwecken den Eindruck als wären sie Zeitgenossen von Humphrey Bogart oder Edward G. Robinson. Das allerdings ist nicht als Kritik gemeint. Im Gegenteil, speziell letzteres verleiht dem Roman dieses Flair des Film Noirs. Nebenbei bemerkt, in der  heutigen Zeit wäre ein Täter wie Blaze wohl auch innerhalb weniger Stunden identifiziert und dingfest gemacht.

Für eine willkommene Abwechslung sorgen die Rückblenden, in denen die Jugend von Blaze und sein ganzes Martyrium geschildert wird. Fans des Autors wissen, dass diese Art der Erzählung zu den ganz großen Stärken Stephen Kings gehört. Daher sind diese Ausflüge in die Vergangenheit zum Teil auch spannender und fesselnder als die eigentliche Krimi-Handlung selbst. Ein zweischneidiges Schwert, da der Roman dadurch zum Teil auch künstlich gestreckt wirkt. Man wird das Gefühl nicht los, einer in die Länge gezogenen Kurzgeschichte aufgesessen zu sein bzw. einem professionell zusammengeschusterten Flickwerk.

Opfer, Täter, Opfer?

Was mich persönlich jedoch am meisten stört, ist die Charakterisierung der Hauptfigur Blaze. Beinahe unerträglich maßen die Rechtfertigungen an, die ständig seine Verbrechen zu entschuldigen bemüht sind. So wird Blaze zu einem Sympathieträger hochstilisiert und die eigentlichen Opfer dadurch zwangsläufig verhöhnt. Mit einer gesunden Kritik am braven und ";ehrenhaften"; Bürgertum hat dies nichts mehr gemein. Das ist einfach zu flach und stellenweise sogar zynisch. Schuld tragen allein die anderen, die Blaze schon in frühester Kindheit auf diesen Weg ins Unglück gebracht haben. Das alte/neue Thema eben, über das sich endlos diskutieren lässt und wobei die Meinungen sicher sehr weit auseinandergehen. Blaze als gutmütigen Charakter darzustellen, der anscheinend keiner Fliege etwas zuleide tun kann, ist schon ziemlich über das Ziel hinaus geschossen. Zwar mag der Leser mit ihm fühlen und leiden, wenn seine wenigen Glücksmomente in den Rückblenden immer wieder wie Seifenblasen zerplatzen; als eine Entschuldigung für seine spätere Skrupellosigkeit kann dies jedoch nicht gelten. So gerät Blaze schließlich auf die schiefe Bahn und wird zu einer Bedrohung derer, die ihn letztendlich geprägt haben. Der bitterbösen Gesellschaft. Diese Darstellung ist jedoch zu einfach und zu oberflächlich. Fakt bleibt, Blaze ist ein rücksichtsloser und eiskalter Gangster, der ohne zu zögern bereit ist, eines der abscheulichten Verbrechen überhaupt zu begehen. Kidnapping! Diese Tat kann und muss ihn alle Sympathien kosten. Alles andere wäre unerträglich. An die wirklichen Opfer, die Eltern des entführten Kindes, verschwendet der Autor indes kaum einen Gedanken. Wenn überhaupt, dann hätten diese empfindlichen und heiklen Passagen einer Überarbeitung bedurft. Unterm Strich also leider ein sensibles Thema, äußerst unsensibel behandelt.

Ach ja, bevor ich es vergesse. Als kleines Schmankerl gibt es noch die Kurzgeschichte ";Memory"; (31 Seiten), die schon 2006 in der Sommerausgabe der Literaturzeitschrift ";Tin House"; erschienen ist. Nette Geste möchte man zunächst meinen, im Nachhinein erweist sich aber auch dies als ein cleverer Schachzug Kings. Denn genau genommen handelt es sich bei ";Memory"; um eine Art Trailer, der die Keimzelle zu einem neuen Roman (Duma Key/Schmerz) bildet, der im Frühjahr 2008 erscheint. Ob es sich bei ";Memory"; um den Anfang oder einen Auszug des neuen Romans handelt, bleibt allerdings unklar. Das offene Ende der Kurzgeschichte könnte allerdings ein Indiz dafür sein, dass es sich um den Anfang von ";Duma Key"; handelt. Lassen wir uns überraschen.

Fazit

Wäre der Roman dort geblieben wo er die letzten Jahrzehnte war, nämlich in irgendeiner staubigen Kiste; der Welt wäre sicher keine gewichtige Literatur vorenthalten geblieben. Natürlich könnte man ihn mit etwas Mühe und Geschick auch schön reden, aber das überlasse ich anderen. Was nun bleibt, ist eine eher durschnittliche Kriminal-Geschichte, mäßig spannend und unspektakulär. Ein reanimierter Schubladenroman, der wohl nur die ganz treuen ";King-Jünger"; zu begeistern vermag, die dem Autor und seinen Werken eher unkritisch gegenüberstehen. Soll nicht heißen, dass ich nach wie vor nicht selbst ein begeisterter King-Leser wäre, im Gegensatz zu früher allerdings nicht mehr so kompromisslos. Zur quälenden Tortur wird ";Qual";  somit zwar nicht, aber so richtig Freude will auch nicht wirklich aufkommen. Ein mittelmäßiger Schlussakkord auf die Ära eines Richard Bachman.

So gehabt Euch denn wohl ";Sir Richard";, es war recht nett mit Euch, aber nun ruhet (endlich) in Frieden.

Qual

Stephen King, Heyne

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