Tor der Verwandlung

  • Blanvalet
  • Erschienen: Januar 2007
  • 1
Tor der Verwandlung
Tor der Verwandlung
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Carsten Kuhr
70°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJul 2007

Ein magisch begabter Onkel Tom

Das derzhische Kaiserreich, das uns Carol Berg in ihrem Debutroman vorstellt, ist geprägt durch eine Kriegerrasse, die sich aus nomadischen Wurzeln entwickelt hat. In den letzten Jahrhunderten haben die wilden Reiterkrieger alle Reiche um sich herum überrannt und in Besitz genommen. Die jeweiligen Bewohner wurden als Vasallen gefügig gemacht und wer sich auflehnte, wurde versklavt.

Das Volk der Ezzarianer aber traf das Schicksal besonders hart. Regiert von einer Königin und mit magischen Gaben ausgestattet sorgten die neidischen Magier in Diensten der Derzhianer dafür, dass ihre ungeliebte Konkurrenz dauerhaft ausgeschaltet wurde. Völkermord, so raunt man, die wenigen Überlebenden werden ihrer Zauberkräfte beraubt und zu niedrigsten Sklavendiensten gezwungen.

Seyonne war einst einer der angesehensten Zauberer der Ezzarier. Als Wächter oblag es ihm, in den Geisterwelten im tödlichen Kampf gegen die Dämonen anzutreten. Nun ist er seit mittlerweile sechzehn Jahren Sklave in Derzhischen Diensten. Seinen Namen hat er ebenso verloren wie seine Selbstachtung und seine Mission. Um zu überleben, muss er unreine Nahrungsmittel zu sich nehmen und ist den Launen seiner Besitzer hilflos ausgeliefert. Männer wie Frauen benutzen ihn als Lustobjekt, er wird erniedrigt, missbraucht und als Gegenstand ohne Persönlichkeit behandelt.

All dies ändert sich, als der arrogante Kronerbe des Kaisers aus einer Laune heraus einen schreibkundigen Sklaven kauft. Hat Seyonne bislang gemeint, dass es nicht schlimmer kommen könnte, wird er eines Anderen belehrt. Sein neuer Herr Aleksander erweist sich als despotischer Tunichtgut, der aufgrund seiner Stellung gewohnt ist, seine Mitmenschen zu brüskieren und vor den Kopf zu stossen. Man kann sich vorstellen, was ein solcher in den Tag lebender Choleriker, dem nie Grenzen aufgezeigt wurden mit einem Sklaven anstellt. Seyonne wird geschlagen, eingesperrt, der Kälte ausgesetzt und missachtet. Doch so selten anfänglich die Begegnungen der beiden so unterschiedlichen Männer auch sind, irgendetwas fasziniert den Sklaven an seinem neuen Herren. Immer wieder einmal blitzt Potential auf, überrascht Aleksander seine Umwelt durch wohlüberlegte Schachzüge im politischen Ränkespiel. Tief verborgen unter all der Vergnügungssucht, der Gewaltbereitschaft und der Arroganz scheint der designierte Thronfolger ein durchaus fähiger Anführer und Stratege zu sein.

Schon vor Jahrzehnten haben die Derhianer das Volk der Khelid unterworfen. Anders als vielen der eroberten Reiche aber gelang es den Khelidianern, sich ein gehöriges Mass an Eigenständigkeit zu erhalten. Als geachtete Verbündete befinden sich ihre Emissäre an den Höfen der Herrscher und errichten Botschaften überall im Reich. Auch Aleksander wird von ihnen hofiert. Kurz vor seiner Salbung zum offiziellen Nachfolger des Kaisers wollen sich die undurchsichtigen Khelidianer naturgemäss ihren Einfluss sichern. Als Seyonne eines Tages bei einem Gespräch seines Herren mit dem Botschafter dabei ist, holt ihn seine Vergangenheit ein. In den Augen des Khelianers erkennt er, dass der Mann von einem Dämon besessen ist.

Eigentlich geht ihn die Sache nichts an. Seiner Kräfte und Würde beraubt, kann es ihm eigentlich gleich sein, wenn seine Sklavenhalter von den Dämonen beeinflusst werden. Nur zu bald aber häufen sich die Hinweise, dass die Dämonen mit Hilfe der Khelianer planen, die ganze Welt in einen Strudel aus Gewalt und Leiden untergehen zu lassen. Als Seyonne mit seinen wenigen verbliebenen Gaben dann tief im Inneren seines Herren erkennt, dass dieser als Streiter des Guten auserkoren ist, muss er den vor Jahrzehnten verlorenen Kampf gegen das Böse wieder aufnehmen. Zwei Verbündete, wie sie ungleicher nicht sein könnten, ein absoluter Herrscher und ein rechtloser Sklave müssen die Welt retten - doch zunächst müssen sie lernen einander zu respektieren, zu vertrauen und zu unterstützen, und das ist der vielleicht schwierigste Kampf, den sie jemals austragen müssen...

