Erstkontakt mal anders
Vorbei sind die Zeiten der klassischen humanoiden Aliens mit großen Köpfen oder Tentakeln. Auch insektenartige Wesen jeglicher Größe sind nicht mehr zeitgemäß. Moderne Aliens haben keine klare Struktur, sondern sind Individuen, die mit menschlichen Gedanken nicht zu begreifen und erst recht mit Worten nicht zu beschreiben sind.
Angefangen hatte es mit einem außergewöhnlichen Himmelsschauspiel. Ein Feuerwerk in der Art eines Meteoritensturms, jedoch so regelmäßig, dass es künstlich erzeugt gewesen sein muß. Wurde die Erde von Außerirdischen fotografiert?
"Der Tierkreis hatte sich in ein gleichmäßiges Gitter aus hellen Punkten mit leuchtenden Schweifen verwandelt. Es sah aus, als wäre die ganze Erde in einem großen, sich zusammenziehenden Netz gefangen, dessen Maschengeflecht aus Elmsfeuer bestand. Es war wunderschön und zugleich furchterregend."
Als wenig später aus der Oort'schen Wolke Funksignale aufgefangen werden, scheint der Verdacht bestätigt, dass man es mit fremden Wesen zu tun hat. Man schickt das Raumschiff "Theseus" los mit dem Auftrag, Kontakt aufzunehmen. Soweit klingt alles nach einem "First Contact"-Roman, wie es schon einige gab. Doch die Besatzung der "Theseus" ist ungewöhnlicher als alles zuvor dagewesene.
Vampire und multiple Persönlichkeiten
Der Erzähler Siri Keaton, früherer Epileptiker, ist Synthesist und als "Berichterstatter" für die Wissenschaftler auf der Erde quasi das unwichtigste Mitglied der Crew. Als Jugendlicher wurde ihm die Hälfte des Gehirns harausoperiert, wodurch er zwar gefühlskalt wurde, jedoch sein wissenschaftliches Verständnis gesteigert wurde. Die weitere Besatzung besteht aus einem Biologen, dessen graue Zellen so weit verändert wurden, dass er Ultraschall und Röntgenstrahlen mit seinen Sinnen aufnehmen kann, weiterhin eine genetisch aufgerüstete Soldatin, deren eigentliche Aufgabe lange nicht so ganz klar wird und eine Linguistin, die als multiple Persönlichkeit durch die operative Aufteilung ihres Gehirns aus vier verschiedenen völlig getrennt denkenden Einzelwesen besteht. Ihre Aufgabe ist es, den Kontakt herzustellen.
Geleitet wird die Besatzung von einem Vampir. Sarasti wurde im Labor gentechnisch als Homo sapiens vampiris erzeugt, einer Unterart der Menschen, die sich vor 700000 Jahren vom Homo sapiens abspaltete. Ein Wesen, das ebenfalls sehr außergewöhnliche Eigenschaften besitzt, völlig anders denkt als ein Mensch und das die Gedanken seiner Mannschaft aufnehmen kann.
Da die Gefühlswelt weitgehend eliminiert wurde, fungiert keiner der Protagonisten als Sympathieträger, was es nicht unbedingt leicht macht, sich ins Geschehen hinein zu versetzen, obwohl ein Ich-Erzähler eigentlich dafür prädestiniert wäre. Doch auch seinem Erzähler Siri vermag der Autor nur wenige positive Charakterzüge zu verleihen.
Bricht mit den bisherigen Konventionen
Peter Watts überzeugt mit völlig abgedrehten Ideen, deren Zusammenhänge sich dem Leser nicht sofort - teilweise auch gar nicht - erschließen. Dass er den Zeitpunkt der Handlung bereits auf das Jahr 2082 terminiert hat, lässt den Autor außerordentlich im Hinblick auf unsere zukünftige Gesellschaft überaus visionär erscheinen. Gentechnische Veränderungen geben den Menschen fast jede Möglichkeit, sich ihre eigenen Realitäten zu schaffen.
Watts versucht, den Leser durch eine variantenreiche Schilderung zu packen. Durchsetzt mit vielen Rückblicken bringt er zahlreiche Tempowechsel und versucht so, die fremdartige Erscheinung, die sich kaum begreifen lässt, etwas bildhafter zu machen. Spannende Szenen wechseln dabei mit langatmigen wissenschaftlichen Beschreibungen. Hier überfordert der Biowissenschaftler Watts den Durchschnttsleser zuweilen. Auch wenn der Autor versucht, in ca. 25 Seiten Anhang wissenschaftliche Betrachtungen näherzubringen, gelingt dies nicht vollständig. Die überaus zahlreichen Literaturverweise dürften dabei nur für Insider interessant sein.
"Blindflug" ist Hard-SF - eine Space Opera, die mit den bisherigen Konventionen bricht und Elemente aus den verschiedensten Gebieten der Phantastik integriert. Der Roman überzeugt zwar durch zahlreiche neuartige Ideen, deren schriftstellerische Umsetzung man dagegen nicht als durchweg gelungen bezeichnen kann.
Peter Watts, Heyne
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