Eclipse Sonnenfinsternis
- Argument
- Erschienen: Januar 2001
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Zu realistisch für eine Dystopie?
In einer nahen Zukunft herrscht Krieg zwischen Russland und den Bündnisstaaten der NATO. In Russland ist es rechten Hardlinern gelungen, die Demokratisierungsbestrebungen zu beenden. Neo-Sowjets sind in Westeuropa eingedrungen, das in einem verheerenden konventionellen Krieg teilweise verwüstet wurde. Die NATO hat für den Bereich hinter den Fronten das größte internationale Privatpolizei-Unternehmen unter Vertrag genommen und als Polizeitruppe eingesetzt, um die Anarchie zu bekämpfen. Dieses Unternehmen, die Zweite Allianz, ist eine beängstigende und mächtige Schutzorganisation mit eigenen Zielen. Sie besteht aus Neofaschisten des 21. Jahrhunderts, hat Teile der USA, Europas und die Raumkolonie "FirStep" besetzt und strebt im Geheimen die Weltherrschaft an. Eine Gruppe von Außenseitern und Freiheitskämpfern bildet eine Widerstandsorganisation, den Neuen Widerstand, und bekämpft das sich auf der Erde ausbreitende faschistische Regime.
John Shirley war eine der Lichtgestalten des relativ kurzlebigen Cyberpunk, bevor dieser in den Mainstream überführt wurde. Heute wird Shirley eher am Rande genannt, vielleicht auch, weil sein inhaltlich und sprachlich kantiges Werk für das, was heute Cyberpunk heißt, zu extrem ist. Bereits in den 1970er Jahren begann Shirley mit dem Schreiben, während er in verschiedenen Punkbands in Los Angeles mitspielte.
"Eclipse - Sonnenfinsternis" ist der erste Band seiner Eclipse-Trilogie. Die Bände sind 1985, 1988 und 1990 erschienen und wurden 1991 bei Heyne in der Übersetzung von Peter Robert veröffentlicht. Die Trilogie, die im Original den Reihentitel "A Song Called Youth" trägt, zählt zu den wichtigsten Werken des Cyberpunk. Shirley hat seine Trilogie überarbeitet und ein Upgrade aus der Zeit des Kalten Krieges in die des Millenniums durchgeführt. Statt im Jahr 2020, beginnt die Geschichte im Jahr 2029. Das Grobe des Ausgangsmaterials ist dabei erhalten geblieben, Shirley hat keine Hochglanzlackierung dieses Upgrades vorgenommen, das in den Jahren 2000 (Band 1 und 2) und 2001 (Band 3) veröffentlicht wurde. Roberts Übersetzung wurde von Dietmar Dath mit der Neuausgabe abgeglichen und überarbeitet.
Eine düstere Vision Europas im Niedergang
Shirley legt in "Eclipse - Sonnenfinsternis" als Einstieg in die Trilogie sehr viel Wert auf die Entwicklung plausibler Charaktere und Schauplätze. Heutige Leser mögen mitunter wenig Zugang haben zu den ideologischen Sprengkörpern, mit denen Shirley sein Werk durchsetzt hat, auch in der Überarbeitung. Aber das wesentlich interessantere sind ohnehin die Details.
In Shirleys Roman sind sich Gegenwart und Zukunft sehr nahe, ähnlich wie in George Orwells "1984". Orwell hatte als Ausgangsmaterial den Nationalsozialismus und den Stalinismus, von dem ausgehend er lediglich eine Extrapolation vornehmen musste. Ähnlich verfährt Shirley. Die Ausgangslage aus der Zeit des Kalten Krieges, wie er sie in der ersten Eclipse-Veröffentlichung thematisiert hat, hat er unter Berücksichtigung von Entwicklungen aus der Zeit nach Auflösung der Sowjetunion modifiziert, Glasnost und Perestroika sind hier nur zwei bekannte Schlagworte. Dann hat er die Handlung in das Jahr 2029 verlegt, den Brennpunkt von "Cyber" auf "Punk" verschoben und, wie es so schön heißt, die Hölle entfesselt. Einige Entwicklungen, die in seinem Roman eine Rolle spielen, haben mittlerweile ihren Platz in der Realität gefunden.
Wenige Jahre nach Shirleys Neubearbeitung von Eclipse breitet sich in Russland eine neue rechte Intelligenz aus, die Ausweitung westlicher Verteidigungsschirme nach Osteuropa ist ein weiteres Thema, eine private US-Sicherheitsfirma ist im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts durch ihr Engagement im Irak auf zweifelhafte Weise in das öffentliche Licht geraten.
Die Zweite Allianz (Second Alliance, SA) bedient sich tradierter Mittel, wie der Unterwanderung, der Werbung, der wirtschaftlichen Einflussnahme, arbeitet mit Instrumenten des Terrorismus und verwendet den Stand verfügbarer Hochtechnologien zur Zielerreichung. Die Zweite Allianz träumt, vorneweg Rick Crandall und Dr. Cooper, von einer genetisch reinen Welt. Sie hat die bekannten Feindbilder, Künstler jenseits des Mainstreams, Drogenabhängige, Schwule, Farbige, Linke. Während die Masse der Menschen sich in dieser Welt einrichtet und sich von den herrschenden Medien beim Denken helfen lässt, rekrutiert sich aus den Reihen derer, die dem Feindbild der Zweiten Allianz entsprechen, der Neue Widerstand. Dieser nimmt seinen Ausgang in Paris unter Führung des früheren Mossad-Agenten Steinfeld und wird erweitert um Wissenschaftler, Ärzte und andere Menschen, die gegen die neuen Herren aufbegehren. Eher widerwillig gerät der ausgebrannte Retro-Rockmusiker Rickenharp in den Widerstand, zu dem auch der frühere Schriftsteller Jack Brendon Smoke und Dan "Stahlauge" Torrence, der im Widerstand erst politisiert wird, gehören.
Shirley bietet den Lesern eine ausgewogene Mischung von Material für den Kopf und den Bauch, die Actionszenen sind fein choreographiert. Er behauptet nicht nur, dass die Welt seines Romans gewalttätig ist, er zeigt es auch eindrücklich . Der Aufbau der Handlung hin zu einem gewalttätigen Konflikt ist nachvollziehbar, alles wirkt unausweichlich. Die Erzählperspektive ist die einer dritten Person, die sich an verschiedenen Schauplätzen auf der Erde und im Weltraum befindet und eine klare politische Haltung hat, die zuerst einmal antifaschistisch ist.
(Almut Oetjen, September 2011)
John Shirley, Argument
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