The Execution Channel
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- Erschienen: Januar 2007
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Noch nicht schlimm genug
Was wäre, wenn? Das ist die generelle Ausgangsüberlegung für Alternativwelt-Geschichten. In seinem neuen und hochbrisanten Science-Fiction-Thriller stellt der Schotte Ken MacLeod nun die Frage, was hätte passieren können, wenn statt George Bush dessen Kontrahent Al Gore im Jahr 2000 die amerikanischen Präsidentschaftswahlen gewonnen hätte. MacLeod liefert zwar eine ernüchternde Antwort, aber er verpackt sie in einen Roman von beklemmender Aktualität. Seine These lautet. "In einem Krieg gegen den Terror kann nur der Terror gewinnen."
"Die in 'The Execution Channel' dargestellte Zukunft ist weit davon entfernt, die schlimmste aller möglichen zu sein", sagte Ken MacLeod im Interview mit Phantastik-Couch.de auf die Frage, ob er ein Pessimist sei. Doch schon nach wenigen Seiten wird klar, dass die von ihm ersonnene nahe Zukunft ziemlich ungemütlich ist, nicht zuletzt deshalb, weil sie so beunruhigend realistisch ist:
Als auf einem von US-Truppen genutzten Stützpunkt der britischen Royal Air Force eine Atomexplosion tausende in den Tod reißt, suchen die Geheimdienste der USA und Großbritannien fieberhaft nach den Tätern und ihren Hintermännern. In einer Welt, deren politische Gräben tiefer sind denn je, verdichten CIA und MI5 die Ergebnisse ihrer Ermittlungen zügig zu handlungswirksamen Aussagen: Die Russen und die Chinesen waren's, denn die sind ja schon länger auf dem Rückweg in alte kommunistische Zeiten, und die Franzosen, ewige Individualisten und Quertreiber im westlichen Lager, stecken auch mit drin. Schnell stellt die amerikanische Präsidentin ein Ultimatum und die Welt taumelt auf einen Atomkrieg zu.
Ohnehin geht's dem Westen und speziell Großbritannien nicht so gut. Indien und China haben dem Westen in ökonomischer Hinsicht schon längst abgehängt, eine weltweite Grippeepidemie hat Millionen von Opfern gefordert, viele Überlebende wurden durch den Klimawandel zu Wirtschaftsflüchtlingen, die ihr Dasein in staatlichen Hilfscamps fristen. In Großbritannien kochen immer wieder rassistische Konflikte hoch, vor dem Hintergrund des westlichen Krieges gegen islamistischen Terror müssen viele Briten islamischen Glaubens um Hab, Gut und Leben fürchten. Eine Welt also, wie geschaffen für Verschwörungsfanatiker und staatliche (sowie privatisierte) Institutionen, deren Aufgabe darin besteht, informative Nebelkerzen im Internet auszulegen. Und niemand weiß, wer den "Execution Channel" mit den Live-Aufnahmen von staatlich sanktionierten sowie von Terroristen ausgeführten Hinrichtungen und Folterungen beliefert.
Die Geschichte ist um den IT-Fachmann James Travis aufgebaut, der wegen anti-amerikanischer Äußerungen von diversen Geheimdiensten verfolgt, von seinem neuem Arbeitgeber, der französischen Auslandsspionage, mittels diverser Identitäten jedoch bislang wirksam geschützt wurde. Travis' Sohn ist Soldat und kämpft im Iran, seine Tochter Roisin ist Friedensaktivistin und ausgerechnet zum Zeitpunkt der Atomexplosion in der Nähe des betroffenen US-Militärflughafens, was sie prompt auf die "Most wanted"-Liste von CIA und MI5 bringt. Während Vater und Tochter Travis versuchen, heil aus der Affäre zu kommen, will der amerikanische Blogger mit dem Pseudonym Mark Dark den Gordischen Knoten aus Fakten und gezielter Desinformation entwirren: Was hatte es mit der Explosion wirklich auf sich? Und wer füttert den "Execution Channel" mit den grausamen Bildern aus Hinrichtungszellen und Höhlenverstecken?
Demnächst in Ihrem Lieblingsblog
Ken MacLeods Science-Fiction-Thriller liest sich wie die Schlagzeilen von morgen: Krieg im Iran, USA und Großbritannien gegen Russland und China, das Internet als Geheimdienst-Spielwiese, Klimawandel, weltweite Seuchen, staatliche Überwachung, etc etc. Doch es ist ein morgen, wie es sein könnte, und eine der stärksten Ideen, die MacLeod in seinem Buch verarbeitet, ist die Spekulation, dass US-Präsident Gore den Iran angegriffen hat - allerdings aus einem völlig anderen Grund, aus dem es der derzeitige tatsächliche Amtsinhaber Bush vielleicht tun würde: Gore will den Ölpreis künstlich nach oben treiben, um den Klimawandel zu verlangsamen. Da muss man erstmal trocken schlucken, aber der Gedanke ist nicht völlig abwegig.
Es ist genau diese vage Ahnung, all die verschwörerischen Ungeheuerlichkeiten aus "The Execution Channel" irgendwo schon mal gelesen oder gesehen zu haben, wahrscheinlich im Internet in irgendeinem Blog, was den Roman so bedrohlich realistisch wirken lässt. Er kommt dabei eher wie ein Spionagethriller daher, denn das futuristische Moment gewinnt erst zum überraschenden Ende hin an erzählerischer Kontur. Doch gerade dieser Umstand sollte dem Buch ein ähnlich großes Publikum auch über die Grenzen der SF-Gemeinschaft hinaus verschaffen, so wie es zuletzt "Ausgebrannt" von Andreas Eschbach geschafft hat. Dabei ist "The Execution Channel" auch für Nicht-Blogger eine Fundgrube ungeheuerlicher Verschwörungstheorien, spannend und düster zugleich. Und wer aus Politikverdrossenheit keine Nachrichten mehr liest, der könnte glatt glauben, was MacLeod schreibt: Morgen in seinem Lieblingsblog.
Ken MacLeod, -
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