Der Untergang Burgunds

  • Bastei-Lübbe
  • Erschienen: Januar 2004
  • 0
Der Untergang Burgunds
Der Untergang Burgunds
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Carsten Kuhr
80°1001

Phantastik-Couch Rezension vonApr 2007

Ein beeindruckendes Leseerlebnis

Die Lektüre von vier Büchern liegt hinter mir, ein Lese-Erlebnis, wie es beeindruckender kaum möglich ist! Eigentlich ist es ein durchgängiger Roman, der des Umfangs wegen auch im englischsprachigen Original in vier Bücher aufgeteilt wurde (für die Spezialisten: das Werk erschien in England auch in einem Band gesammelt). Im letzten Teil der Geschichte der Söldnerführerin Ash geht die Belagerung Dijons in ihre letzte Phase. In der von den westgotischen Truppen hermetisch umschlossenen Stadt geht der Hunger und die Ruhr um. Ein Entkommen ist unmöglich, griechisches Feuer und Dauerbeschuss aus großkalibrigen Geschützen zermürben die Verteidiger. Die Golems graben unermüdlich Tag und Nacht Stollen unter die Festungsmauer, der ewige Winter tut ein Übriges, die Kräfte und den Mut der Eingeschlossenen zu unterminieren. Doch noch immer gibt sich die neue Herrscherin über Burgund nicht geschlagen, und Ash, die Anführerin der Truppen sucht verzweifelt die wilden Maschinen, welche die Vernichtung der Welt planen allen Chancen zum Trotz auszumanövrieren. Als der karthagische Kalif mit weiteren, frischen Truppen eintrifft, scheint dies der Anfang vom Ende zu sein - doch eine Ash gibt nie auf.

Dies ist die Geschichte einer alternativen Vergangenheit, einer Vergangenheit, die wir durch die Augen eines Wissenschaftlers aus heutiger Zeit entdecken, der den Bericht über das Leben und Wirken Ashs entschlüsselt, übersetzt und unter Tonnen Wüstensand Beweise für die phantastischen Vorkommnisse findet. Ich muss zugeben, dass mich die glücklicherweise relativ kurzen Abschweifungen von der Handlung rund um Ash ins wissenschaftliche Heute ein wenig gestört haben. Zwar vermittelt uns die Autorin darin viel Wissenswertes und Hintergrundinformationen über die Lebensumstände im Mittelalter, aber ich wollte wissen, wie es meiner Ash und ihren Gefährten und Mitstreitern weiter erging.

Lebendig werdende Geschichte

Gentle, die unter anderem Geschichte studiert hat, lässt en passant viel Wissenswertes über die damalige Zeit in ihren Roman einfließen. Lasse ich die Handlung des gesamten Romans, der für seine Ausgabe in vier Bücher aufgeteilt wurde, nochmals Revue passieren, so blieb mir insbesondere die unheimliche Lebendigkeit der Schilderung im Gedächtnis. Gentle versteht es, uns nicht nur für ihre Protagonistin einzunehmen, sondern ihr gelingt das seltene Kunststück, uns auch die Randfiguren plastisch nahezubringen und deren Motivation und Wesen nachvollziehbar aufzubereiten. Zugleich überzeugt die Autorin durch eine der Zeit und Handlung sehr entsprechenden Sprache, auch wenn zarte Gemüter sich hier vielleicht abwenden werden. Es quellen Eingeweide aus aufgeschnittenen Bäuchen, die Sterbenden entleeren stinkend und qualvoll schreiend ihre Därme, Vergewaltigung und Kindermissbrauch werden beschrieben, und doch passen all diese Schilderungen ins Bild. Immer hatte ich das Gefühl, dass die Zeit so gewesen sein muss, dass die Beschreibungen nicht in erster Linie mit Geschmacklosigkeiten Aufsehen zu erregen suchen, sondern die damalige Welt möglichst wirklichkeitsnah darstellen sollen. Alles passt ins Bild, nichts wirkt aufgesetzt oder gekünstelt, die Zeit vergeht wie im Fluge. Die Figuren, die uns die Autorin präsentiert, und zwar alle Figuren, auch die Gegner Ashs agieren glaubwürdig in ihrer Welt. Nicht einmal hatte ich den Eindruck, den gar zu viele heutige Fantasy-Romane vermitteln, dass der Autor einen Menschen unserer Zeit genommen hat, und diesen in eine archaische Welt versetzt hat. Nein, in Ashs Welt verhalten sich die Menschen wie Figuren, die in ihrer Umgebung verwurzelt sind, für die die beschriebene Umgebung ihre natürliche Heimat ist, in der sie sich auskennen, in der sie leben, sich freuen, sich ängstigen und sterben.

Ein Manko gibt es dennoch zu vermerken - das große Finale wirkt in der Lösung des finalen Konflikts zu einfach, ja ein wenig unglaubwürdig. Hätte die Autorin den Mut besessen, die letzten 20 Seiten wegzulassen, sie hätte nicht nur den längsten Einzelroman der Fantasy - so man das Werk denn der Fantasy zuordnen mag - verfasst, sie hätte auch eines der beeindruckendsten Bücher geschrieben, das ich, der ich sehr viel lese, jemals verschlungen habe. Doch auch so bleibt das Fazit, dass dieses Werk zu den imposantesten Titeln der letzten Jahre zählt, das ich nur jedem Leser wärmstens ans Herz legen kann.

Der Untergang Burgunds

Mary Gentle, Bastei-Lübbe

Der Untergang Burgunds

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