Im Land der leeren Häuser
- Droemer-Knaur
- Erschienen: Januar 1993
- 3
Greifbare Apokalypse
Trotz stetig rückläufiger Geburtenraten, macht sich in Deutschland niemand ernsthafte Sorgen darüber, dass die menschliche Bevölkerung aussterben könnte. Warum auch, insgesamt expandiert die Weltbevölkerung, an einen Bevölkerungszuwachs aus anderen Nationen und dem Status als multikulturelles Einwanderungsland glauben wir uns längst gewöhnt zu haben.
Die berühmte und von vielen Lesern geliebte "Lady of Crime", die Engländerin P. D. James, hat 1992 ungewohnte Wege beschritten und den apokalyptischen Roman "Im Land der leeren Häuser" (engl. Original "Children of Men") erschaffen, in dem sie die Entwicklung einer in Folge von Unfruchtbarkeit sterbenden Gesellschaft aufzeigt.
Das Ende
Im Jahre 2021, im so genannten Omega-Zeitalter, sind weltweit seit 25 Jahren keine Kinder geboren worden. Alle Länder der Erde haben gemeinsam und allein erfolglos versucht, das Problem zu lösen. Inzwischen brechen die Strukturen der Staaten und Bündnisse auseinander, jede Gesellschaft kämpft für sich um das absehbare Überleben.
Xan Lyppiatt, Diktator und Staatschef in Großbritannien, gelingt es, eine relativ stabile Ordnung aufrecht zu erhalten. Das Zeitgänger-System, die temporäre, streng reglementierte Nutzung ausländischer Arbeitskräfte, sorgt für die Aufrechterhaltung der Infrastruktur. Das britische Recht wich einem System willkürlicher Aburteilung, dem Straffälligen droht die Verbannung auf die "Isle of Man", einer unkontrolliertem, völlig abgeschotteten Insel. Die britische Bevölkerung lebt ihr Leben, der selbst ernannte "Warden of England" garantiert Sicherheit und Grundversorgung bis zuletzt.
Einer von ihnen ist Theodore Faron, Geschichtsdozent der Universität von Oxford, geschieden und kinderlos. Sein Leben verbringt er damit, an der Uni immer älter werdende Kursteilnehmer zu unterrichten und sich in seinem großen Haus einige Annehmlichkeiten zu gönnen.
Das ändert sich, als die Studentin Julianne ihren Professor überredet, an einem Treffen der Widerstandszelle "Fish" teilzunehmen.
Der Anfang
Fünf Aktivisten, die unterschiedlicher nicht sein könnten, fordern Theo auf, mit seinem Cousin Xan, dem Warden, zu sprechen und ihm Forderungen nach mehr Humanität und Demokratie zu übermitteln. Trotz massiver Vorbehalte, willigt Theo nach einiger Bedenkzeit ein und baut eine immer enger werdende Beziehung zu den Mitgliedern dieser Gruppe auf. Als einer von ihnen getötet wird, beginnt für Theo und die verbliebenen "Fish"-Aktivisten eine verzweifelte Flucht vor der Staatsgewalt.
In ein ungewöhnliches Endzeitszenario...
Der wesentliche Teil des Science-Fiction Romans "Im Land der leeren Häuser" beschreibt die sterbende Gesellschaft aus der Sicht des Engländers Theodore Faron.
Anhand von Theos Geschichte, in dritter Person und in Form von Tagebucheintragungen erzählt, lernt der Leser das Leben in einer hoffnungs- und zukunftslosen Gesellschaft kennen.
P. D. James verzichtet vollständig auf die Schilderung der Ursachenforschung und möglicher Bemühungen im Bereich der Reproduktionsmedizin, sondern konzentriert sich vollkommen auf den politischen und sozialen Werdegang Englands und seiner Menschen.
Theos Kindheit, seine Kameradschaft zum späteren Warden of England, sein akademischer und persönlicher Werdegang bis zur Gegenwart im Jahr 2021, verdeutlichen wie und warum Normen und Werte sich allmählich verändern.
Die vorherrschende Diktatur, die massiven Menschenrechtsverletzungen und radikale Umweltschäden rufen kaum Widerstand hervor. Stattdessen flüchten die Menschen in bizarre Rituale, wie die Taufe von Tieren, die wie verzerrte Spiegelbilder einst wichtiger Traditionen und Bräuche erscheinen. Vorgänge wie der beschriebene inszenierte Massensuizid älterer und kranker Menschen, können nur als grausame Konsequenz einer vollständig verloren gegangenen Achtung vor dem Leben verstanden werden.
..fügt sich eine faszinierende Geschichte
"Im Land der leeren Häuser" erzählt sehr viel mehr, als nur die Geschichte über den Widerstand gegen ein aus der Verzweiflung geborenes, unmenschliches System. Das Prinzip Hoffnung kommt sehr gut in der Entwicklung des Hauptcharakters herüber. Inmitten dramatischer Ereignisse wird Theo immer mehr aus seinem selbst geschaffenem Gefängnis aus Selbstzweifel und Gleichgültigkeit hervor geholt. Ein fast vergessener Rest an Selbstachtung bestimmt zunehmend sein Handeln. Auch die anderen Mitglieder der Widerstandsgruppe werden hervorragend charakterisiert. Sehr differenziert schildert die Autorin die unterschiedlichen Motive der Gruppenmitglieder und zeigt, wie nah beieinander der Kampf für Gerechtigkeit und persönliche Geltungssucht liegen können.
Grundlage für einen bewegenden Film
Wer P.D. James Kriminalromane kennt, weiß, wie flüssig und unaufdringlich emotional die Autorin zu schreiben versteht. Trotz des kritischen, gegenwartsbezogenen Themas ist an keiner Stelle auch nur die Andeutung eines erhobenen Zeigefingers zu erkennen. Ohne Wertungen vorzunehmen, baut die Autorin ein düsteres, apokalyptisches Szenario auf, in dem sich der Leser wieder findet. Aufgrund der sehr menschlichen Perspektive, hat man einfach das Gefühl, einen beängstigenden Blick in eine mögliche, nicht allzu ferne Zukunft zu werfen. Und doch bleibt in erster Linie eine Botschaft über den Wert des individuellen Lebens zurück.
Mit "Im Land der leeren Häuser" ist P.D. James ein ungewöhnlicher, mutiger, aber auch unterhaltsamer Roman gelungen, der nicht nur die Liebhaber des Science-Fiction Genres begeistert.
Die Autorin bezeichnet ihr Werk selbst übrigens nicht als Science-Fiction, sondern als Mysterie.
Aus der Grundidee des Romans ist der Science-Fiction Film "Children of Men" des mexikanischen Regisseurs Alfonso Cuarón entstanden, der seit dem 12. April 2007 auch als DVD erhältlich ist. Er hat zwar nicht mehr sehr viel mit der Handlung des Romans zu tun, überzeugte und begeisterte das Kino-Publikum aber auf seine Weise, auch die Schöpferin der Idee P.D. James.
P. D. James, Droemer-Knaur
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