Gängiger Fantasy-Plot mit einer anderen Gewichtung und aus einem ungewöhnlichen Blickwinkel erzählt

Reduziert man die immerhin mehr als 600 Seiten auf ihren Wesensgehalt, so kommt ein gängiges Fantasy-Motiv zum Vorschein. Die bösen Dämonen planen eine Schreckensherrschaft und wollen ein florierendes Königreich übernehmen. Unsere Helden, der Prinz und sein Zauberer stemmen sich gegen das Verhängnis und schaffen es unter grossen Opfern, den drohenden Untergang abzuwenden. Also austauschbare Fantasy-Dutzendware oder mehr?

Nun, zunächst ist der Blickwinkel, aus dem der Plot erzählt wird, ungewöhnlich. Als Protagonist dient ein gebrochener Mann. Einen hilflosen Sklaven, der keine Kraft mehr hat, sich gegen sein Los aufzulehnen, der aufgrund seiner Situation auch keine Einflussmöglichkeiten, keine Freunde, keine Macht hat, als Held zu präsentieren, das erfordert Mut. Wie kann eine solch geschundene Kreatur den Leser faszinieren? Mehr als Mitleid kann hier doch eigentlich nicht aufkommen. Und dennoch gelingt es der Autorin, uns mit und durch ihre Figur zu fesseln. Schon zu Beginn der Handlung ahnen wir, dass sich hinter dem unscheinbaren, ausgemergelten Äusseren des Sklaven mehr verstecken muss, als der erste Anschein vermuten lässt.

Erst nach und nach, bis weit ins letzte Drittel des Romans hinein wird das Geheimnis um Seyonne, seine Wurzeln, sein Leben vor der Gefangennahme und der Verrat, der an ihm begangen wurde, gelüftet. Immer wieder aber erhalten wir Hinweise, die seinem Wesen neue Aspekte verleihen, die uns neugierig die ausgelegte Fährte verfolgen lassen.

Blieb ich zu Anfang noch recht unbeteiligt, wenn der Sklave geschunden wurde, wenn er ungerecht behandelt und gequält wurde, so wuchs er mir im Verlauf des Romans immer mehr ans Herz.

Die Entwicklung des Widerlings

Fast noch wichtiger aber scheint mir die Entwicklung seines Widerparts zu sein. Berg führt Aleksander als verwöhnten, launischen und ungezogenen Bengel ein - ein Mann geprägt von dem Wissen, dass nichts, was er auch anstellen wird, zu einer Sanktion führen wird, der im wahrsten Sinne des Wortes gewissenlos agiert. Als Unsympath, wie er im Buche steht, war er der ausgemachte Bösewicht der Geschichte. Dann, unmerklich erst, verleiht die Autorin ihm Tiefe und Charakter, baut ihr Gerüst auf, auf dem die spätere Wandelung ruht. Mehr und mehr nimmt hier eine Persönlichkeit Gestalt an, die man zwar anfänglich nicht mögen muss, die aber in ihrer eigenen Historie überzeugend und nachvollziehbar agiert.

Im Verlauf des Plots näherten sich die beiden Handlungsträger einander an. So unglaublich es in den ersten Kapiteln auch schien, wandelt sich die gegenseitige Ablehnung zu einem Miteinander. Diese Entwicklung wurde von Berg, ohne sie zu offensichtlich ins Zentrum ihrer Erzählung zu stellen, sehr gut nachvollziehbar und glaubhaft geschildert. So ist denn auch die Entwicklung des Verhältnisses der beiden so unterschiedlichen Männer das eigentlich faszinierende des Buches.

Ein wenig mager ausgefallen ist demgegenüber der Aufbau und die Zeichnung der Antagonisten. Über die Kherianer erfahren wir kaum etwas, die Dämonen bleiben in ihrer Darstellung rudimentär. Hier erhoffe ich mir von dem zweiten abschliessenden Band noch einige Aha-Erlebnisse. Auch der Zauber, den Seyonne bei seiner Auseinandersetzung so trefflich zu nutzen weiss, bleibt diffus.

Was bleibt, sind, verpackt in eine spannende, kurzweilige Handlung voller Dramatik und Tempo, die beiden zentralen Charaktere, die zu fesseln wissen und Appetit auf den abschliessenden zweiten Band wecken.

Tor der Verwandlung

Carol Berg, Blanvalet

Tor der Verwandlung

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