Der ewige Krieg

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 1977
  • 5
Der ewige Krieg
Der ewige Krieg
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Thomas Nussbaumer
91°1001

Phantastik-Couch Rezension vonMär 2006

Logbuch einer kosmischen Kriegsmaschine

William Mandella, studierter Journalist und heimlicher Pazifist, hätte sich nie träumen lassen, dass er dereinst mehr als tausend Erdenjahre und ein paar gute subjektive Jahre seines Lebens einem ausufernden Krieg gegen eine außerirdische Spezies opfern würde. Doch die Zukunftsaussichten des jungen Mandella sind düster: Auf der Erde herrscht Überbevölkerung, Arbeit gibt es auch keine und da lockt gerade die Armee mit Zuckerbrot und Peitsche. Kriegsdienst gegen fürstlichen Sold, wer würde sich die Option nicht zumindest durch den Kopf gehen lassen? William verpflichtet sich für zwei Jahre, mit dem Hintergedanken, dem Teufel zwar seinen Körper, aber nicht seine Seele zu verkaufen. Er bewahrt sich die Hoffnung, danach finanziell genügend vorgesorgt zu haben um an seine ursprünglichen Berufsambitionen anzuknüpfen. Aber daraus wird nichts, der Krieg im Weltraum verdient bedingungslose Hingabe ans Werk der Vernichtung. Dabei weiß man zu Beginn noch kaum etwas über den Gegner. Nur dass dieser ohne vorangehende Provokation und wie aus dem Nichts auftauchte und terranische Kolonistenschiffe zerstörte, die in neue Heimaten aufbrachen.

Es droht ein zermürbender Stellungskrieg im All, bei dem es um die Vormacht auf strategisch wichtigen Planeten geht, die sich wiederum in unmittelbarer Nähe von Kollapsaren/Schwarzen Löchern befinden. Diese ermöglichen erst das Reisen durch den interstellaren Raum, weil sie schlicht Abkürzungen in Gebiete bedeuten, die man sonst in Jahrzehnten nie erreichen würde.

Die militärische Elite wird aus (in erster Linie amerikanischen) Collegeabgängern gebildet, die im Dienst der terranischen Staatenunion ins Feld ziehen. Kein Zuckerschleck ist schon die Rekrutierung: Auf Charon, einem Trabanten des (mittlerweile aus dem Sonnensystem exkommunizierten) Pluto fordert das Training unter ´lockeren´ Bedingungen gleich mehrere Tote. Aber wer den Umgang mit dem ´Kampfanzug´ nicht schnell zu beherrschen lernt, hat wenig Überlebenschancen. Der Anzug vermag menschliche Muskelkraft zu potenzieren und es braucht einiges an Fingerspitzengefühl, dass man nicht mit Brachialgewalt die Schutzschicht des eigenen Anzuges verletzt. Andernfalls darf man sich auf dem frostigen Gesteinsbrocken bald als Tiefkühlfleisch wähnen.

´Wer den Frieden will, bereite den Krieg vor´

Dieses Zitat des spätantiken Theoretikers Vegetius stammt zwar nicht aus dem Buch, scheint mir aber gut zum Grundgedanken von Haldemans Roman zu passen. Krieg ist seit jeher nicht nur das Versiegen von Menschlichkeit und Diplomatie, er ist eine Maschine, die den Gang der Welt gewährleistet. Kriege stützen ganze Wirtschaftssysteme auf längere Zeit hinaus und sorgen für ´Zusammenhalt´ der Bevölkerung. Haldemans Krieg zieht zuletzt so weite Kreise, dass selbst die höheren Ränge und Strickezieher nicht mehr dessen Dimensionen abschätzen können. Der Einzelne hat überhaupt keinen Einfluss auf den Verlauf der Gefechte, und um die ganzen Gräueltaten zu rechtfertigen, ergibt man sich nur zu gerne dem Propaganda-Blabla aus den eigenen Reihen.

Bei den ´Simultansprüngen´ sind dem menschlichen Körper wegen der hohen Druckbelastung von mehreren G enge Grenzen gesetzt. Dafür haben die Ingenieure spezielle Schalen entwickelt, in die sich die Soldaten während der Sprünge begeben. Wenn es in der SF-Serie "Star Trek" auf die Schnelle ein bisschen blitzt und Kirk, Spock und Konsorten ein Blinzeln später in einer entfernten Galaxis auftauchen, bedeutet die Fortbewegung in "Der ewige Krieg" im Gegenzug eine echte Herausforderung. Funktioniert die robuste und dennoch sensible Technik nicht hundertprozentig, lassen Beschleunigung und Bremsvorgang menschliche Körper wie Melonen zerplatzen. Doch Verluste wurden von Beginn an eingerechnet.

Faszinierend ist der Gedanke, dass die Soldaten nicht direkt Einfluss auf die Gefechte im interstellaren Raum nehmen. Die Steuerung der Waffensysteme bei solchen Kämpfen übernimmt der Computer und der Mensch liefert sich auf gut Glück dem Erfolg von Dronen und Lenkwaffen aus. Das Geschehen ist in dieser Hinsicht sehr aktionsarm. Aber nicht so die Scharmützel am Boden: Bei seinem zweiten Einsatz auf einem strategisch günstig gelegenen Planeten, erfährt Mandella, was es heißt, mit einer Waffe nicht nur auf Dummies zu zielen, sondern lebende Kreaturen zu töten. Doch die Taurier (benannt nach ihrer vermuteten Heimat im Sternbild Stier) lassen in Sachen Grausamkeit ebenfalls nichts anbrennen.

