Newtons Kanone
- Blanvalet
- Erschienen: Januar 2007
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Isaac Newton und die Alchemie
Steampunk-Romane und Alternativweltgeschichten haben Konjunktur. Das intelligente Spiel - was wäre wenn, wie hätte sich die Geschichte entwickelt, wenn an einem bestimmten Punkt eine Erfindung gemacht oder nicht gemacht worden wäre - birgt faszinierende, intelligente Ansätze zuhauf. So ist es nur folgerichtig, dass eine der interessantesten Kreationen nach Jahren des Dornröschenschlafs ihren Weg in deutsche Buchhandlungen findet. Greg Keyes bislang vier Romane umfassende Reihe um den Bund der Alchemisten geht von der Überlegung aus, was passiert wäre, wenn Isaac Newton anno 1681 den alchemistischen Stein der Weisen entdeckt und erforscht hätte.
Keyes präsentiert uns eine Welt, in der Alchemie die Rolle der Technik und Naturwissenschaften übernommen hat. Aetherschreiber, eine Art Faxmaschine verbinden die Kolonien mit ihren Mutterreichen, Kraftpistolen erleichtern das Töten eines Gegners, schwebende, künstliche Lichter erhellen die Räume und magische Elixiere erwecken Sterbende zu neuem Leben.
Die Welt des beginnenden 18. Jahrhunderts ist geprägt vom Kampf der europäischen Großmächte England und Frankreich. Mit Hilfe alchemistischer Formeln aus der Werkstatt Newtons gelingt es den Engländern, selbst massivste Festungs- und Bollwerke der Franzosen vor dem Einschlag ihrer Granaten in Glas zu verwandeln. Das Ergebnis kann man sich vorstellen - Frankreich ist an allen Fronten auf dem Rückzug. Der französische König Louis XIV, der Sonnenkönig, lag schon im Sterben, als ein mysteriöser Trank ihn ins Leben zurückholte. Jetzt ist sein Körper durch das Elixier vor Attentaten und Anschlägen geschützt, und auch seine Körpersäfte beginnen von Neuem zu fließen. Seine sich regende Libido gibt dem Orden der Korai, der Wissenschaft zugetanen weisen Frauen, die Möglichkeit, eine Agentin zu platzieren. Die unwillige Nonne Adrienne wird in Versailles zur Gespielin des Königs. Als altruistischer Mensch kann und will dieser nicht hinnehmen, dass seine Zeit vorbei, dass sein Reich erobert wird. So befiehlt er einem ehemaligen Freund und Vertrauten Newtons, die ultimative Waffe zu bauen. Mit Hilfe dieser, der so genannten Newtonschen Kanone, soll London dem Erdboden gleich gemacht und das Kriegsglück gewendet werden. Doch die Entwicklung kommt nicht richtig voran. Erst durch die Hilfe eines mysteriösen Helfers aus den amerikanischen Kolonien wird die Waffe vervollkommnet.
Der junge Benjamin Franklin hat nicht nur den Aetherschreiber verbessert, sondern ist auch sonst ein aufgewecktes Kerlchen. Als er bemerkt, dass er, statt einen akademischen Zwist zu lösen, unfreiwillig dem Feind Englands bei der Entwicklung der ultimativen Waffe geholfen hat, macht er sich auf nach London, um sein Idol Newton zu warnen. Verfolgt wird er dabei von einem Mann mit feuerroten Augen und übernatürlichen Kräften. In London angekommen nimmt er Kontakt mit den Forschern um Newton auf. Der Genius selbst ist nicht ansprechbar, man munkelt von Schizophrenie. Als es ihm gelingt, Newton endlich vor der Gefahr zu warnen, ist es schon zu spät, um die Katastrophe aufzuhalten, zumal auch hier Verrat im innersten Kreis droht.
Immer deutlicher wird, dass die Katastrophe, die Zentraleuropa durch Newtons Kanone droht, von außen initiiert wurde. Die als dunkle Engel bekannten Malakim, Wesen aus dem Aether, nehmen immer deutlicher Einfluss auf die Machtstrukturen und Machthaber der Imperien...
Ein moderner Jules Verne?
Der Verlag preist uns das Werk als ganz in der Tradition Jules Vernes stehend an. Nun, sicherlich spielt die Handlung im 18. Jahrhundert, und auch technikbesessene Wissenschaftler und dunkle Komplotte sind gängige Versatzstücke des großen französischen Autors, doch das Gebotene bewegt sich viel eher im Dunstkreis eines Alexandre Dumas oder eines Cagliostro.
Seine unbestrittenen Stärken hat der Roman in der Zeichnung der beiden vielschichtigen und interessanten Hauptcharaktere sowie einem flott und vergnüglich zu lesendem Stil. Die munteren Dialoge der Gestalten, deren Entwicklung - hier sind allerdings leider nur Adrienne und Benjamin zu nennen - ermöglichen uns einen mühelosen Zugang zu den Personen, die uns nur zu bald ans Herz wachsen. Leider bleiben die anderen auftretenden Personen zu blass. Insbesondere über Fatio, den Forscher und Erfinder der Geheimwaffe, wird viel zu wenig bekannt. Was treibt ihn zu seinem Verrat, macht er sich überhaupt über die Auswirkungen der ersten Massenvernichtungswaffe seiner Welt Gedanken, wo bleibt eine moralische Auseinandersetzung, wo eine glaubwürdige Motivation?
Allerdings muss man Keyes attestieren, dass er seinen Text in einem sehr flüssigen, leicht zu lesenden Stil darbietet. Mit leichter Hand präsentiert uns der Autor eine in sich überzeugende Welt, in der Frauen, selbst wenn sie intelligenter als ihre männlichen Kollegen sind, auch in der wissenschaftlichen Welt keine Chance haben. Ihre Rolle ist festgelegt, sie dienen dem Vergnügen, der Fortpflanzung, vielleicht noch der Religion, aber aus der Politik und der Forschung haben sie sich gefälligst herauszuhalten. Die ganz wenigen Ausnahmen bestätigen hier nur die Regel, dass die Männer schlicht die Konkurrenz fürchten. Gelungen erscheint mir sowohl die Darstellung des Lebens in der englischen Kolonie als auch in London. Zwar bleibt Keyes, der sich doch sehr auf seine Personen konzentriert, hier recht kurz, er schildert aber durchaus abwechslungsreich und vielschichtig den Alltag, die Sonnen- wie die Schattenseiten der Menschen.
Anders jedoch die Darstellung des Lebens am Hof des Sonnenkönigs. Von den tagtäglichen Frivolitäten, der ungehemmten Ausnützung von Machtpositionen durch die dekadenten Adeligen, den Intrigen, von der Trunk- und Sexsucht am Hof von Versailles ist kaum etwas zu lesen. Hier hätte der Autor ein wenig sorgfältiger recherchieren können.
Insgesamt gesehen bietet der Auftakt gefällige, locker zu lesende Unterhaltung in einem durchaus eigenständigen Weltenkonzept, wobei aber insbesondere in der Zeichnung der Nebendarsteller noch Luft nach oben bleibt.
Greg Keyes, Blanvalet
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