Eine Gefühlsflut bricht über den Leser herein
Es gibt Lesemomente, die vergisst man nicht mehr - Bücher, die einen an einer Stelle so umwerfen, dass man sie erst einmal zuklappt und für den Rest des Tages weglegt, um nachzudenken und um das zu verarbeiten, was gerade ";geschehen"; ist.
Solche Momente, an die man sich noch Jahre später erinnert, erlebe ich selten, aber in ";A Storm of Swords"; von George R.R.Martin ist mir genau das widerfahren. Soviel kann also gesagt werden: Mit dem dritten Band des Lieds aus Feuer und Eis findet die Saga eine kongeniale Fortsetzung.
Es finden sich inzwischen reichlich viele Könige in Westeros: Die Lannisters setzen auf ihren Sprössling Joffrey auf dem Königsthron von King’s Landing, haben aber immer größere Mühe, den Jungen in seinem zunehmend sadistischen Verhalten unter Kontrolle zu behalten. Nach der Schlacht am Blackwater scheint ihr ärgster Widersacher, Stannis Baratheon, endgültig geschlagen. Dieser hat sich nach Dragonstone zurückgezogen und verfügt neben einem zerschlagenen Heer nur noch über die Unterstützung der roten Priesterin Melisandre, die allerdings über sehr mächtige magische Fähigkeiten zu verfügen scheint. Sie hat Stannis auch davon überzeugt, dass die wahre Gefahr auf Westeros nicht von einem tyrannischen Herrscher auf dem eisernen Stuhl ausgeht, sondern von Dunkelheit und Eis aus dem hohen Norden. Stannis sieht sich dazu auserkoren, sich dieser Gefahr entgegenzustellen, jedoch fehlt ihm hierzu ein Königreich.
Robb Stark gewinnt derweil alle Schlachten, die er führt, aber offenkundig nutzt ihm das kaum. Zum einen muss er erkennen, dass sich die Lannisters nach ihrem Sieg auf dem Blackwater durch geschickte Politik die Unterstützung der Häuser Tyrell und Martell und damit fast des gesamten Südens gesichert haben, zum anderen wird er durch die Eisenmänner von den Iron Islands bedrängt, die ihrerseits auf ihren eigenen König, Balon Greyjoy, setzen.
Daenerys ist währenddessen auf der Suche nach ihrer Armee, mittels derer sie den Königsthron zurückerobern will … und findet sie auch! Ihre Macht wächst mit jedem Tag, doch noch ist es ein weiter Weg nach Westeros, und Verrat lauert an jeder Ecke.
In all den Wirrungen hat sich die einst so mächtige Familie Stark inzwischen vollkommen aus den Augen verloren. Catelyn sitzt auf Riverrun und hofft, ihre Tochter Sansa zurückzubekommen, die bei den Lannisters als Geisel gehalten wird. Ihre Kinder Arya, Bran und Rickon hält sie fälschlicherweise für tot. Arya versucht tapfer, unerkannt nach Riverrun zu gelangen, ist aber zu jung, um sich den chaotischen Ereignissen zu entziehen, die sie immer wieder auf Abwege verschlagen. Bran und Rickon konnten der Zerstörung Winterfells entkommen. Bran entwickelt zunehmend die Fähigkeit, sich in seinen Schattenwolf zu versetzen. Mit Hilfe von Meera und Jojen Reed und dem einfältigen, aber gutmütigen Hodor macht er sich auf in den Norden, um diese Fähigkeit beherrschen zu lernen.
Der Nachtwache droht völlig unbemerkt von den Königslanden der völlige Zusammenbruch. Eine ganze Armee von Wildlingen um Mance Ryder drängt Richtung Mauer - gleichzeitig mehren sich Begegnungen mit den Wiedergängern und den ";Anderen"; - düstere, kalte Gestalte, die immer zahlreicher im verwunschenen Wald auftauchen. Die schwarzen Krähen - ohnehin nicht zahlreich - können keine Hilfe erwarten, da sich in den Bürgerkriegswirrungen keiner dazu bemüßigt fühlt, Verstärkung zu schicken. Tief im Sog dieser Ereignisse wird der von vielen Selbstzweifeln geprägte Jon Snow, der Bastardsohn von Eddard Stark, wahre Stärke beweisen…
In diesem (vorläufigen) Höhepunkt der Saga bricht eine wahre Gefühlsflut über den Leser herein. Obwohl man nach den ersten beiden Büchern gewarnt sein müsste, versteht es der Autor weiterhin meisterhaft, den Leser mit erschütternden Wendungen zu überraschen, schildert er unvorhersehbare Ereignisse mit einem meisterhaften Sinn für den treffenden Zeitpunkt.
Die breitesten Gegensätzlichkeiten finden Platz in seinem Epos: In die gewohnt martialisch beschriebenen Schlachten (die vor allem im hohen Norden und jenseits von Westeros stattfinden) versetzt er den Leser ebenso gekonnt wie in die im dritten Band zahlreich stattfindenden Hochzeiten, die er in höchst vielschichtiger, niemals den Leser langweilenden atmosphärischen Dichte zu zeichnen vermag. Allenfalls seine Neigung, dem Leser regelmäßig am Kapitelende einen Cliffhanger bieten zu müssen, nötig gewisse Qualen auf, denn da das nächste Kapitel aus Sicht eines anderen Protagonisten geschrieben ist, dauert es eine Weile bis zur Auflösung und beschert dem Leser oftmals mehrere parallel laufende Spannungsbögen, wo schon einer Grund genug für die nächste durchwachte Nacht wäre.
Inzwischen ist es auch eine Fantasygeschichte geworden - die magische Elemente haben sich amüsanterweise fast unauffällig aber stetig weiter in die Geschichte geschlichen - da ist die rote Priesterin Melisandre, deren Fähigkeiten ebenso faszinierend wie Furcht einflößend sind und die wie viele Gestalten in Martins Welt schwer einzuschätzen ist. Es treten Mammute und Riesen auf, Bran entwickelt Fähigkeiten, die ihn sein körperliches Schicksal mildern helfen. Geschick versteht es der Autor dabei, den Lesern mitunter lange im Unklaren zu lassen, ob manche Ereignisse nur Zufall und Aberglauben sind oder inwieweit mehr dahinter steckt - etwa hinsichtlich der telepathischen Fähigkeiten der Schattenwölfe oder der Unsterblichkeit eines Beric Dondarrion.
Fazit: Das Buch bildet den vorläufigen Höhepunkt des Lieds aus Eis und Feuer - eine emotionale Achterbahnfahrt, spannend, originell, entsetzend, humorvoll, herzzerreißend, mit Liebe zum Detail und sich Zeit nehmend für die Figuren - eine unvergleichliche Geschichte.
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