Während Mandellas Dienstzeit, die subjektiv nur ein paar Jahre beansprucht, vergehen auf der Erde durch die Zeitsprünge mehrere hundert Jahre. Wobei er eine Karriere vom Soldaten zum Offizier bis zuletzt zum Kriegshelden durchmacht. Auf einem Raumschiff lernt er Marygay kennen, die er liebt und mit der er nach seiner Dienstzeit zusammenleben möchte. Doch die unbeugsamen Einsatzpläne entzweien die beiden wieder und es scheint wahrscheinlich, dass sie sich nie mehr begegnen. Nur ein einziger Zeitsprung könnte hundert Jahre zwischen beide bringen.

Vietnam im All?

Mandellas Heimat, die Erde, ist während seines Einsatzes weiter dem Wandel unterworfen. Erstaunlicherweise ist das Weltbevölkerungsproblem bald keines mehr. Man bekommt die Geburtenrate in den Griff, indem alle Menschen schlicht zu Homosexuellen ´umgepolt´ werden. Was witzig klingen mag, wirkt innerhalb der Story durchaus glaubwürdig, wenn auch Haldeman seine Ideen gerne mit einem Augenzwinkern vermittelt.

Seinen Stil könnte man als trocken bis ironisch charakterisieren und er ist von einem jovialen Ton, der gut mit der durchdisziplinierten Welt des Militärs korrespondiert. Aber der Roman ist an keiner Stelle simple Kriegsberichterstattung, sondern eine durchwegs intelligente Dystopie. Haldeman hat es sich zur Aufgabe gemacht, den militärischen Alltag des Ich-Erzählers und Protagonisten detailgetreu darzulegen. Interessant auch, dass zukünftige Kampftruppen gemischtgeschlechtlich sind. Sex gehört zum Konzept und egal, wer mit wem ins Bett steigt, solange es die Truppenmoral stützt und die Arbeit nicht darunter leidet, dient es nur dem Ganzen.

Ben Bova merkt in seinem Vorwort an, dass der Roman in den Siebzigerjahren erstmals als einzelne Kapitel in einem renommierten SF-Magazin erschien und dass er eine Welle der Entrüstung auslöste. Tatsächlich ist Sex im Militär bis heute ein Tabu. Im Roman untersteht jeder Soldat einem ´Einsatzplan´, bei dem Sex zu den Dienstpflichten dazugehört. Das sorgt in den beengenden räumlichen Verhältnissen eines Raumkreuzers für Spannungsabbau. Eine Fiktion, die natürlich auf den Manifesten der sexuellen Revolution in den späten Sechzigerjahren beruht und konsequent daraus entwickelt wurde. Haldeman war auch einer der ersten Autoren, der das Thema Vietnam literarisch aufarbeitete, wenn auch nur ´indirekt´ als SF-Roman. Erst Jahre später sprang die amerikanische Unterhaltungsindustrie im großen Stil auf die Schiene des Antikriegsdramas auf. Trotzdem hat Haldeman seine Erfahrungen, die er selber als Soldat in Vietnam gemacht hat, so subtil in die Story einfließen lassen, dass die Querverweise für den heutigen Leser nicht mehr offensichtlich sind.

Kammerspiel mit Intermezzo

Den Großteil der Handlung könnte man als Kammerspiel im Weltraum bezeichnen, nur ein einziges Intermezzo zeigt uns die von der Bevölkerungsexplosion, Hungersnöten und Nahrungsengpässen gebeutelte Erde. Die Regierungen haben drastische Massnahmen durchgesetzt und bestimmen über Nahrungsmittelrationen, den Stellenmarkt und somit auch über Kriminalität, Grau- und Schwarzhandel. Manche Aussteiger und Stadtflüchtige führen auf dem Land ein Leben als Selbstversorger. Auch hier winken als Inspirationsquelle die Kommunen der 68er. Allerdings wirken einige dieser Szenarien eher komisch und ich hätte mir den Roman auch ohne diesen Zwischenstopp auf der Erde denken können. Im Vorwort ist nachzulesen, dass vor der Veröffentlichung gerade diese Szenen ein Verhandlungspunkt zwischen dem Autor und seinem Verleger waren.

"Der ewige Krieg" darf dank seiner stringenten Erzählweise, dem leisen Augenzwinkern und die im Hinblick auf futuristische Technologie aufwändig gestalteten Szenen als ein Meisterwerk der Military-SF gelten. Auch Leser, die nur wenige Berührungspunkte zum Thema Vietnam haben, werden diese Geschichte als universelle Parabel auf die Sinnlosigkeit des Krieges lesen können. Dabei auf terminologisch hohem Niveau noch so spielerisch leicht unterhalten zu werden, ist eine weitere Einladung zu dieser kurzweiligen Lektüre.

(Thomas Nussbaumer, August 2012)

Der ewige Krieg

Joe Haldeman, Heyne

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