Dämmerung

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 1991
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Dämmerung
Dämmerung
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Anna Hild
90°1001

Phantastik-Couch Rezension vonMai 2007

Die Apokalypse war gestern

Die kürzlich verstorbene Octavia E. Butler kann sicherlich als Ausnahmeerscheinung unter den Ausnahmeerscheinungen der Science Fiction und Fantasy Autoren betrachtet werden. Sie gilt  zum einen als die erste afro-amerikanische Science Fiction Autorin, die es zu einigem Ruhm in der Szene gebracht hat. Mehr als diese Etikettierung zeichnet sie aber ihre besondere Art des Schreibens im Genre aus. Wer von ihr gigantische Raumschlachten oder epische Entwürfe fremder Welten erwartet, wird enttäuscht werden. Wer detaillierte, psychologisch einfühlsam erschaffene Charaktere und eine Geschichte, welche die menschliche Beschaffenheit an sich ergründen will schätzt, dem sei ´Dawn' ans Herz gelegt.

Die Handlung von ´Dawn' (Deutscher Titel: ´Dämmerung') setzt ein nach der Apokalypse. Der kalte Krieg hat zur endgültigen Zerstörung der Menschheit und deren Lebensraum geführt. Die wenigen Überlebenden wurden von einer fremden Macht aufgelesen und an einem zuerst nicht identifizierbaren Ort festgesetzt, isoliert von einander und geschützt gegen Übergriffe auf sich selbst und ihre Retter oder Gefängniswärter. Der Roman beginnt mit dem Erwachen eines dieser letzten menschlichen Wesen, Lilith. Sie wird die Hauptdarstellerin eines schmerzvollen Erkenntnisprozesses sein, der den ersten Teil der Trilogie komplett einnimmt. Lilith muß Antworten finden, sowohl auf so grundlegende Fragen wie ´wer sind meine Retter/Gefängniswärter?' als auch auf essentielle Probleme wie ´wem kann ich vertrauen, wem gilt meine Loyalität?'. Die Autorin führt den Leser stets sehr eng an Liliths Erlebniswelt entlang. Wir erfahren niemals mehr als Lilith über die fremden Wesen, die sich ihr nach und nach offenbaren. Es entfaltet sich ein psychologisch sehr stimmiger Lernprozess, in dem alle möglichen Fallen des eigenen Verstandes im Verhältnis zum ´Fremden' und dessen Interesse beleuchtet werden. Dabei werden nicht nur die Menschen untereinander, sondern auch deren Gegenpart, die Fremden, die sich Oankali nennen, als heterogene Gruppen mit unterschiedlichen Interessen, Psychologien und Handlungsweisen charakterisiert.

Der dunkelste Tag und die schwärzeste Dämmerung

Am Beginn des Romans findet sich der Leser mit Lilith in einer Isolationszelle wieder. Sie ist allein. Es gibt keine Hinweise auf andere Wesen, bis auf die tägliche Nahrungsration. Auch diese verrät erst einmal nicht, wo sie sich befinden könnte. Nach und nach werden allerdings ihre ´Retter' präsenter. Zuerst durch Stimmen, die sie befragen, sich aber immer wieder entziehen, wenn sie herausfinden will, wo sie ist und was mit ihr vorgeht. Bis sich eines Tages eines der Wesen mit ihr in der Zelle einschließt und versucht, sie ´an sich zu gewöhnen'. Denn die Oankali haben äußerlich wenig Menschliches. Nun beginnt der Erziehungsprozess - die Oankali gewöhnen sie schrittweise an mehr Freiheiten innerhalb einer ungewohnten Umgebung, an ihre Sozialstrukturen und ihre Kultur. Schließlich offenbaren sie ihr auch ihre eigentliche Aufgabe. Sie soll eine Gruppe von mindestens 40 Menschen ´lehren' wie man auf der mittlerweile wieder rekultivierten Erde überlebt und diese auch wieder dorthin zurück führen. Doch das hat einen Preis - und auch das muß sie ihren ´Artgenossen' vermitteln. Die Oankali sind Genhändler - Tauschhändler im eigentlich Sinne - und für ihre Rettung der Menschheit möchten sie etwas zurück bekommen. Sie planen die Vermischung der beiden Kulturen. Ein Preis, der selbst Lilith, welche sich mit der Oankali Kultur arrangiert hat und diese sehr klar reflektiert, zu hoch erscheint. Als sie die Menschen, die sie zurückführen möchte, aufweckt aus einer Art Stasis, beginnt ein gnadenloser Machtkampf und Lilith findet sich zwischen mehr als zwei Fronten wieder.

Aktualität, Geschichte und menschliche Psychologie

Der kalte Krieg - im Jahr der Erstveröffentlichung (1987) ein Thema, das gerade die ersten Hoffnungsschimmer von Perestroika und Annäherung der beiden Großmächte USA und UdSSR erfährt, beeinflußt die Charakterisierung der menschlichen Figuren des Romans noch nachhaltig. Die Charaktere der Menschen sind gefangen in ihren vom kalten Krieg geschürten Ängsten und Vorurteilen, in Fremdenhass, der sich nur allzu leicht auf die fremde Kultur der Oankali übertragen lässt. Aber auch untereinander zeigen sie weiterhin unausrottbares Mißtrauen. Butler zeichnet in diesem ersten Band ein sehr pessimistisches Bild von der Menschheit und deren mangelnder Fähigkeit, sich neuen Situationen anzupassen oder sich fremden Lebensarten zu öffnen. Trotzdem schafft es die Autorin, die Situation zu öffnen, sie loszulösen von den geschichtlichen Bedingungen. Die Darstellung der Hauptcharaktere ist glaubwürdig und stimmig, auch ohne den historischen Hintergrund, auf dem sie geschaffen wurden.

Lilith ist dabei eine sehr klarsichtige Hauptfigur, auf die man sich als Leser sehr gut einstimmen kann. Ihre Handlungen und Gefühle sind nicht die eines perfekten Helden, ihre Selbstzweifel überwiegen so manches Mal, aber ihre Absichten sind die einer Vermittlerin zwischen Kulturen. Sie möchte verstehen - die eigene wie die fremde Lebensform. Und der Leser mit ihr.  Liliths Geschichte ist spannend und nimmt den Leser gefangen, auch ohne farbenfrohe Aliens und epische Erzählung. Octavia Butlers ´Dawn' macht definitiv sehr neugierig darauf, wie es mit der Menschheit in ihrer Trilogie weiter geht. Auch einige der Oankali Charaktere hat man am Ende des Buches ins Herz geschlossen. Und für einen kleinen Cliffhanger ist selbstverständlich auch gesorgt...

Dämmerung

Octavia E. Butler, Heyne

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